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„Der Tod erschreckt mich nicht mehr so“

Es ist ein wunderschöner Herbsttag. Ungewöhnlich warm und sonnig. Carl Achleitner kommt von einem Begräbnis. Wie es sich gehört, schwarz gekleidet, in Anzug und Krawatte. Er hat die Trauerrede gehalten, ein Job, den er und seine Ehefrau Ann-Birgit Höller neben der Schauspielerei ausüben. „Jeder Auftrag wirkt nach, jedes Begräbnis ist einzigartig“, sagt Achleitner.

Die letzte Rede: Sie ist ein Dienst am Verstorbenen und den Angehörigen. Dabei wollen die Grabredner nicht Richter sein, nicht abrechnen, sondern das letzte Geleit geben. Dem Verstorbenen einen würdigen Abschied bereiten und den Angehörigen in ihrer Trauer zur Seite stehen. Wobei: manchmal ist alles auch ganz anders als man es sich vorstellt. Ein Gespräch über die letzte Rede und die tägliche Konfrontation mit dem Tod.

KURIER: Sie beide erleben als Trauerredner mehrmals die Woche den Tod aus der Nähe. Warum sucht man sich so einen Job aus?

Carl Achleitner: Man sucht ihn sich nicht aus, er fällt einem zu. Als sich 2011 die Möglichkeit dazu ergeben hat, bei der Agentur Stockmeier anzufangen, war meine Reaktion „sicher nicht.“ Ich gehe doch nicht jeden Tag auf den Friedhof und konfrontiere mich mit dem Tod, wo das Leben so schön ist. Dann habe ich mich doch dort gemeldet. Bei Kaffee und Kuchen wurde ich eingeschult. Meine Frau und ich sind beide Schauspieler, aber ich war vor keiner Theaterpremiere und vor keinem Drehtag annähernd so nervös wie vor meiner ersten Trauerrede. Weil: Das ist das echte Leben.

Ann-Birgit Höller: Eine Rede ist nicht wiederholbar. Es gibt keine Probe. Die erste Rede ist eine Feuerprobe – meine war sogar in der Feuerhalle.

Sie haben mehrere Hundert Menschen verabschiedet. Wird diese Aufgabe jemals alltäglich?

Carl Achleitner: Alltäglich ist das falsche Wort. Einerseits ist es immer dasselbe: es ist immer jemand gestorben. Andererseits ist es ein eigener Kosmos, eine einzigartige Trauersituation. Routine wird’s nie, man bekommt aber Erfahrung. Wir haben inzwischen so ziemlich alles erlebt, was man sich vorstellen kann. Von Sterbefällen, in denen Menschen einfach alt werden, über Babys und Kinder, bis zu Selbstmorden oder Morden.

Sie sprechen es an: Nicht für jeden Menschen findet man schöne Worte. Sind Gut und Böse am Ende noch relevant?

Carl Achleitner: Wir sind keine Richter. Aber ja, es ist sehr relevant. Über die guten Menschen zu reden ist leichter als über die ambivalenten. Ich saß kürzlich einer Mutter und deren rund 40-jähriger Tochter gegenüber. Der Vater ist gestorben. Die Tochter hat das Herumdrucksen der Mutter mit dem Satz beendet: „Was meine Mama Ihnen sagen möchte, ist: Mein Vater war ein Arschloch.“ Aber er war beliebt bei der Feuerwehr am Land – also haben wir uns darauf konzentriert.

Diese Vorgespräche sind die Basis für Ihre Arbeit. Wie kann man sich die vorstellen?

Carl Achleitner: Es kommt vor, dass sich die Menschen vorher treffen wollen, oft geht es auch am Telefon oder per eMail. Ich bin immer eine Stunde vor Beginn vor Ort für die Feinabstimmung. Aber man kann nicht das gesamte Leben eines Menschen in 20 Minuten zusammenfassen. Darum geht es auch nicht. Es geht um die Liebe. Je mehr Liebe da ist, umso größer sind Schmerz und Trauer. Aber da fließen gute Tränen. Es geht aber auch anders: Ich hatte vor einem Jahr zwei ältere Damen, einen schmucklosen Sarg, eine 97-jährige Verstorbene, keine Parte. Sie haben gesagt: „Das ist uns jetzt bisschen peinlich. Wie sollen wir es sagen? Unsere Mutter war einfach ein Teufel. Sie war durch und durch ein schlechter Mensch.“ Nun ja, so etwas muss man respektieren. Das ist dann keine Rede geworden, eher ein Gespräch mit den Angehörigen.

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Machen Sie einen Dienst an den Lebenden oder an den Toten?

Ann-Birgit Höller: Wir sprechen natürlich für die Hinterbliebenen, aber es geht schon auch darum, den Verstorbenen gerecht zu werden. Wenn eine Mutter verabschiedet wird, die nicht geliebt hat oder nicht geliebt wurde, versuchen wir, das schon auch anzusprechen. Es wäre ungerecht, wenn wir mit einer 08/15-Rede kämen. Dann fühlt man sich als Trauernder auch nicht ernstgenommen.

Carl Achleitner: Ich spreche immer so, als ob der Verstorbene zuhört. Und wenn wir uns später einmal wiedersehen sollten, kann er sagen: Danke – oder auch nicht (lacht). Aber mir geht es schon mehr um die Hinterbliebenen. Ich kann nicht für jemanden trauern, den ich nicht kannte. Aber die Trauer der vor mir sitzenden Menschen, die berührt mich. Wenn man empathiefähig ist, ist es gar nicht so wichtig, was man in der Rede sagt, sondern wie man im Vorgespräch und beim ersten Kontakt vor Ort ist. Oft sind die Menschen auch gar nicht wirklich in der Lage, zuzuhören.

Haben Sie für Ihre Reden eine Anleitung?

Ann-Birgit Höller: Es gibt ein Gerüst.

Carl Achleitner: Es gab einen Schauspielkollegen, der gesagt hat: Ach ja, für Bezahlung Trauer heucheln. Das ist es aber nicht. Es geht um Empathie.

Sie lassen sich auf die Trauerfeiern ein – was tragen Sie mit nach Hause, wie verarbeite Sie das?

Carl Achleitner: Ich denke mir oft: Was macht ein Onkologe nach der Operation? Was macht ein Palliativmediziner? Es gibt diese harten Fakten im Leben. Wir müssen dazu aber eine chirurgische Distanz wahren.

Warum sind auch Sie Trauerrednerin geworden?

Ann-Birgit Höller: Wir haben uns gedacht: Wenn Carl nicht arbeiten kann, verdienen wir auch nichts – und ich könnte ja in diesem Falle für ihn eintreten. Mein Mann hat mich eingeschult. Aber natürlich bin ich eine Frau und nicht ein Mann und wenn dezidiert ein Mann gewünscht ist, kann ich ihn halt auch nicht ersetzen. Mittlerweile ist das aber kein so großes Thema mehr.

Hören Menschen tröstende Worte lieber von einem Mann?

Ann-Birgit Höller: Ich glaube, dass das früher schon ein Thema war. Es kommt heute aber nur noch ganz selten vor, dass explizit ein Mann verlangt wird. Am Land vielleicht noch eher als in der Stadt. In der Agentur werden wir immer weiblicher. Unsere Chefin ist eine Frau.

Carl Achleitner: Wir leben im Jahr 2019. Je mehr Frauen Trauerreden halten, umso besser.

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Ist jede Beerdigung anders?

Carl Achleitner: Ja. Es sind immer andere Menschen und andere Beziehungen zueinander. Es ist die Kunst des Trauerredners, sich da immer wieder hineinzufühlen.

Im Hintergrund findet gerade ein Begräbnis statt, es spielt eine beschwingte Blaskapelle. Ist Lachen bei einem Abschied erlaubt?

Carl Achleitner: Es ist sogar erwünscht. Wenn der Verstorbene Humor hatte, hole ich mir seine Geschichten, wenn es geht. Einen Witz von ihm.

Ann-Birgit Höller: Unser Kollege sagt dazu immer: Wir wollen dem Leben aufhelfen.

Carl Achleitner: Traurig ist es sowieso. Die Traurigkeit noch zu verstärken, wäre der falsche Ansatz. Darum auch kein weinerlicher Ton. Nicht von oben herab, sondern von Mensch zu Mensch. Die Menschen sind dankbar, wenn sie auch ein bisschen lachen können.

Passieren manchmal Dinge, wo Sie sagen: Das war jetzt unerklärlich?

Carl Achleitner: Ich bin inzwischen ziemlich sicher, dass der Mensch beim Tod einen gewissen Spielraum hat, in dem er sich entscheidet, loszulassen oder festzuhalten. Ich höre so oft, dass etwa die Oma wartet, bis das Enkerl die Matura gemacht hat oder jemand aus dem Urlaub zurück ist, um ihn ein letztes Mal zu sehen. Ich habe praktisch noch nie gehört, dass der Verstorbene Todesangst gehabt hätte. Wenn es auf dem natürlich Weg geht, habe ich das Gefühl: Wir sind darauf vorbereitet.

Ann-Birgit Höller: Ich hatte einmal eine Enkelin, die zum Zeitpunkt des Todes der Großmutter eine SMS von ihr bekommen hat ...

Carl Achleitner: Hamlet sagt: Es gibt mehr Sachen zwischen Himmel und Erde als unser menschliches Herz sich träumen lässt – das glaube ich auch.

Die Sinnfrage im Job müssen Sie beide sich nicht stellen. Oder?

Beide: Nein.

Carl Achleitner: Es ist für mich der schönste Beruf, den ich mir vorstellen kann. Ich weiß: wenn ich das hier gut mache, kommt sehr viel zurück. Dann sitzen wir beim Heurigen und jemand kommt vorbei und sagt: Entschuldigen Sie, Sie haben vor drei Jahren meinen Vater beerdigt, ich wollte Ihnen noch mal danken, weil es war so schön. Man erinnert sich an Begräbnisse und an Hochzeiten. Das bleibt.

Ann-Birgit Höller: Die Trauer ist eine Schwester der Liebe. Unsere Arbeit ist damit eine erfüllende.

Was bleibt nach dem Tod von uns übrig?

Ann-Birgit Höller: Die Spuren, die wir auf dieser Welt hinterlassen.

Carl Achleitner: Es gibt ein schönes Zitat von Alfred Delp, einem Widerstandskämpfer und Opfer der Nazis: „Wenn durch einen Menschen ein bisschen mehr Licht und Wahrheit, ein bisschen mehr Liebe und Güte in die Welt gekommen ist, dann hat sein Leben einen Sinn gehabt.“ Das bleibt. So einfach ist es.

Verändert einen so ein Job?

Ann-Birgit Höller: Der Tod erschreckt mich nicht mehr so.

Erkennt man nicht auch, wie endlich alles ist?

Carl Achleitner: Die Endlichkeit ist Schmerz und Trost zugleich. Es kommt immer nur darauf an, wie man sich entscheidet, es zu sehen.

Ann-Birgit Höller: An den Herausforderungen im Leben kann man auch wachsen. Man hat die Entscheidung: zerbricht man daran oder schafft man es, damit zu leben? Niemand wünscht sich, dass das eigene Kind vor einem gehen muss. Das ist nur bitter und ungerecht. Aber wir erfahren auch, dass Menschen sogar damit weiter leben und auch noch ein gutes Leben führen konnten.

Was kommt für Sie also „danach“ – wo Sie doch quasi die Experten sind?

Carl Achleitner: Überraschung. Wer weiß es denn? Die, die sagen, sie wüssten es, denen misstraue ich.

Ann-Birgit Höller: Man weiß mittlerweile, dass Energie als solche unvergänglich ist. Ich glaube also daran, dass die Energie eines Menschen nicht nur in den anderen weiterlebt, sondern auch in einer anderen Form. Das Unvergängliche ist die Seele, der Geist.

Was lernt man aus Ihrem Job fürs Leben?

Carl Achleitner: Viel. Man hat keine Möglichkeit, den Tod zu verdrängen. Er wird passieren – das wissen wir alle. Es ist also nicht besonders klug, Angst davor zu haben.

Seit 1975 vermittelt die Agentur, die vom österreichischen Regisseur Paul Stockmeier gegründet wurde, Trauerredner. Auch für Menschen ohne konfessionell-kirchliche Bindung. Ann-Birgit Höller und Carl Achleitner sind zwei von insgesamt zehn Rednern (sieben Männer, drei Frauen), die allesamt eine Schauspiel- oder Sprecherausbildung, rhetorische Kompetenz und kulturwissenschaftliches Fachwissen mitbringen.

Seit 1994 wird die Agentur von Paul Stockmeiers  Tochter  Elfriede geführt. Neben Trauerrednern vermittelt sie heute auch Festredner und Hochzeitsredner. Für eine Trauerrede  bezahlt der Kunde 250 Euro. Die Jobs scheinen heiß begehrt: „Rund zehn Bewerbungen pro Woche trudeln  hier ein“, sagt Carl Achleitner.   

 

Die Trauerredner

Ann-Birgit Höller und Carl Achleitner sind Schauspieler, Trauerredner und ein Ehepaar. Höller (42), in Südtirol geboren, studierte Germanistik und Theaterwissenschaft, ihre Schauspielausbildung schloss sie 1999 an der Theaterschule Pygmalion in Wien ab. 2016 hatte sie ihr erstes Engagement als Trauerrednerin, kürzlich war sie im Bozen-Krimi an der Seite von Erni Mangold zu sehen.

Carl Achleitner (56), hat seine Ausbildung am Actors Studio in New York  und an der Schauspielakademie Zürich absolviert. Zu seiner Filmografie zählen Serien wie Soko Donau oder Tatort, aktuell ist er in den Filmen  „Der Trafikant“ oder „Nevrland“ zu sehen.  Achleitner spricht seit 2012 bei Trauerreden, er hat bereits mehrere Hundert Menschen verabschiedet.