Sport/Motorsport

Protestwelle droht: In der Formel 1 fliegen die Fetzen

In der Plagiatsaffäre um Racing Point rollt eine Protestwelle, Branchenprimus Mercedes sieht sich in den Verhandlungen um den künftigen Grundlagenvertrag in der Opferrolle: Das eigentlich als harmonische Formel-1-Familienfeier geplante Jubiläumswochenende in Silverstone zur Erinnerung an 70 Jahre Grand-Prix-Geschichte ist außer Kontrolle geraten.
„Das ist wie bei einem Eisberg, im Moment handelt es sich nur um die Spitze des Eisbergs“, befand Sebastian Vettels Ferrari-Teamchef Mattia Binotto. Eigentlich sprach er nur von der Racing-Point-Affäre - man konnte die Aussage des Schweizers aber auch auf den entfesselten Streit an vielen Fronten in der Formel 1 beziehen.
 

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Zunächst ist da der Kopie-Krach. Das in dieser Saison so starke Team Racing Point um Vertretungsfahrer Nico Hülkenberg wird von Mercedes mit Motoren und weiteren Komponenten beliefert. Renault legte dann nach den Grand Prix in der Steiermark, Ungarn und Großbritannien Protest gegen die Bremsbelüftungen der Racing-Point-Autos ein, weil sie angeblich illegal vom Mercedes der Saison 2019 kopiert wurden.

Die Sportkommissare des Motorsport-Weltverbandes FIA erkannten nun bei den hinteren Bremsschächten einen Regelbruch. Der Designprozess dieser Bauteile sei nicht rechtmäßig, weil bestimmte Komponenten von den Teams selbst ohne Hilfe eines Konkurrenten konstruiert werden müssen. Racing Point räumte ein, Bremsbelüftungen von 2019 bei Mercedes eingekauft zu haben. Als diese Komponenten 2020 aber nach einer Regeländerung auf eine Liste aufgenommen worden, die vorschreibt, welche Bauteile Eigenleistungen der Teams sein müssen, habe man sie auch nicht eingesetzt.

Verteidigungsstrategie

Racing Point betont, vom 2019er Mercedes nur inspiriert worden zu sein. „Sie haben behauptet, den Wagen nur anhand von Fotos kopiert zu haben. Wenn man aber das FIA-Dokument liest, wird klar, dass das kompletter Mist ist“, schimpfte McLaren-Motorsportchef Zak Brown und vermutete viel umfangreichere Nachahmungen. Dennoch darf das Team die Bremsschächte weiter einsetzen, wurde aber mit dem Abzug von 15 WM-Punkten und 400.000 Euro Geldbuße bestraft. „Es geht um das ganze Konzept des Kopierens. Dürfen wir oder dürfen wir nicht ein ganzes Konzept kopieren“, stellte Binotto eine maßgebliche Frage in den Raum.

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Nein, das sollen die Formel-1-Teams nach dem Willen der FIA nicht. Auch wenn der aktuelle Wagen von Racing Point wegen seiner Ähnlichkeit - und Lackierung - im Fahrerlager schon mal spitz als „rosaroter Mercedes“ bezeichnet wird. „Wir wollen nächstes Jahr nicht acht oder zehn Mercedes im Starterfeld haben“, befand der Technikchef des Motorsport-Weltverbandes, Nikolas Tombazis. Das Abschauen und Kopieren sei zwar schon lange Teil der Formel 1, „wir glauben aber, dass es Racing Point zu weit getrieben hat.“ Daher wollen die Regelhüter als Reaktion die Sportregularien 2021 anpassen, damit künftig Kopien nicht zur Norm werden.

„Wir akzeptieren, dass man sich in der Formel 1 etwas voneinander abschaut, aber nicht dass das ganze Auto kopiert wird“, rügte Renault-Teamchef Cyril Abiteboul. McLaren-Motorsportchef Brown stieß es nicht zuletzt übel auf, dass Racing Point die umstrittenen Bremsbelüftungen weiter nutzen darf. „Das ergibt für mich keinen Sinn, das ist auch nicht fair in diesem Sport“, kommentierte er. Racing-Point-Teamchef Otmar Szafnauer ätzte zurück: „Er hat keine Ahnung, wovon er spricht, null. Ich bin überrascht, wie wenig er über die Regeln der Formel 1 weiß.“  Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff wähnte eine „kleine Revolution“ der Rivalen, „weil sie nicht die Leistung bringen wie Racing Point.“ Ferrari, McLaren, Renault und Williams kündigten an, das Urteil eventuell anzufechten. Racing Point prüfte wiederum, gegen die Höhe des Strafmaßes vorzugehen.

Zweiter Schauplatz

Wolff hatte aber noch anderen Zoff. Bis zum 12. August soll der ab 2021 gültige Grundlagenvertrag, der die Verteilung der Formel-1-Einnahmen regelt, abgesegnet sein. „Das werden wir sicher nicht schaffen“, sagte er. Denn Mercedes sei seiner Ansicht bei der Preisgeldvergabe das „größte Opfer“. Der Österreicher verwies auf die Erfolge des Teams und auf Weltmeister Lewis Hamilton als Fahrer mit der „größten globalen“ Strahlkraft. „Wir haben den Eindruck, dass wir nicht so behandelt wurden, wie wir sollten und deshalb gibt es noch eine Menge rechtlicher Themen für uns“, meinte Wolff. „Ich fühle mich nicht bereit dazu, das Concorde Agreement zu unterzeichnen.“

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Wenig später zeigte sich der Mercedes-Motorsportchef aber versöhnlicher. Er sehe insgesamt „keine großen Hürden, man muss sich nur zusammensetzen.“ Wenn man ein „vernünftiges Concorde Agreement“ erziele, „dann ist das auf jeden Fall ein Sport, in dem wir bleiben wollen.“ Der Formel-1-Rechteinhaber, der den Grundlagenvertrag mit den zehn Teams und dem Motorsport-Weltverband aushandelt, hält am Zeitplan unbeeindruckt fest. „Die Vereinbarung ist wichtig für die Zukunft des Sports“, ließen die Bosse wissen. „Wir machen damit weiter und es wird nichts verschoben.“