„Auffangnetz“ der überbetrieblichen Lehre ist noch lange nötig
Von Anita Staudacher
In einem Raum hängt die Praxis an der Wand, im Raum nebenan folgt die Theorie auf dem Bildschirm: Die überbetriebliche Berufsausbildung (ÜBA) beim bfi Wien ist voll vernetzt. Da werden Schaltkreise verlegt, elektrische Verbindungen überprüft, Rollos per Handy gesteuert. „Wir sind auf den modernsten Stand der Technik, da können wir mit großen Konzernen durchaus mithalten“, sagt Ausbildungsleiter Gottfried Schmidl zum KURIER.
Insgesamt 77 Lehrlinge werden in der vom AMS finanzierten Lehrwerkstätte Wien-Brigittenau derzeit in Metall- und Elektroberufen ausgebildet. Die Berufschancen sind ausgezeichnet, der Großteil der Jugendlichen wechselt schon während der Lehrzeit in einen regulären Betrieb. Das war nicht immer so. Noch vor einigen Jahren blieben die Lehrlinge mangels betrieblicher Lehrplätze die volle Ausbildungsdauer in der seinerzeit als „Auffangnetz“ für schlecht qualifizierte Schulabgänger eingerichteten ÜBA.
Kürzungen geplant
Geburtenrückgang und anziehende Konjunktur verbesserten die Jobchancen, die neue Regierung will die teuren Ersatz-Lehrstellen daher stark reduzieren und die Förderung lieber den Betrieben geben. Die AMS-Landesgeschäftsstellen können aber über die Budgets selbst entscheiden. AMS-Wien-Chefin Petra Draxl hält die Lehrwerkstätten noch lange nicht für überflüssig: „Erst wenn alle unsere Jugendlichen von den Betrieben übernommen werden, hören wir sofort mit der ÜBA auf“, sagt sie. Davon kann keine Rede sein. Die Zahl der Ausbildungsbetriebe in Wien sinkt kontinuierlich und die Probleme im Übergang Schule-Beruf werden mit steigender Zuwanderung nicht kleiner.
Ausbildungspflicht
Im Rahmen der seit 2017 geltenden Ausbildungspflicht bis 18 Jahre spielt die ÜBA in Wien eine wichtige Rolle. Ziel ist, dass alle Jugendlichen eine weiterführende Schule oder Berufsausbildung abschließen. Als Schnittstelle zwischen Schule und Beruf soll die ÜBA in erster Linie Ausbildungsabbrüche verhindern. AMS Wien und Wiener Stadtschulrat wollen deshalb die ÜBA enger mit Schulen vernetzen. Vorbild ist (Nord)-Deutschland, wo für die „mittlere Reife“ eine berufliche Grundausbildung in Werkstätten vorgesehen ist.
Wiens Stadtschulratspräsident Heinrich Himmer möchte mit der ÜBA auch die Berufsorientierung in den Schulen verbessern. So kämen viele Unterstufen-Schüler mit den praktischen Lehrberufen kaum in Berührung, ein regelmäßiger „Tag der offenen Tür“ in den breit aufgestellten Lehrwerkstätten könne das ändern. „Es geht auch darum, mehr Mädchen für technische Lehrberufe zu begeistern“, ergänzt er.
Der Mädchenanteil in der ÜBA beträgt derzeit nur 33 Prozent und soll gesteigert werden. Im Fokus sind die Schulabbrecherinnen, insbesondere mit Migrationshintergrund. Frühe Bildungsabbrüche seien in Wien nicht nur ein Burschen-Problem, erläutert Draxl. Im Gegensatz zu den Männern finden junge Frauen aber schwerer wieder zurück ins Ausbildungssystem und ziehen sich oft ins Privatleben zurück: „Es ist wichtig, die Mädchen zu erreichen, bevor sie für den Arbeitsmarkt verloren gehen.“ Ausbildner Schmidl erzählt, dass weibliche Lehrlinge in der Elektrotechnik dann meist die ersten seien, die von Betrieben wegengagiert werden.
9000 Jugendliche sind in Ersatzlehrstellen
ÜBA
Österreichweit sind rund 9000 Lehrlinge in einer überbetrieblichen Ausbildungsstätte (ÜBA), 4000 davon in Wien. Die Ausbildung ist ein Mix aus Lehre, Betriebspraktikum, Berufsschule und sozialpädagogischer Betreuung. Die Kosten betragen in Wien rund 70 Mio. und österreichweit 150 Mio. Euro. Das bfi ist der größte Ausbildner.
Drop-Outs
Jährlich fallen mehr als 5000 Jugendliche aus dem Bildungssystem. Das Risiko, später dauerhaft arbeitslos zu sein, ist hoch. Seit 2017 gibt es daher die Ausbildungspflicht bis 18 Jahre.