Eigener Chef sein: Warum die Selbstständigkeit auch in der Krise boomt
Von Theresa Kopper
Dass Nadina Ruedl einmal ein Unternehmen gründen möchte, war für sie immer klar. Vor vier Monaten hat sie dann tatsächlich den Schritt gewagt und sich mit „Die Pflanzerei“, einer veganen Metzgerei, selbstständig gemacht. Ihr Ziel: Die Verknüpfung der regionalen Landwirtschaft und echtem Handwerk mit zukünftigen pflanzlichen Fleisch- und Wurstprodukten.
Ihr erstes Werk, der vegane Leberkäse „Gustl“, hat es kürzlich in die Feinkosttheke eines großen heimischen Einzelhändlers geschafft. „Eine wirklich große Chance und ein wichtiger Schritt, vegane und regionale Lebensmittel mehr in die Mitte der Gesellschaft zu rücken“, sagt Ruedl zum KURIER.
Mit der Idee durchstarten
Wie sie auf die Idee kam, mit einem veganen Leberkäse durchzustarten? „Kindheitserinnerungen von Metzgereibesuchen in meiner Heimat Salzburg zum einen, der Mangel an Fleischersatzprodukten der österreichischen Esskultur, den ich als Veganerin miterlebt habe, zum anderen.“ Dadurch sei die Idee entstanden, etwas zu kreieren, das regionale Lebensmittel aus unserer Landwirtschaft und traditionelles Handwerk in den Entstehungsprozess einbindet und auch schmeckt. Der Erfolg scheint ihr recht zu geben, demnächst sollen weitere Kreationen hinzukommen.
Gründen liegt im Trend
Die Geschichte von Nadina Ruedl ist derzeit eine von vielen, denn Gründen liegt im Trend, das zeigen auch die Zahlen: 35.095 Firmenneugründungen zählte man im vergangenen Jahr. Das ist ein Plus von sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 1,5 Prozent davon fallen unter die Definition Start-up (Unternehmen mit enorm hohen Wachstumspotenzial in einem oft noch nicht existierenden Markt). „Das Barometer zeigt seit Jahren nach oben“, sagt Elisabeth Zehetner-Piewald, Bundesgeschäftsführerin des Gründerservice der Wirtschaftskammer Österreich (WKO). „Selbst die Pandemie hat für keinen Einbruch der Zahlen gesorgt. Davon waren wir schon überrascht.“
Dass eine Krise für Gründer das denkbar schlechteste Szenario ist, sei ein grundsätzlicher Irrglaube, meint Nikolaus Franke, wissenschaftlicher Leiter des Professional MBA Entrepreneurship & Innovation der WU Executive Academy. „Es ist für Krisen typisch, dass Angebot und Nachfrage nicht mehr zusammenpassen. Manches wird nicht mehr gebraucht, dafür entstehen neue Bedürfnisse der Gesellschaft. Diese Lücke zwischen Angebot und Nachfrage ist der Spielraum für Innovationen und neue Geschäftsmöglichkeiten, den Start-ups brauchen“, erklärt der Experte.
Das zeigt auch ein Blick in die Vergangenheit. Als bei der großen Finanzkrise 2008 die Welt am Abgrund zu stehen schien, tauchten unmittelbar darauf zum ersten Mal heutige Riesen wie Uber und Airbnb auf. „Auch sie sind das Ergebnis gesellschaftlicher Wandlungen und zeigen, dass Krisen ein Innovationsturbo sind.“ Hinzu kommt, dass Start-ups viel agiler sind als große Unternehmen. Auf Veränderungen können sie deshalb auch viel besser und schneller reagieren. „Und natürlich begünstigt es die Selbstständigkeit, wenn die etablierte Wirtschaft ins Wanken gerät.“
Einmal sein eigener Chef sein
Die Gründe, warum Menschen heute ein eigenes Unternehmen auf die Beine stellen wollen, sind unterschiedlicher Natur. Zwei Drittel der Firmengründungen erfolgt heute von Menschen zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. „Und für diese sind vor allem Flexibilität in der Lebensgestaltung sowie der Wunsch, sein eigener Chef zu sein, ausschlaggebende Motivationsfaktoren“, erklärt Zehetner-Piewald. Die vermeintliche Sicherheit einer festen Anstellung verliere hingegen schon länger an Bedeutung. „Auch, weil das Image der schrecklich unsicheren Start-up-Szene heute de facto nicht mehr zutrifft“, so Franke.
Gründungsboom wird bleiben
Das sieht auch Nadina Ruedl so, die Agilität als kleines Unternehmen auf Veränderungen schnell reagieren zu können, ist für sie ein zentraler Vorteil der Selbstständigkeit. „Bei meinem Unternehmen treffe ich Entscheidungen selbst und kann diese direkt umsetzen. Außerdem geht es mir darum, eine Systemveränderung anzustoßen, der Genuss pflanzlicher Fleisch- und Wurstvielfalt soll zur Normalität werden. Der Gustl ist in diesem Zusammenhang eigentlich nur das Mittel zum Zweck bei meinem Ziel, etwas Größeres zu erreichen.“ Für ihren Alltag bedeutet das vor allem eines: Arbeit, oft Tag und Nacht. „Wir müssen hier nichts romantisieren, ein Start-up aufzubauen ist enorm anstrengend und ohne Unterstützung kaum möglich.“ Gute Programme, die bei der Gründung helfen, gebe es hierzulande genug. Das Problem: „Danach ist einfach Schluss, es bräuchte Initiativen, die die Unternehmen zumindest die ersten Monate begleiten.“ Auch die soziale Absicherung für Gründer sei noch ausbaufähig und könnte vielen das Leben erleichtern.
Denn fest steht: Der Gründungsboom wird auch in Zukunft nicht abflauen, mit der Stabilität der Vergangenheit ist auch in den kommenden Jahren nicht zu rechnen. „Und da braucht es Menschen mit unternehmerischem Denken, die wissen, wie man auf Veränderung schnell reagiert und diese kreativ nutzen können“, sagt Franke.