Froomes Sieg für die Geschichtsbücher
Von Stefan Sigwarth
Den Nationalfeiertag konnten Madame und Monsieur Français am Strand verbringen. Oder bei der alljährlichen Truppenparade auf den Pariser Champs-Elyseés. Oder aber, wie Zehntausende von ihnen, in der Wüste: Der Mont Ventoux war Ziel der 15. Etappe der 100. Tour de France, dieser 1912 Meter hohe Geröllhaufen mitten in der Provence, und damit das Ganze auch schön brutal ist, haben die Organisatoren um Christian Prudhomme für den 14. Juli 2013 eine hübsche 242,5-Kilometer-Strecke ausgeheckt.
46 Jahre und einen Tag nach dem Tod von Tom Simpson passierte Christopher Froome den Gedenkstein für den unglücklichen Briten unterhalb des Gipfels als Erster, und der 28-Jährige war wenig später der wohl glücklichste Brite: Nicht nur, dass er nach 5:48:45 Stunden im Sattel seine Gesamtführung verteidigte, nein, er baute sie sogar aus und revanchierte sich damit für den Coup von Saxo-Tinkoff am Freitag, als sein Team Sky eine Attacke des Rennstalls von Alberto Contador und Roman Kreuziger nicht kontern konnte und Froome auf der Flachetappe eine Minute einbüßte.
Tag der Arbeit
Doch bis es soweit war, hatte Christopher Froome einen Haufen Arbeit zu erledigen. Der längste Tag der Tour 2013 im Rückspiegel:
221 Kilometer waren absolviert, als das Hauptfeld hinter einigen Ausreißern in den 21 Kilometer langen finalen Anstieg einbog. Sieben Prozent Steigung im Durchschnitt, bis zu elf an den steilsten Passagen, links und rechts der Straße Wände aus schreienden und klatschenden Menschen. Die Konkurrenz ließ Sky die Führungsarbeit leisten, doch schon kurz nach Beginn des Steilstücks musste Ian Stannard dem hohen Tempo Tribut zollen und sich zurückfallen lassen, damit hatte Froome noch fünf Helfer um sich.
Zwölf Kilometer vor dem Ziel waren es nur noch zwei: Peter Kennaugh und Richie Porte zogen den 28-Jährigen den Berg hinauf, im Windschatten des Vorjahreszweiten folgten die Rivalen in der Gesamtwertung, Contador, Mollema, Kreuziger und die anderen. Zehn Kilometer vor dem Ziel konnte Kennaugh nicht mehr und reihte sich ins Feld der Geschlagenen ein, während Porte vorne immer noch mehr aufs Gas stieg und die rasende Gruppe immer kleiner wurde.
Acht Kilometer vor dem Ziel war nur noch ein Trio übrig: Porte, Froome und Contador. Und 800 Meter später stampfte Froome plötzlich derart kräftig in die Pedale, dass auch Alberto Contador nicht mehr mithalten konnte.
Nur der 1,66 Meter kleine Kolumbianer Nairo Quintana Rojas war noch vor ihm. Der um 20 Zentimeter größere Froome schloss zu ihm auf und attackierte den kleinen Movistar-Profi mehrfach. Doch erst der letzte Antritt, 1300 Meter vor dem Ziel, brachte den gewünschten Erfolg. Quintana konnte nicht mehr kontern und verlor noch 29 Sekunden.
„Dieser Erfolg ist so historisch, ich kann es gar nicht fassen“, sagte Froome, als er wieder bei Atem war. „Eigentlich wollte ich nur das Gelbe Trikot verteidigen“, nun hat er 4:14 Minuten Vorsprung auf den zweitplatzierten Niederländer Bauke Mollema.
Tag der Erholung
Heute, Montag, haben die Fahrer den zweiten und letzten Ruhetag, ab Dienstag geht es bergig weiter: Am Mittwoch folgt das zweite Einzelzeitfahren (32 Kilometer), am Donnerstag wird gleich zwei Mal der Anstieg nach Alpe d’Huez befahren, und auch am Samstag steht eine Bergankunft (in Semnoz bei Annecy) an.
Es bleiben also noch ein paar Gelegenheiten für die Konkurrenz, um Christopher Froome und sein auf sieben Mann reduziertes Sky-Team anzugreifen. Doch ob sie genügen, um mehr als vier Minuten aufzuholen? Gegen einen dermaßen starken Berg- und Zeitfahrer wie Froome in der aktuellen Form?
Immerhin, ein Trost bleibt den Fahrern: Die gestrige Etappe war die längste der heurigen Tour.
15. Etappe, Givors-Mont Ventoux (242,5 km): | ||||
1. | Christopher Froome | GBR | Team Sky | 5:48:45 Stunden (Schnitt: 41,7 km/h) |
2. | Nairo Quintana | COL | Movistar | 0:29 Minuten zurück |
3. | Mikel Nieve | ESP | Euskaltel | +1:23 |
4. | Joaquim Rodriguez | ESP | Katjuscha | 1:23 |
5. | Roman Kreuziger | CZE | Saxo-Tinkoff | 1:40 |
6. | Alberto Contador | ESP | Saxo-Tinkoff | 1:40 |
7. | Jakob Fuglsang | DEN | Astana | 1:44 |
8. | Bauke Mollema | NED | Belkin | 1:46 |
9. | Laurens ten Dam | NED | Belkin | 1:53 |
10. | Jean-Christophe Peraud | FRA | AG2R | 2:08 |
Gesamtwertung: | ||||
1. | Froome | 61:11:43 Stunden | ||
2. | Mollema | +4:14 | ||
3. | Contador | 4:25 | ||
4. | Kreuziger | 4:28 | ||
5. | Ten Dam | 4:54 | ||
6. | Quintana | 5:47 | ||
7. | Fuglsang | 6:22 | ||
8. | Rodriguez | 07:11 | ||
9. | Peraud | 07:47 | ||
10. | Daniel Martin | IRL | Garmin | 8:28 |
Am 18. Juli 2012 war’s, und es war wieder einmal Thomas Voeckler, der die Gastgebernation der Tour de France jubeln ließ: Der elsässische Spezialist für Ausreißversuche, die von Erfolg gekrönt werden, holte sich alle vier Bergwertungen des Tages und ließ sieben Kilometer vor dem Ziel auch noch seine Fluchtgefährten stehen.
Seither wartet die Grande Nation auf den nächsten Erfolg, und, so viel steht fest, sie wird auch am Montag noch warten, denn es steht der zweite Ruhetag auf dem Fahrplan der Jubiläumstour. Auf den Gesamtsieg warten die Franzosen freilich schon viel länger: 1985 feierte Bernard Hinault den letzten seiner fünf Tour-Titel.
Fünf Tagessiege haben Thomas Voeckler (2), Thibaut Pinot, Pierre Rolland und Pierrick Fédrigo im vergangenen Jahr gefeiert, das zu wiederholen dürfte heuer ein Ding der Unmöglichkeit bleiben: Zu dominant sind die Sprinter Mark Cavendish, Peter Sagan, Marcel Kittel und André Greipel, und für die großen Bergankünfte fehlt es den heuer fünf französischen Teams an Stärke.
Was den Gastgebern bleibt, ist die Hoffnung, dass Voeckler, Rolland oder ein anderer in der letzten Tour-Woche einen Ausreißversuch besser ins Ziel bringt als es am Samstag Julien Simon getan hat - auf den letzten 1500 Metern wurde der 27-Jährige vom zweitklassigen Rennstall Saur-Sojasun noch eingeholt, er wurde Elfter und bekam zum schwachen Trost noch die Auszeichnung als kämpferischster Fahrer des Tages. Zu allem Überfluss verlor Pierre Rolland als 28. auf dem Mont Ventoux auch noch das Bergtrikot - an Christopher Froome ...
„Wir konzentrieren uns jetzt auf Dienstag“, sagte Julien Simon. Mit Recht: Die 168 Kilometer von Vaison-la-Romaine nach Gap sind wie geschaffen für Ausreißer.