Wirtschaft/Karriere

Drei Minuten für Millionen: Austro-Start-ups pitchen in London

Sie sind gekommen. Trotz strömenden Regens. Dutzende britische und internationale Investoren. Sie wurden eingeladen, ihre Millionen in österreichische Start-ups zu stecken. Ob sie am Mittwochmorgen tatsächlich so zahlreich im Londoner AußenwirtschaftsCenter erscheinen würden, war nicht so sicher. In der Finanzmetropole gilt nämlich: „Wenn es schüttet, fällt das Interesse an Investitionen“, sagte der Wirtschaftsdelegierte Christian Kesberg am Sonntag davor

Obwohl er nur scherzte, blieben die heimischen Entrepreneure, die diese Investoren für sich begeistern wollten, bis zuletzt gespannt. Diese Start-ups waren acht ausgewählte österreichische junge Unternehmen in der Wachstums- und Expansionsphase und Teilnehmer der sogenannten Pitching Days, die von der Außenwirtschaft Austria, dem Austria Wirtschaftsservice i2 Business Angels und der Jungen Wirtschaft organisiert wurden.

Sie fanden jetzt zum zehnten Mal statt und wollen Jungunternehmern helfen, Kontakte und Kapital im Ausland zu sammeln. Wer diese Woche in London dabei war, brauchte Risikokapital oder wollte vorfühlen, wie seine Geschäftsidee in den britischen Markt passen könnte. Nur 180 Sekunden hatte jeder Gründer Zeit für seinen Pitch.

In der Anglosphäre

Warum ausgerechnet London? Die Gründerinnen und Gründer aus den Bereichen Medtech, Biotech, Software und Fintech brauchen viel Geld. Die Plattform Instahelp.me etwa, die rasche psychologische Hilfe online anbietet, buhlte um ein Investment von 360.000 Pfund – sie will in der Anglosphäre – dem englischsprachigen Raum – Fuß fassen. Presono, ein Präsentationstool, das Powerpoint Konkurrenz machen will, pitchte sogar um zehn Millionen Euro.

Für solche Summen ist Österreich nicht die richtige Adresse. Das Vereinigte Königreich hat den am besten entwickelten Venture Capital Markt in Europa – allein 2017 wurden hier drei Milliarden Pfund in Tech-Start-ups gesteckt. Zum Vergleich: 2017 flossen in Österreich 133 Millionen Euro in Start-ups.

Die Hauptstadt Großbritanniens ist aber ein hartes Pflaster. Der Wirtschaftsraum der Anglosphäre ist riesig: Die englischsprachigen Länder machen 33 Prozent des globalen BIP aus, 1,75 Milliarden Menschen sprechen Englisch – eine Zielgruppe, die viel von einer Geschäftsidee verlangt. „London an sich ist sehr kompetitiv, sehr hochpreisig. Man muss schon was geleistet haben, um hier zu leben“, erklärt Matt Kuppers, CEO von Startup Manufactory.

Nicht das Produkt verkaufen

Der Deutsche hat es geschafft. Er lebt hier, hat selbst drei Mal gegründet und ist ein Kenner der Szene. Er half den österreichischen Entrepreneuren in den vergangenen Tagen beim letzten Schliff ihrer Pitches. Start-ups, die hier erfolgreich sein wollen, müssten nach dem Credo „Sell a profit, not a product“ präsentieren. Die Gründer haben mit ihrer Geschäftsidee die Lösung für ein Problem? Gut für sie.

Doch davon gehen die Business Angels und Venture Capital-Fonds aus. Sie fragen viel mehr: Wie lässt sich aus dieser Idee Geld für mich machen? Umgekehrt sind die Investitionssummen dementsprechend hoch. Wer nur 100.000 Euro braucht, pitcht woanders.

Andrew Firmston-Williams, der für die Firma Innvotec Limited pro Jahr zehn bis 20 Millionen in Tech-Geschäftsideen investiert, war jedenfalls zufrieden mit der österreichischen Darbietung. „Österreichische Ideen können hier gut mithalten.“ Mit zwei der Start-ups will er Gespräche führen.

Wertvolles Feedback

Für britische Investoren, erzählt Rafael Rasinger von der WKÖ Außenwirtschaft, könnten Start-ups aus Österreich gerade jetzt besonders attraktiv sein. „Viele sind unsicher, was der Brexit mit sich bringt. Vielleicht möchten sie mit Investments in Europa einen Fuß in der Tür haben. Das könnte eine neue Chance sein.“ Die Performance bei den Pitching Days ließe aber auch Kapitalgeber in Österreich aufhorchen. Denn: „Sie sind ein Hinweis darauf, welche Geschäftsideen internationales Potenzial haben.“

Für die designierte Junge-Wirtschaft-Vorsitzende Christiane Holzinger sind die Millionen, die hier zu holen wären, Nebensache. „In erster Linie gibt es hier Feedback. Und die Start-ups können herausfinden, ob sie sich vorstellen könnten, sich hier niederzulassen. Denn das wäre bei einem Investment die Voraussetzung.“ Vorstellen können sich das viele. Ob es tatsächlich dazu kommt, wurde mit den Investoren nach den Pitches unter vier Augen besprochen. Manche glänzten dabei.

Die Erfolge der Start-ups bei den bisherigen Pitching Days jedenfalls haben bewiesen: Dabei zu sein, zahlt sich aus – für Entrepreuneure und für Investoren. Und dass, wenn es um gute Ideen geht, das Wetter nachrangig ist. Wer schlussendlich auch mit Geldregen rechnen darf? Das werden die kommenden Wochen zeigen.

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Pitching Days in London

Acht heimische Start-ups auf MillionenjagdDie Pitching Days werden von der Jungen Wirtschaft, der Außenwirtschaft Austria und dem  Austria Wirtschaftsservice i2 Business Angels organisiert. Zielgruppe waren österreichische Expansion- und „Later Stage“ Start-ups aus den Bereichen Medtech, Biotech, Software und Fintech. Die Kuratorin des Events, Renate Schnutt, will künftig noch mehr Frauen für dieses Programm begeistern. Die Teilnehmer der 2018 „Pitching Days – Startup Catapult London“ waren:

  • Artivive – eine App, die Kunst dank einer speziellen Technologie  zum Leben erweckt.
  • Bikemap – die größte Radtour-Karte der Welt.
  • Cargometer – die Logistik-Lösung vermisst Ladegüter am fahrenden Gabelstapler in 3D.
  • Der Button – Ein Organisations- und Planungstool.
  • Instahelp – Eine Online-Plattform für psychologische Beratung.
  • Newsadoo – die Plattform will  ein „Spotify“ für Nachrichten sein.
  • Presono – eine neue Präsentationsplattform.
  • Senseforce – bieten Datenlösungen für die maschinelle Industrie an.

Wirtschaftsdelegierter Christian Kesberg: „ Brexit-Folgen für die Start-up-Szene nur Blechschaden“

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KURIER: Herr Kesberg, vergangenen Sonntag wurde in Brüssel der Brexit abgesegnet. Wie ist die Stimmung unter den Unternehmern in der britischen Hauptstadt London?

Christian Kesberg: So wie davor. Die Zustimmung des Gipfels war vorhersehbar.

Was erwartet österreichische Firmen hier?

Am 11. Dezember entscheidet das britische Parlament noch  über Deal oder No-Deal. Wird es ein Deal-Szenario, wird es noch ein Nachbeben geben, bis zum 31. Dezember 2020 und mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar bis zum 31. Dezember 2023 passiert aber gar nichts. Alles, was jetzt diskutiert wird, greift erst danach und das ist auch für Unternehmen noch sehr weit weg.

Wie wirkt sich der Brexit auf die Start-up-Szene im Land aus? Man liest, es herrscht Unruhe.

Wenn es einen Brexit-Deal gibt, sind alle, die da sind oder in den nächste drei Jahren kommen, abgesichert. Großbritannien ist durch den Brexit für Zuwanderer aber schon eine Spur unattraktiver geworden.

Viele Start-ups sollen damit liebäugeln, nach Osteuropa abzuwandern.

Das hat sicher auch damit zu tun, dass die wirtschaftliche Entwicklung dort gut ist. Die Start-up-Szene und der Finanzsektor werden vom Brexit aber nur einen Blechschaden davontragen – das Auto  bleibt fahrbereit, die größte Start-up-Szene Europas kann nicht verschwinden. Die Kombination – Risikokapital durch einen der größten Finanzsektoren der Welt, eine liberale Wirtschaftsgesetzgebung und eine unglaubliche Diversität  – ist einzigartig. London bleibt eine kosmopolitische Neun-Millionen-Einwohner-Metropole. Es wird eine leichte Veränderung Richtung Kontinent geben, aber keine, die mehr als eine Delle im Ökosystem hinterlässt.

Für österreichische Start-ups bleibt Großbritannien attraktiv?

Es ist eine strategische Entscheidung: Der Schritt in den britischen Markt ist ein Schritt in die Anglosphäre. Der Versuch, ein Geschäftsmodell in den englischen Denk- und Sprachraum zu übertragen, ist zum Scheitern verurteilt. Hier sind Equity-finanzierte Märkte, heißt, die Verhandlungen basieren hier auf der Frage: Where ist my money? Im DACH-Raum stellt man sein Produkt immer noch so vor: Ich habe eine Lösung für ein Problem. Das ist hier ganz schlecht.

Wie muss man hier seinen Pitch also aufbauen?

Das Wichtigste ist eine Amortisationsrechnung. Das setzt wiederum voraus, dass ich das Geschäftsmodell meines Kunden verstehe. Das bringt oft mit sich, dass ich ihm Geld dafür zahle, dass ich mit seinen Daten meine Amortisationsrechnung für ihn aufstelle. Im Idealfall sieht er dann an seinem eigenen Beispiel, wie viel Geld ich ihm sparen kann. Das ist die hohe Schule der Kostenersparnis und das wollen die Menschen hier sehen.

Welche Start-up-Arten sind gerade sehr gefragt?

Alle. Es ist eine riesige, hochdiversifizierte Volkswirtschaft. Hier gilt das Gesetz des Wettbewerbs der guten Ideen.

Zur Person: Christian Kesberg ist  Wirtschaftsdelegierter der Österreichischen Wirtschaftskammer in London.
 

Business mit Briten: Kulturelle Fettnäpfchen und Chancen

Wer in London Business machen will, sollte sich mit einigen  britischen Gepflogenheiten vertraut machen:

Lovely! Die Briten sind unglaublich höflich. Im Supermarkt wird man  gerne  mit einem  vertrauten „my love“ angesprochen, für die Bedienung im Restaurant  ist man schnell ein „darling“. Angenehm, wenngleich gewöhnungsbedürftig. Man dürfe sich nicht blenden lassen, vieles sei oberflächlich und deshalb auch nicht so gemeint, sagen Geschäftsleute.  Sagt man beim Netzwerken „Das ist aber eine wunderbare und interessante Geschäftsidee“, kann es ebenso gut bedeuten: Wo ist der nächste Ausgang?

Networking London stellt hohe Ansprüche ans Benehmen und Netzwerken. Das Credo lautet auch hier wieder: Bestechend höflich sein.  „Be interested rather than interesting“, erklärt Netzwerk-Profi Luke Cunliffe.  Bevor es bei einem Event ums  harte Business geht, will der Brite gemächlich plaudern. Seine Lieblingsthemen?„Der Verkehr und das Wetter.“

Start-ups! Großbritannien liebt Start-ups. Sie werden von der Regierung bis zum Königshaus gefördert, alleine die Hauptstadt zählt 20.000 aktive Start-ups, hier ist das viertgrößte Eco-System der Welt.  Erfolgreiche Gründer steigen zu Role-Models auf und werden sogar geadelt – siehe Sir Richard Branson, Gründer der Virgin Group. Unternehmertum wird hier leicht gemacht: Eine Unternehmensgründung dauert fünf Minuten – online. 100 Acceleratoren und 30 Inkubatoren helfen dabei, aus guten Ideen ein erfolgreiches Business zu machen. Die Hauptstadt ist zudem ein Quell an Humankapital: 30 Unis sind hier angesiedelt, einige davon sind Elite-Colleges. Oxford ist heute berühmt für seine Spin-offs (von Studierenden gegründete Start-ups). Ein Start-up zu gründen sei heute Karriereziel vieler junger Menschen, sagt Szene-Kenner Matt Kuppers: „Vor 20 Jahren wollte man Chefarzt werden, vor zehn Jahren Manager, heute will man Unternehmer werden.“

Migration In London leben fast neun Millionen Menschen – so viele leben in ganz Österreich nicht. Sie kommen aus 180 Ländern, 36,7 Prozent  der Londoner wurden hier nicht geboren – selbst der Bürgermeister ist gebürtiger Pakistani. Hier werden mehr als 1000 Sprachen gesprochen.

Gut zu wissen Für Österreich ist Großbritannien der  neunt-wichtigste Exportmarkt. Großbritannien ist der zweitgrößte Markt Europas.