Sport/Wintersport

Ski-Rennfahrer für einen Tag

Die drei Trainer haben ihre Positionen an der Strecke eingenommen, die Skitouristen bleiben auf der anderen Seite der orangen Netzen. Zum ersten Mal gehört eine Skipiste einzig und allein mir. "Rennstrecke" prangt auf einem Schild. Der Untergrund ist hart, aber nicht eisig, wie man im Rennfahrer-Jargon so cool dahersagt.

An die harten Rennskier, die sie mir hier verpasst haben, habe ich mich gewöhnt, die Linie passt, schön erwische ich die Tore, die eine oder andere Stange kann ich sogar berühren. Stolz schwinge ich nach zirka 20 Riesentorlauf-Sekunden ab. Perfekt! Glaube ich doch tatsächlich für wenige Sekunden.

Kritik

"Du musst viel mehr Bewegung nach vorne machen und Druck auf den Fußballen bringen, damit der Ski über die Taillierung in die Kurve fährt", sagt Philipp Schörghofer. "Außerdem schau’, dass du die Hände nach vorne bringst und die Innenhüfte und Schulter viel höher bringst. Die Druckverteilung stimmt überhaupt nicht"

Die Kritik überrascht. Doch wenn nicht von Schörghofer annehmen, dem besten österreichischen Riesentorläufer neben Marcel Hirscher, von wem dann? Bei der Ski-Weltmeisterschaft in Garmisch-Partenkirchen 2011 gewann der 28-Jährige Bronze; mit ihm Riesentorlauf zu trainieren, spielt in einer ähnlichen Liga, wie mit Clint Eastwood durch den Wilden Westen zu reiten, mit Anna Netrebko Arien zu singen oder mit Barack Obama über Politik zu diskutieren.

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Sein Know-how lässt der Salzburger der Ski Race Academy Gastein zukommen. Dort durfte der KURIER ein Wochenende lang am Renntraining teilnehmen. Hier können sportliche Hobbyskiläufer Rennsport-Luft schnuppern und Skiklubs, etwa aus Norddeutschland oder den Niederlanden, finden perfekte Trainingsbedingungen vor.

"Wir sprechen Leute an, die ein bisschen mehr wollen als Genussskifahren", sagt Kurt Fuchs,  Leiter der Race Academy. "Wir wollen den Sportlern etwas von der Explosivität des Rennsports vermitteln. Und wir unterrichten auch viele Jugendliche, die nicht vom Österreichischen Skiverband betreut werden."

Auf höchst professionelle Weise. Wie die Profis besichtigen alle Läufer zu Beginn jedes Trainingstages erst einmal die Strecke. Andreas Schaffinger, Trainer bei der Race Academy, weist auf Schlüsselstellen hin, zeigt die Ideallinie und gibt beim Aufwärmen letzte Tipps: „Das Training so ernst nehmen wie ein Rennen!“, „Spannung halten!“, „Ordentlich anschieben beim Start und konzentriert bleiben, sonst passiert etwas.“ Nach den Läufen gibt’s ein erstes kurzes Feedback, die ungeschönte Wahrheit wird allerdings am Nachmittag präsentiert: Videoanalyse.

Analyse

Im Seminarraum eines Hotels, die Rückenmuskulatur schmerzt. Doch noch mehr schmerzt das Video, das da von mir zu sehen ist. Mit Skirennsport hat das nichts zu tun. Gerade als ich glaube, es überstanden zu haben, drückt Trainer Schaffinger den Pause-Knopf: Standbild. Das, was ich beim Stangenfahren sein soll, schaut aus wie ein angeschossener Schimpanse mit Sturzhelm und Skibrille.

Vor versammelter Mannschaft zeigt der Trainer gnadenlos die Fehler auf. "Da sieht man deutlich die Scherenstellung, dadurch bekommt er keinen Druck auf den Außenski." Ich versuche, mich auf die ungewohnten Skier auszureden, doch Schaffinger kontert: "Zuerst wird an sich selbst gearbeitet, dann erst am Material."

Bestätigung

Sonntagnachmittag, die zweite Trainingseinheit. Die Sonne strahlt, traumhafte Bedingungen. Es ist die letzte Fahrt an diesem Wochenende, auf der FIS-tauglichen Rennstrecke. Ein paar Touristen stehen hinter der Absperrung im Startbereich und erhoffen sich vermutlich zu viel. Richtig steil geht es gleich los. Ich versuche, den Rhythmus zu finden, das Gelernte umzusetzen. Also: Körper nach vorne wie ein Skispringer.

Den Druck gleichmäßig auf die Skier verteilen. Nicht mit vollem Risiko, dafür genauer fahren. Trotzdem: Bei einer Welle drehe ich den Schwung viel zu spät an, es trägt mich ab, ich brauche drei oder vier Tore, bis ich endlich wieder auf der Linie bin. Und lang ist der Lauf ... extrem lang ... wann hört der endlich auf?

Dann das letzte Tor, ich schwinge ab, völlig ausgepumpt. Sauerstoffmangel, ich lasse mich in den Schnee fallen. Direkt vor Schörghofer, dem Weltcup-Star. Peinlich. Fragend schaue ich zu ihm hinauf. Er überlegt kurz und sagt dann genau das, was ich hören will: "Foast eh recht guat."