Cernko: "Empfinde vieles als abstoßend"
Von Michael Bachner
Überdies hält der Spitzenbanker die Debatte über die Reichensteuer für eine Sackgasse. Der Banker im KURIER-Interview.
KURIER: Abseits der Krisen- und Schuldenfrage dominiert die Telekom-Affäre die Debatte. Versinkt die Republik im Skandal-Sumpf?
Willi Cernko: Persönlich empfinde ich vieles, was ich derzeit tagtäglich lese, einfach als abstoßend. Da haben einige offenbar jeden Anstand verloren und den Hals schlicht nicht voll gekriegt. Aber ich habe schon auch das Gefühl, dass hier zu viel gequatscht wird und zu wenig Taten gesetzt werden. Alle, die in Politik und Wirtschaft Verantwortung tragen, sollten mehr tun und weniger reden. Es geht insgesamt um die Wiederherstellung von Vertrauen. Das wird Jahre dauern.
Sie wollen, dass ein Exempel statuiert wird, damit das Vertrauen in die Justiz wiederhergestellt wird?
Die Justiz ist sicher in einer extrem schwierigen Situation. Aber ich sehe das gesamthaft: Ist es beispielsweise akzeptabel, dass ein hoher Repräsentant einer politischen Partei ( Uwe Scheuch, Anm. ) sein Amt trotz erstinstanzlicher Verurteilung nicht zur Verfügung stellt? Das wäre für mich das Minimum. Genauso gibt es massive Verfehlungen aufseiten der Wirtschaft. Da geben wir natürlich ein grottenschlechtes Bild ab.
Auch in der Steuerdebatte wird viel geredet und wenig getan. Wie stehen Sie zur Reichensteuer?
Ich für meinen Teil habe kein Problem damit, auch wenn ich schon 50 Prozent Steuern zahle. Aber abgesehen davon halte ich diese Debatte für eine absolute Sackgasse, weil sie die Probleme nicht löst. Zur Konsolidierung des Budgets müssen wir die Ausgaben bremsen - von der Verwaltung bis zu manchem Bereich des Wohlfahrtsstaates. Aber gleichzeitig muss man auch Gas geben und substanziell in die Zukunft investieren. Ich denke etwa an das Chaos an den Universitäten. Das kann man nicht mehr verstehen. Die nötigen 200 bis 300 Millionen Euro müssen einfach da sein.
Braucht man auch ein neues Konjunkturprogramm? Die Daten zeigen ja bereits deutlich nach unten.
Nein, das sehe ich nicht. Man muss die nötigen Reformen angehen, man kann das nicht aussitzen. Es geht um die Prioritätensetzung. Lassen Sie uns die Treppe von oben kehren.
"Wir brauchen klare Spielregeln für alle europäischen Banken"
Die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers und damit der Beginn der globalen Finanzkrise, jährt sich am 15. September zum dritten Mal. Wie fällt Ihre Krisen-Zwischenbilanz aus?
Was man positiv anmerken muss, war die sehr rasche und konsequente Hilfe auf nationalstaatlicher Ebene. Das ist in Österreich sicher sehr gut gelungen. Zwei grundsätzliche Aber: Man hat es nicht geschafft, wirkungsvolle europäische Krisenmechanismen aufzusetzen. Also das Erkennen, dass wir nur gemeinsam gestärkt aus dieser Krise hervorgehen können. Und zweitens der fehlende Schulterschluss zwischen Wirtschaft und Politik.
Was schwebt Ihnen da vor?
Man separiert viel zu sehr, statt zusammenzuführen. Die Regulatoren müssen neue Spielregeln erfinden. Die Banken stehen weiter in der Schmuddelecke. Die Realwirtschaft steht weit abseits und will nicht mit uns vermengt werden. Und die Politik schaut sich das Ganze aus einer relativ weiten Distanz an. Und in Wirklichkeit hat man es bis heute nicht geschafft zu diesem Schulterschluss zu kommen. Darunter verstehe ich einen Mechanismus, in dem gemeinsames Krisenmanagement greift, statt der bisherigen sehr personenbezogenen, ho-ruck-artigen Politik, mit wenig nachhaltiger Konsequenz.
Aber selbst die Banken unter einander trauen einander doch nicht mehr über den Weg. Jetzt gibt es den politisch heiklen Vorschlag, dass der Euro-Rettungsschirm auch Banken, die sich in Schieflage befinden, auffangen soll. Hilfreich?
Diesen Vorschlag sehe ich durchaus kritisch. Er lenkt wieder davon ab, die Hausaufgaben zu machen. Das ist eine Parallele zum Euro-Bond. Was wir brauchen, sind klare einheitliche Spielregeln für alle europäischen Banken auf regulatorischer Ebene unter verstärkter Berücksichtigung der Unterschiede zwischen Kundenbank und Investmentbank. Stattdessen zielt der von Ihnen zitierte Vorschlag wieder nur auf eine nachträgliche Symptombehandlung. Wir verabreichen immer Kopfwehpulver.
Eurobonds, Wirtschaftsregierung, Zweiteilung der Eurozone bis hin zu den Vereinigten Staaten von Europa. Was macht Sinn?
Ich bin ein großer Fan davon, dass sich alle EU-Mitgliedsstaaten gemeinsame Spielregeln geben, aber sich auch Sanktionen unterwerfen, wo man wirkliche Konsequenzen spürt, nicht nur symbolische Strafzahlungen.
Das bedeutet?
Das kann die Reduktion oder den zeitweisen Entzug von Stimmrechten bedeuten. Wir spielen nach gemeinsamen Spielregeln, und wer nicht regelkonform spielt bekommt die blaue Karte des Zeitausschlusses. Die Vereinigten Staaten von Europa würden für meine Begriffe zu weit gehen. Die Verantwortung der nationalen Parlamente darf nicht infrage gestellt werden, ganz im Gegenteil. Die Politik muss auf jeder Ebene ein ausreichendes Commitment zeigen, diese Krise zu lösen.
Die Griechenland-Krise könnte zehn Jahre dauern, sagt die Notenbank. Wird die Krise zum Dauerzustand?
Solange wir uns nicht auf neue gemeinsame Spielregeln einigen, die die Märkte akzeptieren, weil wir sie ernst meinen und nötigenfalls Konsequenzen ziehen, solange wird die Krise ein Dauerzustand sein. Danach kann man über Dinge wie einen größeren Haircut für Griechenland debattieren. Aber zuerst muss es klare Spielregeln geben. Sonst laden wir nur wieder die Spekulanten ein.
Ist Ihr Konzern, die UniCredit-Gruppe, ein Übernahmekandidat? Der Aktienkurs ist im Keller.
Nein, sicher nicht. Wenn es heute einen Markt nicht gibt, dann den Markt, Banken zu kaufen.
Wie sehr belastet die Gaddafi-Geschichte? Das alte libysche Regime hat ja ein maßgebliches Aktienpaket an UniCredit erworben ...
Gar nicht, weil es klare Regeln auf der Ebene der EU und der Vereinten Nationen gibt (das Kapital und die Stimmrechte wurden eingefroren, Anm. ). Jetzt geht es darum, mit der neuen Regierung zu neuen Vereinbarungen zu kommen. Das sehen wir sehr positiv, weil es hier ein sehr großes Interesse gibt, zu einem zivilisierten Neuanfang zu kommen.