Wirtschaft

"Das Problem ist die Maßlosigkeit"

Sie arbeiteten in der Ölindustrie, nun sind Sie Umweltaktivist?
Das stimmt, aber ich hatte in der Ölindustrie keine große Karriere. Ich hatte dort nur „eine Tasse Kaffee“, wie das amerikanische Sprichwort sagt. Ich wurde von Merrill Lynch als Wertpapierverkäufer angeheuert und wollte mich dort spezialisieren, auf Investments in Öl- und Gasbohrungsprogramme für wohlhabendere Kunden. Irgendwann wurde mir klar, dass ich Erfahrungen im Feld brauchte, wenn ich in diesem Geschäft irgendwohin kommen wollte. Also nahm ich mir eine Auszeit und fuhr hinunter nach Louisiana und arbeitete drei Monate lang auf einer Produktionsplattform im Golf von Mexiko. Ich sah dort auch eine Menge Umweltprobleme und Versuche, diese vor den Behörden zu verstecken. Es gab die allgemeine Haltung „Nerv' uns nicht mit deinem Umwelt-Unsinn, geh' aus dem Weg und lass uns den Lebenssaft der Wirtschaft einbringen.“
Die Ansicht der Ölfeldarbeiter und die Unternehmenskultur damals in den frühen 1980er-Jahren, kurz bevor der Ölpreis crashte, konnte am besten mit einem Spruch zusammengefasst werden: „Lasst die Bastarde doch im Dunkeln frieren“. Ich bin jetzt 57, und das ist alles schon lange her, aber ich glaube nicht, dass sich an dieser Einstellung viel geändert hat.
Was sind die Hauptgründe, wieso Sie das Fracken ablehnen?
Ralph Kisberg
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KURIER
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Mit dem Risiko, Sie enttäuschen zu müssen, ich bin nicht gegen Fracking an sich. Es ist ein industrieller Prozess, und es ist ziemlich ausgeklügelt. Es hat eine Menge Schönheitsfehler und potenzielle Fallstricke, die in einem vorhersehbaren Ausmaß auftreten, und die sich scheinbar nicht verbessern. Es ist problematisch und wird es wahrscheinlich immer bleiben, aber zu einem Prozentsatz, der für Politiker akzeptabel ist, auch wenn er es nicht für Leute ist, die mit den negativen Konsequenzen leben müssen. Andere scheren sich nicht, besonders wenn sie viel Geld dabei machen, ihre Land zu verpachten.
Wogegen ich bin, ist die Schiefergasentwicklung, die hierzulande vollzogen wird, und wahrscheinlich auch überall sonst. Zunächst greifen sich extrem mächtige multinationale oder staatlich geführte Unternehmen das Land. Sobald sie das Recht auf Bohrungen auf privatem oder öffentlichem Grund haben, sind diese Rechte, zumindest in den USA, den Rechten der Besitzer für immer vorangestellt. Regierungen und Firmengemeinschaften können den Versprechungen nach Jobs nicht widerstehen, der Verlockung des Geldes und den PR- und Lobbying-Fähigkeiten einer Industrie, die in beidem meisterhaft ist. Schiefergas steuert zu der giftige Bürde bei, die wir alle in unserem Essen, unserer Luft, dem Wasser haben, in weit größerem Ausmaß als bei anderen industriellen Prozessen. Es hat einen gigantischen ökologischen Fußabdruck und braucht Wasser, das laut Vorhersagen am Ende des Jahrhunderts das wertvollste Gut sein wird. Wasser ist die Hauptzutat, um das Produkt günstig zu entwickeln. Und zwar schon durch Fracking, aber die Methode allein ist eben nicht das Problem.
Was ist dann das Problem?
Das Problem ist das Amerikanische Unternehmensmuster der Maßlosigkeit, inklusive der exzessiven Macht und der exzessiven Herstellung von Nachfrage – in diesem Fall nach etwas, das vielleicht als Ergänzung für wirklich saubere Energie sein könnte, in unserem Klima und den meisten anderen nördlichen Teilen der Welt, und zwar für sehr lange Zeit.
Wir bräuchten einen vernünftigen Weg, Schiefergas für Jahrzehnte zu nutzen, bevor wir die Probleme mit erneuerbaren Energien in den Griff bekommen. Das US-Modell ist: verschwenderischer Umgang mit Ressourcen um den Profit jetzt zu maximieren, mit wenig Gedanken an die Folgen in der Zukunft. Es gibt keinen Mangel an tief liegendem Schiefergas in der Welt; doch das Muster wird endlos Gemeinden und Landstriche verwüsten, um daran zu kommen. Das andere Problem ist natürlich der Treibhausgas-Effekt der Schiefergas-Gewinnung und die hohen Ausgaben, die es kosten würde, um effektiv die Methan-Emissionen zu kontrollieren, bis der Punkt da ist, an dem sich Schiefergas für unsere Atmosphäre mehr auszahlt als Öl und Kohle.
Sie leben in Pennsylvania, wo Fracking ein großes Thema ist. Was ist dort passiert?
Nun, zunächst gab es einmal viel PR der Industrie, der Medien, der Regierung darüber, wie toll die Dinge stehen, nun da wir ein Allheilmittel für alle unsere Probleme haben: die Gewinnung von Schieferressourcen. In Pennsylvania leben die meisten Leute eben nicht dort, wo das Gas gewonnen wird. Sie sehen weiterhin, dass Energie relativ billig in ihre Häuser fließt und das ist für sie das Wichtigste. In zwei Dritteln des Staates, wo nur 15 Prozent der Bevölkerung leben, wird mit viel Geld herumgeworfen, und die lokalen Banken borgen viel Geld her. Es gibt Landbesitzer, die werden reich und es gibt Landbesitzer, die werden durch Wasserprobleme, Lärm, Verkehr und Straßenbedingungen aufs Kreuz gelegt. Es gibt Leute mit Zugang zu Kapital, die einen unternehmerischen Geist haben und ein enormes Wachstum in ihrem Geschäft erwarten. Die sind aber bedeutend in der Unterzahl. Die meisten Jobs sind besetzt mit Leuten, die von außerhalb sind und nur hierher kommen, um zu arbeiten. Sie schicken ihre Lohnzettel nach Hause. Unsere Arbeitslosenrate ist höher als vor einem Jahr. Die Mieten in unserer kleinen Stadt sind dramatisch gestiegen, zu Gunsten der Landlords, zum Schaden der Mieter.
Der Staat hat noch immer große Budgetprobleme. Wir haben einen sehr unpopulären Gouverneur, der sich weigert, eine Steuer zu erheben, wie sie fast alle gasproduzierenden US-Bundesstaaten haben. Wir schätzen, es gibt 300 bis 500 Häuser oder Rückzugsorte in Pennsylvania, die übermäßig Methan in ihrem Brunnenwasser haben oder hatten. Methan ist nicht giftig, aber es trat in Mengen auf, die zu Explosionen führen könnten. Die meisten Häuser haben das eingedämmt, oder die Methanquelle für jetzt einmal gestoppt, aber würden Sie ein Haus kaufen mit Gasquellen in der Nähe und einer Geschichte mit gefährlichem Methanlevel im Wasser? Manche Leute beschweren sich über Ausschläge, spontanen Spätfehlgeburten bei den Tieren, und andere medizinische Vorfälle, die natürlich durch alles Mögliche ausgelöst sein könnten. Es gab eine Kontamination des Wassers durch etwas anderes als Methan. Diese kamen generell auf, wenn gebohrt wurde, nicht gefrackt. Die Probleme beim Fracken sind seltener, aber sie hatten mehr Auswirkung. Viele Leute hier haben einen intuitiven Sinn dafür, dass wir irgendwann große Probleme mit der Wasserqualität haben werden, und bald schon mit Wassermangel. Die Zerstörung von wunderschönen, ruhigen und friedlichen Orten, die wir alle als Quelle sauberen Wassers, sauberer Luft und wildem Tierleben brauchen, als Möglichkeit zur Einsamkeit und als Erfahrung der Übermacht der Natur, nicht des Menschen, war zügellos in isolierten Gebieten. Und das hat hier erst angefangen.
Haben Sie konkrete Beispiele?
-Gasausbrüche beim Fracking in Clearfield County und Bradford County, wodurch Rückflüsse in Boden und Ströme ausgelöst wurden. Ein Geysir von Frack-Flüssigkeit in Tioga County; zwölf tote Schafe die vom Brunnen des Farmers tranken, als der Geysir floss. 75 bis 100 Löcher in „Frischwasser“-Anlage, die einen Rückfluss von Frack-Flüssigkeit in den Boden leitete, in der Nähe der kommunalen Wasserversorgungsquellen in Tioga County, fünf Monate lang, bevor es entdeckt wurde. Ein hopsendes Flussbett, mit Methanblasen in Bradford County. Gefährliche Methanlevel in dutzenden Trinkbrunnen im Osten von Lycoming County.
Fahrer, die dabei erwischt wurden, wie sie absichtlich Rückfluss in Felder nahe Muncy und Roaring Branch abfließen ließen.
Was antworten Sie wenn die Menschen sagen...
- „Die USA könnten unabhängig von Importen aus dem Nahen Osten werden“
Wir können zwar viel weniger Öl aus dem Nahen Osten importieren, dank der gestiegen Produktion durch Fracking, aber die Definition von „Unabhängigkeit“ heißt in diesem Land, „mehr Energie aus fossilen Brennstoffen exportieren, als importieren“. Und das wird uns am Ende zurückbringen zu mehr Importen.
„Es würde weniger Kriege für Öl geben“
Vielleicht weniger Eingriffe der USA im Nahen Osten, aber ich glaube, es wird immer Kriege um Öl geben, so lange wir Öl so umfassend nutzen. Öl und Erdgas sind nicht ersetzbar, Gas wird Öl nicht vollständig ersetzen.
Fracking wird die Atomenergie eindämmen“
Naturlich könnte es das. Aber um welche Kosten? Und wie lange wird es brauchen, es würde mehr Strom kosten als Atomenergie zu gewinnen.
Viele Menschen fühlen gerade einen regelrechten Goldrausch. Kann Fracking dann überhaupt gestoppt werden?
Dort wo die Entwicklung noch nicht hingekommen ist, schon, wie Frankreich oder andere Länder, die ihre ländlichen Gebiete wertschätzen für das was sie sind, nicht für das was sie daraus gewinnen können. Fracking wird nicht aufgehalten werden, so lange wir Öl nutzen.