Sport/Wintersport/Olympia 2018

Eine Abrechnung mit Olympia in PyeongChang

Es gibt viele Möglichkeiten, sich diesen Winterspielen in PyeongChang anzunähern. Man kann über den Seeweg kommen, in der Hafenstadt Gangneug landen, wo all die Eishallen stehen, und dann den Eindruck bekommen, die Südkoreaner seien ein begeisterungsfähiges Sportvolk.

Man kann aber auch die Hintertür wählen, die ins Hinterland führt, wo Skispringer, Langläufer, Skifahrer, Rodler und Biathleten ihre Olympiasieger ermittelten. Nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit, bei einer Atmosphäre, die mitunter an Kinderskirennen erinnerte.

So geteilt wie die koreanische Halbinsel ist, so geteilt sind die Meinungen über diese Winterspiele. Die Vertreter der Nationen, die sich für den Eissport erwärmen können, gerieten regelrecht ins Schwärmen. Aus den Alpinnationen wie Österreich war hingegen großes Wehklagen über den fehlenden Olympia-Spirit zu vernehmen.

Wobei sich schon grundsätzlich die Frage stellt, wann und weshalb Olympische Spiele gelungen sind. Wenn das Gastgeberland viele Medaillen gewinnt? Wenn sich das Chaos in Grenzen hält? Wenn es keine Dopingfälle gibt? Oder wenn Österreich seinen Ruf als Skination Nummer eins behauptet?

Sterile Atmosphäre

"Die Stimmung war nicht da. Das war schwach, echt schade", sagte Peter Schröcksnadel. Eigentlich hatte der ÖSV-Präsident vorgehabt, bis zum Schlusstag in Südkorea zu bleiben, doch der Tiroler reiste vorzeitig ab und verpasste somit auch die gestrige Teammedaille seiner Skifahrer. "Wir sind von unseren Weltcuprennen in Österreich aber auch verwöhnt." Besonders deutlich wurde das beim Olympiasieg von Marcel Hirscher in der Kombination. Der Salzburger, der sonst nie um Gefühlsregungen und große Gesten verlegen ist, nahm den Moment des Triumphes fast stoisch hin.

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Auch, weil er sich in seinen Träumen die Erfüllung seines letzten großen Karriereziels emotionaler vorgestellt hatte. "Wir sind hier im Nirgendwo, es sind keine Leute da und wir fahren halt irgendein Rennen", sagte der Doppelolympiasieger. "Bei den Bewerben sind hier mehr Volunteers als Zuseher", sagt auch ÖSV-Direktor Hans Pum kopfschüttelnd.

Andererseits: Würden die Österreicher die Halle stürmen, wenn hierzulande eine Curling-WM wäre?

Minderheitenprogramm

Dass den Südkoreanern der Bezug zu vielen Wintersportdisziplinen fehlt, das war bereits bei der Vergabe der Spiele an PyeongChang bekannt. "Hier geht eben nur eine Minderheit Skifahren", weiß Karl Stoss. Ein Blick ins südkoreanische TV-Programm bestätigt die Einschätzung des ÖOC-Präsidenten.

Matthias Mayer versuchte vergeblich, Bilder von seiner Siegesfahrt im Super-G zu finden. Im südkoreanischen Olympiakanal drehte sich alles um Curling, Shorttrack, Eisschnelllauf, Eiskunstlauf und Eishockey. Mayer musste sich den Spott der Kollegen anhören, ob er wieder Kinderfernsehen schaut.

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Das fehlende Interesse mag ein Grund für die leeren Stadien rund um Alpensia sein. Aber es ist bei Weitem nicht der einzige. Die unsichere politische Situation rund um Korea hatte viele Sportfans aus dem Ausland davon abgehalten, sich die lange Reise anzutun. Als sich Süd- und Nordkorea kurz vor Beginn der Spiele auf ein gemeinsames Team verständigten, war es schon zu spät, um noch Spätentschlossene zu mobilisieren.

In Anbetracht der Kosten auch verständlich. Hotelbetten sind in PyeongChang ähnlich begehrt wie Medaillen, dazu kommen horrende Ticketpreise. Bis zu 180 Euro wurden teilweise für Eintrittskarten veranschlagt. Ein teurer Spaß für Wettkämpfe zur Geisterstunde. Vor allem die Skispringer waren arm dran: Auf der Normalschanze wurde der Sieger erst lange nach Mitternacht gekürt, als keine 20 Zuseher mehr im riesigen Stadion waren. Doch wer wollte es ihnen auch verdenken bei beißendem Wind und klirrender Kälte?

Für Karl Stoss ist es höchste Zeit für eine Zäsur. "Alle im IOC müssen ein Interesse daran haben, dass Spiele wieder in Länder kommen, wo es Menschen gibt, die mit Wintersport etwas anfangen können." Gerade dieser Tage dachte der Vorarlberger wieder mit Wehmut an die gescheiterte Olympia-Abstimmung in Tirol. "Ich habe das akzeptiert, aber verstehen werd’ ich das nie."

Sportlich zog Stoss eine positive Bilanz, aber er sparte nicht mit Kritik an der Organisation. "Die medizinische Notfallbehandlung war nicht standardgemäß", ärgerte sich der Vorarlberger und sprach damit die Sturzorgie im Ski- und Snowboardcross an, bei der auch österreichischen Athleten schwere Verletzungen erlitten. "Das war fast ein Skandal, dass es eine Stunde gedauert hatte, bis die Sportler im Spital waren."

Fragliche Nachnutzung

Woran hat’s sonst noch gekrankt? Und was wird von den Spielen bleiben?

Eine längst überfällige Hochgeschwindigkeitsbahn von Seoul nach Gangneung zum Beispiel und mehrere neue Schnellstraßen, die mitten durch die abgeschiedene Hügellandschaft gebaut wurden. Aber auch viele Sportstätten, die in dieser Form keiner braucht.

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Josef Fendt, der bayrische Präsident des Rodelweltverbandes, fürchtet, dass die moderne Bob- und Rodelbahn nach Olympia auf Eis gelegt wird. "Offenbar gibt es niemanden, der die Bahn betreiben will", klärt Fendt auf. Dabei stellt das Gastgeberland mit Yun Sung-bin den Olympiasieger im Skeleton.

Das Skisprungzentrum nebenan ist ein Schmuckkästchen, von der Schüler- bis zur Großschanze ist alles vorhanden – doch wer soll dort in Zukunft trainieren? Und was wird erst mit dem 162 Millionen Euro teuren Alpinzentrum, das im Naturpark von Jeongseon aus dem Boden gestampft wurde? Alles abbauen und aufforsten wie geplant? "Es wäre schade, wenn sie es schließen", sagte ein Volunteer, "denn in Yongpyong ist zwar die längste Piste von Südkorea – aber das hier sind die besten und interessantesten Pisten, die wir haben."

Viel Fantasie

ÖOC-Präsident Karl Stoss sieht für Spiele wie 2014 in Sotschi oder eben jetzt in PyeongChang keine Zukunft. Mit Peking wartet in vier Jahren bereits der nächste Austragungsort, in dem alles von Grund auf neu errichtet werden muss. "Nach diesen drei Spielen wird der Wunsch noch größer sein, endlich wieder Olympia in einem kleinen überschaubareren Rahmen zu haben."

Vorerst wartet aber noch Peking 2022, wo es ähnliche Herausforderungen gibt wie in PyeongChang. Da mag Chang Yu, der Sprecher des chinesischen Organisationskomitees, noch so versichern, dass man "fantastische Spiele" abliefern wolle.

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Fantastische Spiele – oder nicht etwa doch Spiele, für die der Fan viel Fantasie benötigen wird? Weil die Berge in der Region noch niedriger sind als in Südkorea, wird sogar überlegt, den Abfahrtsolympiasieger in zwei Durchgängen zu ermitteln.

"Die Abfahrtspisten sind derzeit zu 40 Prozent freigelegt", sagt der Schweizer Streckenplaner Bernhard Russi, "für Slalom und Riesenslalom sind die Erdarbeiten im Gang." Dass das Klima rund um Peking noch trockener ist als jenes in Nordosten Südkoreas, das sieht der Olympiasieger in der Abfahrt von 1972 nicht als Nachteil: "Sie haben die Kälte, und wir Alpinen wollen ja eigentlich gar keinen natürlichen Schnee", sagt Russi.