"Aufsperren, endlich aufsperren"
Wenn Sie diese Zeilen lesen, sind der Sektempfang, die Ansprache und die Anspannung gerade vorbei. Wenn Sie diese Zeilen lesen, hat LIVE for fashion am Wiener Margaretenplatz 7 bereits geöffnet.
Aber bis zum Redaktionsschluss arbeiten Elisabeth Schiefer, 32 und Veronika Granzner, 33, am letzten Schliff für ihre Shop-Eröffnung: Im Büro-Bereich dröhnt der Staubsauger, alle paar Minuten kommt ein Lieferant mit Paketen zur Tür herein. An der Hauswand wird noch schnell das Firmen-Logo montiert, die Schaufenster sind zugeklebt, ein "Coming Soon"-Schild macht neugierig auf das, was hinter der Sichtbarriere ist. Auf 120 hochglanz-polierter Verkaufsfläche warten exklusive Cocktailkleider, lässige Casual-Kollektionen, Gürtel, Mäntel, Jacken und moderne Schnitte feiner europäischer Designer auf die ersten Kunden. "Der Laden ist so konzipiert, dass man sich hier wohlfühlt, sich authentisch für jeden Anlass und jede Jahreszeit einkleiden kann", so Granzner.
Das Besondere am Shop: Im hinteren Bereich der insgesamt 240 großen Geschäftsfläche hat sich Freundin und Goldschmiedin Lidia Petrovski, 32, mit ihrer Schmuckwerkstatt "Loveski" eingemietet. Was sie hier kreiert, wird vorne verkauft. Ihre Werkstatt ist offen, die Kundinnen können ihr bei der Arbeit zusehen und mit ihr (zum Outfit passenden) Schmuck konzipieren.
Was das Geschäft zudem speziell macht: Es war früher eine Bank und hat deshalb auch einen Tresorraum. Die Gründerinnen haben den hinter einer 20 cm dicken Stahltür liegenden Raum im Keller erstmal in Gold ausgemalt. Über seinen künftigen Zweck sind sie sich noch uneins. "Vielleicht eine Kabine für Schüchterne?", witzelt Elisabeth Schiefer.
Flotter Quereinstieg
Die konkrete Idee zum Geschäft entstand vor knapp einem Jahr. Granzner sah in ihrem früheren Job in der Elektronik-Branche keine Zukunft, wollte eine Weiterentwicklung, mehr Verantwortung. Schiefer, damals im Wertpapier-Verkauf bei einer Bank tätig, ging es genauso. Die Linzer Freundinnen, die sich seit ihrem zehnten Lebensjahr kennen, beschlossen in einer "legendären Ladies night", wie sie den 24. Juli 2013 nennen, mit Mode selbstständig zu werden. Das Hintergrundwissen dafür hatten sie aus ihrem BWL-Studium an der WU Wien. Ihre eigentlichen Wurzeln hätten aber beide in der Mode, erzählt Granzner. Ihre Mutter hatte ein Modegeschäft in der Linzer Innenstadt, Schiefers Vater gehört ein Berufsbekleidungsgeschäft in Linz. Den Traum, selbst einmal von der Mode zu leben, "spinnen wir seit unserem 16. Lebensjahr", so Schiefer.
Ab dem 24. Juli ging alles ganz schnell. Sie besuchten Kurse am Londoner College of Fashion, sie fuhren auf Fashion-Messen, um die Ware einzukaufen, ließen sich beraten und suchten nach passenden Geschäftsflächen in Wien.
Heute teilen sich die Freundinnen den CEO-Posten. Sie schwören dabei auf ständige Absprache. Streiten gibt’s nicht – gab es noch nie. "Wir haben da eine goldene Regel. Keine Entscheidungen vor dem ersten Kaffee", lacht Granzner.
Das Chefsein ist aber nicht immer lustig. Es ist mit viel Verantwortung und Verzicht verbunden. "Alle machen alles", heißt es einstimmig. Seit dem Entschluss, beruflich weiterzukommen, haben sie ihre privaten Ansprüche heruntergeschraubt. All ihr Geld wanderte in "LIVE for fashion". Weitere Unterstützung kam von der AWS-Jungunternehmer-Förderung, der AMS-Gründerbeihilfe, auch die Familie und Freunde halfen mit. "Ich habe gestern zum Beispiel die Schuhlöffel beigesteuert", lacht Granzners Mutter, die im Geschäft aushilft. Alle lachen, doch die Anspannung vor der Eröffnung liegt spürbar in der Luft.
Was das Erste sein wird, das das Trio danach tun wird? Elisabeth Schiefer: "Aufsperren, endlich aufsperren."
1. Gut überlegen, wie viel man zum Leben braucht. Wir haben eine Haushaltsrechnung gemacht und geschaut, wie viel wir tatsächlich im Monat brauchen. Diesen Betrag haben wir dann versucht, zu reduzieren. Ein Mal im Monat ein bisschen Luxus, wie Essen gehen, ist okay. Aber sonst versuchten wir, kaum etwas auszugeben.
2. Immer auf sein Bauchgefühl vertrauen. Gerade die Mode ist ein Beruf ohne Sicherheitsleine, man weiß nicht, was bei den Kunden ankommen wird. Wir müssen bereits sechs Monate im Voraus unsere Ware einkaufen – da ist viel Risiko dabei. Wenn sich eine von uns bei der Ware unsicher ist, nehmen wir sie nicht.
3. Viel miteinander reden. Wir entscheiden alles gemeinsam, wir müssen beide jedes Detail kennen. Wenn viel Stress oder große Entscheidungen anstehen, können wir uns so leichter beraten. Alleine hätten wir nicht gegründet, wir brauchen die Unterstützung der anderen.
4. Hilfe annehmen.Wir haben gute Freunde und eine verständnisvolle Familie. Alle sind immer für uns da. Sie helfen, arbeiten am Sonntag mit, schleifen mit uns die Wände ab, schleppen Möbel und malen aus. Wir haben auch viel mentale Unterstützung von ihnen erfahren.
5. Bei den Handwerkern immer nachfragen und stets vergewissern: Wie lange? Warum, wieso? Wie viel? Nie das erste Ausgemachte für bare Münze nehmen. Zudem sollte man immer mehr als ein Angebot einholen – gerade, wenn man so viel umbaut oder einrichtet wie wir.