Die DFB-Elf als Aufreger
Die Fußballwelt stand Kopf. Deutschland sowieso. So richtig fassen konnte es niemand. Und das Mitteilungsbedürfnis über das historische Ereignis nahm nie dagewesene Formen an. Getwittert wurde, bis die Rekordmarke fiel.
Unmittelbar nach dem 5:0 durch Khedira feuerten die Menschen 580.166 Tweets pro Minute ab. Insgesamt wurden während des deutschen Lehrspiels für die Brasilianer 35,6 Millionen Kommentare in Twitterform abgegeben.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel war in ihrer Fußballbegeisterung kaum zu stoppen. Selbst von den Chinesen nicht: Deutschlands Regierungschefin drängte bei ihrem Besuch im Reich der Mitte darauf, rechtzeitig den Rückflug anzutreten, um das Spiel im Fernsehen ja nicht zu verpassen. Merkel wird am Sonntag gemeinsam mit Bundespräsident Joachim Gauck auf der Ehrentribüne in Rio de Janeiro sitzen.
Die Erwartungshaltung ist nun in Hinblick auf das Finale enorm gestiegen. Auch beim neuen WM-Rekordtorschützen Miroslav Klose. Seinen 16. Treffer konnte er allerdings nicht in der von ihm gewohnten Manier feiern: "Bei meinem Tor habe ich einen Schlag abbekommen, da war ich nicht in der Lage, einen Salto zu machen." Aber es fehle noch der Titel, "und wir ziehen das bis zum Ende durch."
Auswirkungen
Aber was bedeutet dieses historische Ergebnis für das Finale? Ist Deutschland jetzt tatsächlich der vorprogrammierte Weltmeister? Trainer Joachim Löw bleibt wie immer vorsichtig: "Ich ordne es so ein, dass der Gastgeber diesem Druck nicht standhalten konnte. Ich kann es nachempfinden, wie es Scolari geht, der brasilianischen Nation, der brasilianischen Seele."
Aber für das Endspiel würden wieder neu gemischte Karten auf dem Tisch liegen. "So ein Spiel lässt sich nicht wiederholen, der Gegner wird sich gegen uns mit Sicherheit anders präsentieren." Defensiver wahrscheinlich, ganz bestimmt konsequenter und kompakter als die in ihre Einzelteile zerlegten Brasilianer.
Nein, man solle das Ergebnis jetzt nicht zu hoch hängen. Die Erkenntnisse, die der Teamchef gewonnen hat, sind nicht nur die Treffsicherheit von Klose, sondern auch die Leistung des überragenden Toni Kroos. Löw weiß: "Er ist immer anspielbar. Die Dinge, die er macht, haben Hand und Fuß. Unser Mittelfeld ist bei dieser WM immer sehr dominant. Und Kroos hat einen großen Teil dazu beigetragen."
Ebenfalls als Impulsgeber hoch im Kurs: Sami Khedira. Der Mittelfeldspieler von Real Madrid – und damit wahrscheinlich bald Mannschaftskollege von Kroos – hatte sich nach einem Kreuzbandriss wieder in die Startelf gekämpft. Löw hielt ihm diesen Platz frei, auch, als alles noch nicht so positiv ausgesehen hatte. Nach dem Spiel gegen Brasilien war der Bundestrainer voll des Lobes: "Diese physische Präsenz, diese Dynamik auch in den Zweikämpfen und vor allem auch, dass er aus dem Mittelfeld immer wieder in die Spitze stößt, ist schon eine große Stärke von Sami."
Die Gefahr, vor dem Finale in kollektiven Jubel zu verfallen, scheint gering. Kapitän Philipp Lahm hat die warnenden Beispiele vor Augen: "Wir sind zwei Mal zuvor in einem WM-Halbfinale ausgeschieden. Das haben wir uns jetzt redlich erarbeitet."
Mehr Erfahrung
Was zählt, ist der Erfahrungswert. Auch das schlug sich gegen die Brasilianer nieder: In der Startelf hatte im Schnitt jeder Deutsche 66 Länderspiele auf dem Buckel. Jeder Brasilianer konnte gerade auf 38 Teameinsätze verweisen. Ein Vorteil, der sich besonders in den verrückten sieben Minuten vom 2:0 (23.) bis zum 5:0 (29.) bemerkbar machte. "Wir haben ein Tor nach dem anderen gemacht, das konnte man zwischendurch kaum glauben", staunte der herausragende Kroos.
Deutschlands Team ist nach dem Triumph wieder in das Basiscamp Campo Bahia zurückgekehrt. Auf dem Programm stand dort vor allem Regeneration. Ab Donnerstag richtet sich der Fokus auf das Finale, am Freitag reisen die Deutschen zur Entscheidung nach Rio.
Ein geschichtsträchtiges Spiel in Bildern
Hupkonzerte, Autokorsos, Fahnenmeere. Seit 2006 werden in Deutschland Erfolge der Nationalmannschaft ausgelassen gefeiert. Da lieferte der 7:1-Triumph gegen Brasilien einen ganz besonderen Grund. Die grandiose Vorstellung des Teams von Bundestrainer Joachim Löw ließ viele vergessen, dass sie das Halbfinale völlig durchnässt erleben mussten – vor und zum Teil während des Spiels hatte es in vielen Regionen heftig geregnet, es gab Gewitter und Sturm. Ausschreitungen gab es hingegen nicht.
Die Berliner Fans hatten Glück: Nach einem heftigen Unwetter am Nachmittag blieb die Fanmeile mit einigen Zehntausend Anhängern am Brandenburger Tor während des Spiels trocken. „Jetzt werden wir auch Weltmeister“, riefen viele immer wieder. Rund um den Kurfürstendamm tobten sich Fans mit Autokorsos und Dauerhupen aus.
Böller-Unfall
In München konnten Nieselregen und Kälte die Fans nicht aufhalten – rund 8500 Menschen verfolgten im Olympiastadion den Kantersieg. Mit Hupen und Musik fuhren Fans nach dem Spiel durch die Stadt und zogen singend durch die Straßen.
In Hamburg war weit weniger los als bei den vorherigen Spielen: 3500 Fans schauten auf dem Heiligengeistfeld durch Regentropfen hindurch auf die 92 Quadratmeter große Leinwand. Zum Vergleich: Das Viertelfinale Frankreich – Deutschland hatten in der Hansestadt 47.000 Menschen gemeinsam verfolgt. In Hamburg verlor ein Mann nach der Fan-Feier ein Fingerglied, weil ein Böller in seiner Hand explodierte.