Immer mehr Städter ziehen aufs Land: Die beliebtesten Orte
Wien ist, wie andere Städte, in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Während des Lockdowns hat das Leben in der Stadt jedoch an Attraktivität eingebüßt: zu wenig Grün- und Freiräume, Lärm und dicke Luft. Außerdem haben Unternehmen einiger Branchen feststellen können, dass Homeoffice funktioniert – sie sich dadurch Kosten sparen.
Die Nähe zum Arbeitsplatz ist für Arbeitnehmer dadurch weniger wichtig geworden, denn das Homeoffice ist überall schnell eingerichtet. Die Folge: Viele Stadtbewohner zieht es auf der Suche nach einem lebenswerteren Umfeld aufs Land, in die Dörfer und Bezirksstädte.
10 Prozent wollen raus aus der Stadt
Eine aktuelle Umfrage von s Real zeigt anschaulich, was sich zwischen der Zeit vor dem Lockdown und danach verändert hat. Im Jänner und Februar haben noch 34 Prozent die Bundeshauptstadt als Wohnort bevorzugt, im Mai und Juni waren hingegen nur noch 25 Prozent mit ihrer Stadtwohnung zufrieden.
Jene neun Prozent, die der Stadt den Rücken kehren wollen, zieht es nun in ländlichere Gegenden. s Real Geschäftsführer Michael Pisecky erklärt: „Früher war die Wohnung in der Stadt mit Terrasse der angestrebte Wohnwunsch, seit zwei bis drei Jahren ist es das Einfamilienhaus im Grünen. Durch Corona hat sich dieser Trend sprunghaft verstärkt.“
Homeoffice verstärkt Nachfrage
Kaufinteressenten nehmen weitere Strecken in Kauf, wenn sie dafür zu günstigeren Preisen zu Eigentum kommen. Doch wie weit sind sie bereit zu fahren? „Im Süden entlang der Südbahn bis Gloggnitz, von hier braucht man eine Stunde nach Wien. Wenn der Semmeringtunnel einmal fertig ist, wird die Zugverbindung noch besser“, so Martina Jankoschek.
Weitere Strecken, etwa Richtung Wechsel, nehmen Käufer nur für Wochenendhäuser in Kauf. Für ein Einfamilienhaus als Hauptwohnsitz im Westen Niederösterreichs werden Fahrzeiten maximal bis Melk in Kauf genommen, so Peter Brandstetter, und bis ins südliche Waldviertel.
Nachfragen in Niederösterreich verdoppelt
Das ist mittlerweile auch am Markt spürbar. Die Anfragen nach Wohnimmobilien in Niederösterreich haben sich laut Johannes Wild, Obmann des Fachverbands der Immobilientreuhänder in Niederösterreich, verdoppelt. „Viele Interessenten wollen unbedingt besichtigen, irgendetwas auf dem Land, um aus der Stadt hinaus zu können“, sagt Martina Jankoschek, Teamleiter Niederösterreich Süd und Burgenland von Raiffeisen Immobilien.
„Wir können die Nachfrage gar nicht bedienen“, sagt Peter Brandstetter, Teamleiter Niederösterreich West und Mitte von Raiffeisen Immobilien. Gesucht werden vor allem Einfamilienhäuser mit 130 bis 160 Quadratmetern Wohnfläche samt kleinem Garten – und das nicht nur in kurzer Distanz zur Stadt.
KURIER: Was ist während der Ausgangsbeschränkungen geschehen, das den Wunsch nach einem Haus am Land geweckt hat?
Anja Aichinger: Die meisten Menschen haben keinen individuellen Freiraum in der Stadt. Daher werden Wohnungen durch öffentliche Räume wie Parks funktionell erweitert. Das war während der Corona-Zeit nur eingeschränkt möglich.
Dadurch wurden die Wohnungen stärker beansprucht und gleichzeitig waren in der Stadt auch Orte, an denen normalerweise wenig Menschen unterwegs sind, einem verstärkten Nutzungsdruck ausgesetzt. Das hat das Abstandhalten schwierig gemacht. Am Land war das einfacher. Hier gibt es mehr Wohnformen mit privatem Freiraum, der immer genutzt werden kann.
Die Natur spielt keine Rolle?
Die Natur – im privaten und im öffentlichen Freiraum – spielt eine zentrale Rolle, sie bietet Erholung. Auch das Thema Selbstversorgen ist während der Corona-Zeit verstärkt ein Thema geworden.
Wie viele Menschen werden diesem Bedürfnis tatsächlich nachgehen?
Ich kann mir vorstellen, dass sich dieser Trend hält. Durch den Klimawandel werden die Sommermonate zudem stetig heißer und das Leben in der Stadt anstrengender. Wenn der Wunsch aufs Land zu ziehen allerdings nur ein Strohfeuer war, wird er wieder in den Hintergrund treten.
Die Menschen ziehen nicht aus einem spontanen Impuls aufs Land. Finanzierung, Zeit und das soziale Umfeld sind entscheidend. Außerdem muss man auch am Land erst ein passendes Objekt finden.
Was bietet das Land, das auch Wien – die lebenswerteste Stadt der Welt – nicht erfüllen kann?
Speziell in Wien sind die Preise enorm gestiegen und am Land kostet mehr Raum weniger als in der Stadt. Auch das verstärkt genutzte Homeoffice spielt eine Rolle.
Büros werden häufig nur noch für kommunikative und kollaborative Arbeiten genutzt, während konzentriertes Arbeiten zu Hause stattfindet. Über die Wohnortwahl entscheidet vielfach der Arbeitsplatz und wenn dieser räumlich mobil ist, ändert das viel.
Welche Ratschläge haben Sie für Menschen, die nicht aufs Land ziehen können?
Das Einfachste ist, eine Wand grün zu streichen. Der Effekt wird zwar nicht einem Waldspaziergang entsprechen – und trotzdem eine beruhigende Wirkung erzielen. Der nächste Schritt sind Zimmerpflanzen, die auch das Raumklima verbessern.
Im öffentlichen Raum können Wiener beispielsweise beim Urban Gardening oder beim Pflegen einer Baumscheibe Naturkontakt erleben.
Das bestätigt Nina Sillipp vom Verein Interkomm. „Neben der Tatsache, dass die Erfüllung eines Eigenheimes im Waldviertel leistbar ist, sehen viele Homeoffice als Chance, aufs Land zu ziehen oder zurückzukehren. Bauplätze und alte Häuser haben auf einmal einen anderen Stellenwert.“
Was wird gekauft?
Gekauft werden gebrauchte Häuser (nicht Erstbezug), die Preise betragen laut Brandstetter im Westen Niederösterreichs 1.500 bis 1.800 Euro pro Quadratmeter. „In Horn kostet ein Einfamilienhaus mit 150 Quadratmetern Wohnfläche 300.000 Euro. In 50 Minuten ist man mit dem Auto in Wien“, so Johannes Wild.
Die Preise entlang der Südbahn haben laut Martina Jankoschek angezogen: „Gebrauchte Einfamilienhäuser gibt es ab 250.000 Euro. Neue Einfamilienhäuser gibt es am Markt praktisch nicht, sind sich die Experten einig. Doch Bauträger sind auf der Suche nach Grundstücken.
Ortschaften an der Autobahn beliebt
Im Burgenland sind Gemeinden wie Parndorf, Neusiedl am See sowie Hornstein, Mattersburg und Eisenstadt – also Ortschaften an den Autobahnen A4 und A3 – verstärkt gefragt. Ludwig Bresich von den Burgenländer Immobilientreuhändern weiß: „Im nördlichen Burgenland ist die Nachfrage nach hochwertigen Immobilien in den vergangenen Wochen und Monaten – nach einer kurzen Schockstarre im März – vermehrt gestiegen.“
Das treibt die Preise – auch in nach wie vor günstigen Regionen – in die Höhe. In Neusiedl am See werden bereits Quadratmeterpreise um 1.000 Euro für Grundstücke gehandelt, während in Podersdorf für einen Quadratmeter in Seenähe 300 Euro bezahlt werden. Bresich: „Im nördlichen Burgenland finden sich dafür Grundstücke um ein Zehntel dieses Preises.“
Michael Pisecky ergänzt, dass „die Preise für Einfamilienhäuser in infrastrukturguten Lagen am Land weiter anziehen und Wohnungen in der Stadt für Eigennutzer bei Verkaufswunsch länger leer stehen werden.“ Dieser Trend sei nicht neu, habe sich aber durch Corona verstärkt.
Südburgenland für Zweitwohnsitze
Das südliche Burgenland ist vor allem für Zweitwohnsitze interessant. Pisecky: „Der Trend geht seit Jahren von West nach Ost. Die Menschen ziehen von den Bergen ins Flache.“ Das liege an den niedrigeren Immobilienpreisen im Osten – ein Einfamilienhaus ist teilweise um bis zu 40 Prozent günstiger – aber auch an den rauen Wintern und dem stressigen Tourismus im Westen.
Was sich alle Kaufinteressenten wünschen?
Eine gute Anbindung. „Gute öffentliche Infrastruktur, einen Bahnanschluss“, konkretisiert Michael Brandstetter. Das Auto spielt nur mehr eine untergeordnete Rolle. Vor allem Familien sind daran interessiert, aufs Land zu ziehen. „Sie wollen eine bessere Umwelt für ihre Kinder“, schildert Johannes Wild einen der Gründe. „Die Kinder in die Landschule geben zu können“, nennt Jankoschek einen weiteren.
„Corona hat uns gezeigt, wie wir leben, was uns abgeht und wo die Grenzen unseres Wohnraums liegen. Das wird große Veränderungen in der Lebens- und Arbeitswelt mit sich bringen“, sagt Georg Spiegelfeld. Eine Anreise von 40 Minuten aus dem Wiener Umland in die Stadt werde bald zur neuen Normalität gehören. „Für die gute Lebensqualität zahlt sich das für immer mehr Menschen aus.“