Sport/Wintersport

„Ich sag’ noch immer, was ich denke“

Der Winter hat immer noch Saison und die Ski-Familie Anlass zum Staunen und Gratulieren:

Gestern wurde bekannt, dass der frühere, sehr erfolgreiche Atomic-Rennchef Rudi Huber aus Wagrain völlig überraschend neuer oberster Sportboss des Schweizer Skiverbandes wird.

Am Sonntag düst Hubers ehemaliger Schützling Marcel Hirscher als Gesamtweltcupsieger und Weltmeister zum Tauchurlaub Richtung Mauritius ab.

Am Montag wird die Doppel-Olympiasiegerin Michaela Dorfmeister 40 Jahre alt.

Und am Mittwoch begeht die legendäre Annemarie Moser-Pröll in Kleinarl ihren Sechziger, der am 6. April, organisiert von Hubert Neuper, in Wagrain groß nachgefeiert wird.

All jenen, für die Ski-G’schichterln aus den ersten Weltcup-Jahrzehnten nur noch Schnee von vorgestern sind, oder die wie Hermann Maier erst geboren wurden, als die Annemarie schon bei Olympia in Sapporo 1972 startete, sei verraten:

„Die Pröll“ hatte den Damen-Rennlauf geprägt wie keine andere. Sie war die Unberechenbarste ihrer Zunft.

Sie hat ihr erstes Weltcup-Rennen schon mit 14 Jahren bestritten.

Sie hat, obwohl von einer Grippe geschwächt und mit Medikamenten vollgepumpt, einmal in Grindelwald drei Rennen in drei Tagen gewonnen, worauf der Alkohol ausging im Schweizer ÖSV-Quartier und die Bild-Zeitung titelte: „Sie raucht, säuft und siegt.“

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Sie hatte sich, während ihre Teamkolleginnen unter Anleitung des damaligen ÖSV-KonditionstrainersHerbert Janko(Papa von TeamstürmerMarc Janko) professionell aufwärmten, tatsächlich manchmal noch vor dem Start eine Zigarette ang’raucht und dann trotzdem den längeren Atem gehabt.

Sie hat just den Rennwinter 1975/’76, in dem in Innsbruck die Olympischen Winterspiele stattfanden, ausgelassen und Versäumtes vier Jahre später nachgeholt, indem sie in Lake Placid (USA) olympisches Abfahrtsgold eroberte.

Sie hat nach ihrem Comeback sofort die Abfahrt in Cortina gewonnen, aber zu diesem Zeitpunkt über so wenig Kondition verfügt, dass sie nach dem Ziel nicht bremsen konnte und erschöpft in einem Jungwald landete.

Sie hat schon mit 27 ihre Rennkarriere beendet und trotzdem mehr Weltcup-Pokale geholt als alle anderen.

Sie hat so manchem Trainer so manches Schnippchen geschlagen. Aber:

Die „Annamirl“ hat immer gesagt, was sie denkt. Und von dieser Haltung ist die 1999 zur österreichischen Jahrhundertsportlerin Gekürte bis heute nicht abgekommen, wie auch dem folgenden Interview unschwer zu entnehmen ist.

KURIER: Kompliment. Sie sehen nicht wie eine angehende Sechzigerin aus.
Annemarie Moser:
Ich glaub’, du siehst schon ein bisserl schlecht.

Wie halten Sie sich so fit?
Die Jagerei ist meine große Leidenschaft. Die Jagdprüfung habe ich schon 1975 gemacht. Wenn das Wetter schön ist, dann hau’ i mi oft um fünf Uhr früh ins G’wand.

Schießen Sie oft einen Bock?
Halt. Die Jagerei ist doch zum Schutz der Natur da. Sie besteht großteils aus dem Beobachten des Wildes. Ich genieße die vielen einsamen Stunden. Sie geben mir Kraft und Ruhe. Man muss loslassen können.

Schnallen Sie überhaupt noch Skier ein?
Eine Zeit lang war das ganz selten der Fall. Da bin ich nur einmal im Jahr an meinem Geburtstag mit meiner Tochter Marion Skifahren gegangen. Seit dem Verkauf vom Kaffeehaus komm’ ich wieder mehr dazu. Vom neuen Material bin ich begeistert. Schade, dass wir das nicht zu meiner Zeit hatten. Die Carving-Ski sind traumhaft zu fahren. Aber das Verletzungsrisiko ist größer.

Was fällt Ihnen an den heutigen Rennläufern auf?
Dass jeder im Ziel schon ein Handy umgehängt hat. Zu meiner Zeit waren wir froh, wenn wir im Hotel irgendwann eine Telefonverbindung bekommen haben. Früher haben wir das Handarbeitszeug mitg’habt, jetzt reist halt jede mit einem Laptop an.

Wie halten Sie es mit Facebook und Twitter?
Gar nicht. Wenn mein Computer spinnt, hilft mir mein zehnjähriger Enkel. Der Elias kennt sich da besser aus als ich.

Welchen Sieg empfanden Sie als Ihren schönsten?
Den ersten Gesamtweltcupsieg in Abetone. Wir sind von einer Amerika-Tournee nach Italien gekommen und haben um vier Uhr früh vor einem Schwarz-Weiß-Fernsehen einen Boxkampf von Muhammad Ali miterlebt. Es war ein einzigartiges Gefühl, als ich bei der Ehrung der Weltsportler viele Jahre später in der Wiener Staatsoper neben ihm stehen durfte.

Beeindruckt Sie Marcel Hirscher?
Also der Marcel Hirscher ist unvorstellbar. Wie der mit dem ganzen Hype zurechtkommt. Wobei ich generell glaube, dass die jungen Rennfahrer heute auf das, was sie im Weltcup rundherum erwartet, ganz anders vorbereitet werden. Über mich ist damals alles nur so hereingebrochen. Vermutlich war es gut, dass ich eine Saison lang pausiert habe. Danach hab’ ich zu Euch Reportern einen ganz anderen, viel besseren Kontakt gehabt. Es war eine schöne Zeit mit Euch.

Warum haben Sie ausgerechnet den Winter mit Heim-Olympia in Innsbruck ausgelassen?
Heute kann ich es ja sagen: Es waren mehrere Gründe. Ich habe mehr bei meinem krebskranken Vater sein wollen. Und dann war da der Streit mit meinem Skifabrikanten Alois Rohrmoser, weil der Louis vor meiner Hochzeit unbedingt haben wollt’, dass der Herbert meinen Namen annimmt. Das wollte ich aber nicht. Und dann gab es diese schrecklichen Morddrohungen.

Morddrohungen gegen die beste österreichische Sportlerin?
Ja. Fünf Drohbriefe hab’ i kriegt. Sie müssen von Insidern geschrieben worden sein. Wir haben die Drohungen sehr ernst genommen und sogar die Kriegspistole vom Vater hervorgeholt. Alle Briefe habe ich der Kripo übergeben.

Wurde(n) der oder die Täter je gefasst?
Nein. Es ist leider nie etwas rauskommen. Nur hat etliche Jahre später fünf vor zwölf das Telefon geläutet. Ich habe abgehoben, als jemand ins Telefon schrie: „Um Punkt Mitternacht fliegt Euer Haus in die Luft.“ Das ist zum Glück net passiert.

Aber die sechsfache Gesamtweltcupsiegerin kann nachvollziehen, wie jetzt der neuen Gesamtweltcupsiegerin Tina Maze zumute gewesen ist. In Garmisch ging bei den Veranstaltern eine gegen die Slowenin gerichtete Morddrohung ein ...