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Herbert Nitsch über Neuanfang

freizeit: Herbert, vor etwas mehr als einem Jahr hattest du beim Apnoe-Tauchen einen schweren Unfall und warst ein Pflegefall. Wie geht es dir heute?

Herbert Nitsch: Würde ich etwas anderes sagen als: „Es könnte besser sein“, wäre ich wohl kein echter Mundl. Es heißt ja immer, wir jammern gerne. Andererseits geht ein echter Wiener nicht unter.

Dein Plan im Juni 2012 war, ohne Sauerstoff mit Hilfe eines Schlittens 249 Meter zu tauchen. Etwas, das Ärzte für unmöglich hielten. Warum hast du es trotzdem gemacht?

Die meisten Ärzte kennen Apnoetauchen nur vom Hörensagen. Es gibt auch weder Feldstudien noch zahlenmäßig relevante Forschungsergebnisse dazu. Unsere Medizin erkennt erst das Nachweisbare an, alles andere wird zumindest bezweifelt, oder wie du sagst, für unmöglich gehalten. Ich höre auf meinen Körper und taste mich an seine Grenzen heran.

Bei deinem Rekordversuch bist du am 6. Juni 2012 aber verunglückt und laborierst noch heute an den Folgen. Hatten die Ärzte nicht doch recht?

Der Grund für meinen Unfall war nicht die Tiefe. Ich hatte Erfahrungen von meinem 214-Meter-Tauchgang, bei dem es mir sehr gut gegangen ist. Es ist viel zusammengekommen. Ein Sponsor ist ausgefallen, das Wetter war schlecht und ich hatte zu wenig Zeit für das Training. Aus 200 geplanten Trainingstauchgängen wurden zehn, weil ich mich um die Planung kümmern musste. Ich war gestresst und die Konzentration war weg. Das sind keine guten Voraussetzungen, etwas zu tun, was keiner je zuvor gewagt hat. Ohne Stress hätte es höchstwahrscheinlich ohne körperliche Schäden geklappt.

Was hätte es verändert, wenn du vorher mehr getaucht wärst?

Ich hätte meine Körper langsam an die große Tiefe gewöhnt. Aber ich war davon getrieben, das Datum einzuhalten, damit Medien und Sponsoren nicht abspringen. Dann sind ein paar Leute ausgefallen und ich musste noch mehr selber machen. So haben die Dinge ihren Lauf genommen.

Hast du im Vorfeld in Betracht gezogen, körperliche Schäden davonzutragen?

Ich habe versucht abzuwägen, wie gefährlich es werden kann. Dass es so gefährlich wird, hätte ich nie gedacht. Mein Restrisiko war, dass der Rekordversuch scheitert. Aber mit den Schlaganfallsymptomen habe ich nie gerechnet.

Was hat dich nach dem Unfall am meisten beeinträchtigt?

Ich habe noch immer Gleichgewichtsprobleme, die anfangs noch schlimmer waren. Meine Augen waren auch ein Problem. Das lässt sich schwer beschreiben. Es ist in etwa so, wie wenn man stark betrunken ist und man eine Zeit lang braucht, Dinge zu realisieren. Das ist aber jetzt besser geworden.

Wirst du je wieder der Alte sein?

Mit hundert Prozent rechne ich zwar nicht, aber mit 99 Prozent. Da wäre ich schon zufrieden.

Wie haben die Ärzte deine Heilungschancen eingeschätzt?

Sehr schlecht. Sie hätten nie damit gerechnet, dass ich hier sitze und ein Interview geben kann. Ich bin auch schon vor Weihnachten gegen den Rat der Ärzte aus der Reha raus, weil ich glaube, dass der Alltag die beste Reha ist.

Kannst du das beschreiben?

Man hat mehr Herausforderungen zu meistern, als im geschlossenen Umfeld einer Klinik. Der Alltag ist schwieriger, man macht aber bessere Fortschritte. Ich bin bald wieder auf einem Rad gesessen, und wenn ich mir eine Hose anziehe, dann stehend auf einem Bein und nicht sitzend. Ich putze meine Zähne mit der rechten Hand, die beeinträchtigt ist. Das hat mich meinem Ziel, wieder selbstständig zu werden, schneller näher gebracht.

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Wenige Menschen schaffen es, nach einem Unfall so motiviert zu sein. Kommt dir da deine Vergangenheit als Profi-Sportler zugute?

Man wächst, wenn man sich im Leben immer wieder Hürden setzt. Es ist im Moment sehr demotivierend, nicht zu funktionieren, wie man es sich erwartet. Aber das Um und Auf ist, nicht aufzugeben, sich Ziele zu setzen und einen Schritt nach dem anderen zu machen. Viele Leute versuchen das gar nicht.

Hattest du nie dunkle Stunden?

Gleich nach dem Unfall hatte ich mental ein ziemliches Tief. Ich wusste nicht, wie weit das wieder wird mit mir, weil die Prognosen so schlecht waren. Da habe ich mir schon gedacht: „Wenn ich das nicht wieder hinbekomme mit der Genesung, dann wozu das alles noch?“

Wie konntest du dich schlussendlich aus dem Tief befreien?

Es klingt komisch, aber die Fahrt mit den Öffis ins Rehazentrum in Wien Meidling hat mir einen gewissen Auftrieb gegeben. Ich habe im Reha-Zentrum so viele Menschen gesehen, die sich gehen lassen, statt auf Besserung zu hoffen und dafür zu kämpfen. Da dachte ich mir: „So sicher nicht.“ Trotz meiner Defizite ging es mir viel besser als ihnen.

Wärst du heute froh, hätte es im Vorfeld deines Rekordversuchs einen Menschen geben, der gesagt hätte: „Bitte mach es nicht. Es ist zu gefährlich.“?

Die hat es gegeben. Aber wenn sich Menschen bei ihren Aussagen nur auf ihre Intuition berufen, halte ich nicht sehr viel davon. Wenn jemand sachliche Argumente hat, dass etwas gefährlich werden könnte, ist das etwas anderes.

Als ich dich vor einigen Jahren schon einmal interviewt habe, warst du ebenso rational wie heute. Hat der Unfall auch deine emotionale Seite freigelegt?

Ich hatte in den vergangenen Monaten viel Zeit, an die Decke zu schauen und nachzudenken. Das klingt jetzt esoterisch, aber ich habe nun einen anderen Zugang zum Freitauchen und sehe es gesamtheitlicher. Es geht mir nicht mehr nur darum, von A nach B zu kommen, sondern die Dinge besser wahrzunehmen.

Wirst du jemals wieder Apnoe-Tauchen?

Wettkampfmäßig sicher nicht. Aber Tauchen werde ich natürlich weiterhin. Dabei bin ich nicht beeinträchtigt, kann nicht umfallen und fühle mich frei.

In der berührenden Dokumentation „Zurück aus der Tiefe“ über deinen Unfall, die auf Servus TV gezeigt wurde, sieht man dich mit Haien schwimmen. Du liebst die Gefahr offenbar noch immer.

Es gibt so viele Haiarten. Manche Haie sind gefährlich, manche wieder nicht. Aber viel wichtiger als das ist, im Auge zu behalten, wie die Tiere reagieren. Wenn der Jagdinstinkt ausgelöst ist, sind Haie aufgeregt und schwimmen schneller. Menschen greifen sie ohnehin nur aus Verwechslung an. Die Chance, von einer Kokosnuss erschlagen zu werden, ist statistisch gesehen wesentlich höher, als von einem Hai angegriffen zu werden. Wer hat schon Angst vor einer Kokosnuss?

Keith Richards vielleicht. Der hat sich mal den Kopf verletzt, als er angeblich eine pflücken wollte.

Das ist wohl der Einzige, der uns einfällt. Es gibt wesentlich gefährlichere Begegnungen als mit Haien, zum Beispiel täglich im Straßenverkehr.

Du willst dich in Zukunft auch für die Rettung der Weltmeere einsetzen. Ein hohes Ziel für einen Österreicher.

Auch Menschen aus kleinen Ländern können große Ziele haben. Es ist fast wie ein Kampf gegen Windmühlen, aber es wäre nicht mein erster. Ich möchte in meinen Vorträgen aber nicht für Verbote und Vorschriften plädieren, sondern auf die Folgen hinweisen, die die Verschmutzung der Meere hat. Diese Bewusstseinsbildung sollte auch jemandem aus dem „kleinen Österreich“ möglich sein.

Wie wirst du dem Wasser sonst noch verbunden bleiben?

Ich überlege ernsthaft, die Hälfte des Jahres auf einem Boot zu leben, das ich auch selber bauen werde. Es soll ohne Treibstoff angetrieben werden und trotzdem schnell sein. Eigentlich hätte es heuer noch fertig werden sollen, aber das ist leider illusorisch.

Du wohnst direkt am Ufer der Donau. Ziemlich sicher wird dein Boot nicht hier vor Anker liegen.

Nicht wirklich. In der Südsee ist es etwas schöner. Dort will ich hin.

Wolltest du nicht auch ein U-Boot bauen?

Das war schon vor dem Unfall mein Plan, den ich auch realisieren werde.

Das sind ja schon wieder ganz schön viele Vorhaben für die Zukunft.

Natürlich muss man lernen, den Moment zu genießen. Aber ohne Pläne ist man ziellos. Man braucht schon eine Karotte.