Leben/Mode & Beauty

Eine Schneiderlehre als Sprungbrett

Dass er eines Tages in einer Trachtenwerkstatt arbeiten würde, hätte sich Mohammed Reza Madjidi wohl nicht gedacht. „Ich habe in Linz zum ersten Mal vom Dirndl gehört“, erzählt der 18-Jährige mit positivem Asylbescheid.

Hahn im Korb

Insgesamt ein Jahr war der Afghane auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg, bevor er in Linz und später in Seewalchen ein neues Zuhause fand. Der Grund für den Umzug in das beschauliche Örtchen am Attersee: eine Lehrlingsstelle bei Tostmann Trachten. „Reza musste sich wie jeder andere auch für die Lehrstelle bewerben. Nach einem erfolgreichen Schnuppertag haben wir uns für ihn entschieden“, erzählt Geschäftsführerin Anna Tostmann.

Bereits in seiner Heimat Afghanistan arbeitete er bei einem Schneider, mit der Lehre im oberösterreichischen Traditionsbetrieb kann er seinen großen Traum nun weiterverfolgen. „Ich möchte Designer werden. Ich will meine eigenen Ideen mit Farben, Stoffen und Schnitten umsetzen. In Afghanistan ist traditionelle Kleidung sehr bunt und wunderschön bestickt.“

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Bis es soweit ist, lernt Reza, wie man das perfekte Dirndl herstellt. Für das Team bei Tostmann Trachten ist er nicht nur aufgrund seiner Vergangenheit ein besonderer Mitarbeiter. „Reza ist unser einziger männlicher Lehrling“, sagt die Geschäftsführerin. Ihn selbst stört die Rolle als Hahn im Korb nicht im Geringsten. „Ich habe mich bereits beim Schnuppern sehr wohl gefühlt, meine Kolleginnen waren sehr hilfsbereit. Andererseits musste ich auch viele Fragen beantworten“, sagt er. Ein gemeinsamer Abend mit den anderen Lehrlingen zu Beginn seiner Ausbildung ließ das Eis schnell brechen. „Wir sind ausgegangen, waren tanzen und Kebab essen. Das war sehr schön.“


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Ein Team, das Halt gibt und motiviert, ist für Reza noch wichtiger als für andere seines Alters. Nachdem er als 15-Jähriger gemeinsam mit seinen Eltern in den Iran flüchtete, reichte das Geld nicht mehr, um mit den Eltern weiterzureisen. „Meine Mutter verkaufte ihren Goldschmuck und borgte bei Bekannten Geld aus. So konnte ich alleine nach Europa flüchten.“ In Linz wurde er von der „Volkshilfe Oberösterreich“ unterstützt, bis er sich bei Tostmann Trachten um die Lehrstelle bewarb. Seitdem lebt er in einer Mitarbeiterwohnung des Unternehmens zur Miete.

Syrische Leckereien nebenan

Gleich nebenan baut sich eine weitere Familie ihre Zukunft in Österreich auf. Der syrische Flüchtling Dergham wohnt hier mit seiner Frau. Eine Freundin der Tostmanns hatte erzählt, dass eine junge Familie dringend eine Mietwohnung suche und eine ihrer Immobilien stand zu dieser Zeit frei. Der gelernte Koch arbeitet nun im 100 Meter entfernten Restaurant und lässt seine Herkunft in die Gerichte einfließen. Gäste können sich neben täglich frisch gebackenen Kuchen mit Linsensuppe, Gemüsecurry und Hummus verwöhnen lassen. „Er legt großen Ehrgeiz an den Tag“, zeigt sich Anna Tostmann beeindruckt. „Seine guten Deutschkenntnisse hat er sich zum größten Teil selbst beigebracht.“

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