Zwischen Flugangst und Faszination
Thomas Morgenstern ist Olympiasieger, er hat bei einer Weltmeisterschaft gewonnen, er war schon Bester im Gesamtweltcup. Und er steht auch auf der Siegerliste der traditionellen Vierschanzentournee. Thomas Morgenstern ist ganze 25 Jahre jung und hat schon in seinem Sport alles gewonnen, was es zum Gewinnen gibt. Nur noch ein Titel fehlt ihm zum totalen Ruhm, der des Weltmeisters im Skifliegen. Morgenstern gilt aber als guter Flieger, als mutiger Bursch, der schon einmal erst nach 232 Metern gelandet ist.
Überwindung
Das war in Planica. Und er gibt unumwunden zu: "Wenn ich von Angst und Skifliegen rede, dann meine ich Planica. Diese Schanze hat eine eigene Charakteristik. Die Spur holpert, der Wind ist tückisch. Da spielt Respekt mit und vor dem ersten Flug sogar ein bisschen Angst." Auf dem Kulm verhinderten am Freitag Schneefall und Wind die ersten Flüge, Training und Qualifikation wurden abgesagt. Die Schanze in der Steiermark gilt als modern und weit weniger tückisch als Planica. Aber es kann auch am Kulm gefährlich werden, wenn sich 52 Menschen den Traum vom Fliegen für ein paar Sekunden erfüllen.
Ernüchterung
Das Erwachen aus diesem Traum war für Gregor Schlierenzauer schon einmal etwas schmerzhaft, damals, als er 2009 den Schanzenrekord auf 215,5 Meter verbessert hatte. "Weiter runter will ich nicht fliegen, damals haben die Knie ordentlich wehgetan", sagt er. Dabei ist er vor einem Jahr fast 30 Meter weiter geflogen. Oder fast geschwebt. 243,5 Meter hat er auf der größten Schanze der Welt geschafft, im norwegischen Vikersund.
Begeisterung
"Vikersund war ein Kindergeburtstag im Vergleich zu Planica", sagt Morgenstern. Es ist nicht unbedingt die Weite, die das Fliegen so gefährlich macht. "Jede Flugschanze hat ihre eigene Charakteristik", sagt Schlierenzauer. Aber ein Antreten sei auf jeder einzelnen auch eine eigene Herausforderung. Schlierenzauer: "Ob du bei 210 Meter landest oder bei 240 Metern, das ist einfach nicht zu vergleichen." Und den Vergleich von "normalem" Skispringen und Skifliegen zieht er so: "Wie Gokart-Fahren und Formel 1. Beim Fliegen wird jeder Fehler bestraft."
Deshalb kontrollieren die Athleten vor jedem Flug alles was in ihrer Macht steht doppelt und dreifach. Passt alles mit dem Material? Ist die Bindung eh nicht defekt? Dann geht es los. Binnen weniger Sekunden beschleunigen die Athleten von 0 auf 100 Stundenkilometer, fliegen rund acht Sekunden durch die Luft und landen mit rund 130 Stundenkilometern. "Da wird die Luft schon zum Wind", sagt Morgenstern. Zur Nachahmung empfiehlt er den Vergleich: "Welche Kräfte da wirken, kann man fühlen, wenn man auf der Autobahn die Hand aus dem Fenster hält."
Erleichterung Dabei wurde das Skifliegen in den letzten Jahrzehnten durch Schanzenumbauten sicherer, der Luftstand ist niedriger, die Absprunggeschwindigkeiten wurden gesenkt. Vor 40 Jahren wurden in Planica vor dem Absprung 114 km/h und während der Landung 145,8 km/h gemessen. Die Athleten standen damals unter Dauerstress, kamen in einen katabolen Zustand, der zu vermehrtem Harndrang führt. Rund um die Starthäuschen roch es streng nach Urin.
Das ist aber Geschichte. Erstens gibt es auch oben an den Schanzen WCs. Zweitens ist der Adrenalinschub auch geringer geworden. Beim Einfliegen der Schanze in Bad Mitterndorf am Donnerstag erhoben sich die Flieger mit nicht einmal 100 km/h in die Lüfte. Bei manchem der jungen Burschen, die während der Bewerbe als Vorspringer fungieren, schnellte der Puls dennoch vor dem ersten Flug auf über 180 Schläge.
Herausforderung
Die Überflieger hingegen gehen es nach dem ersten Flug weitaus ruhiger an. Sie suchen gar nach neuen Herausforderungen. Bei einem einzigartigen Event sollten letztes Jahr auf einer Naturschanze am Großglockner Flüge bis 300 Meter gehen. "Ich wäre gehupt", sagt Morgenstern. "Aber ich glaube, das wird nichts mehr." Abwarten, Herr Morgenstern. Sein Sponsor hat diese Idee noch nicht ad acta gelegt.
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