Sport/Fußball

Jakob Jantschers Russland-Abenteuer

In drei Monaten kann man schon einiges lernen. Ein paar Brocken Russisch zum Beispiel, oder sich in der Moskauer Metro zurechtfinden, oder auf den Autobahnen den alltäglichen Unfällen auszuweichen.

Jakob Jantscher wechselte Ende des Sommers für eine Saison leihweise von Red Bull Salzburg zu Dynamo Moskau und ist in eine ganze neue Fußball-Welt eingetaucht. Dem KURIER erzählte er einiges von seinem Leben in der russischen Weltstadt.

KURIER: Sie haben zuletzt nicht von Beginn an gespielt. Was ist denn los?
Jakob Jantscher: Ich war ein Spiel gesperrt, da hat das Team gewonnen. Danach wollte der Trainer die Formation nicht verändern. Dennoch geht es mir sportlich sehr gut.

Warum das?
Weil ich regelmäßig zu meinen Einsätzen komme und dabei gute Leistungen bringe.

Wie stark ist die Liga?
Die ersten sieben Klubs sind sehr gut. Gegen Teams wie Spartak, St. Petersburg oder Kasan zu spielen, ist schon etwas Besonderes. Diese Mannschaften machen ja auch im Europacup eine gute Figur. Dafür ist man Fußballer geworden, um gegen solche Vereine zu spielen.

Und der Rest vom Schützenfest?
Den anderen Klubs fehlt diese Qualität schon, dennoch ist es schwer, gegen sie zu spielen.

Wie fällt der obligatorische Vergleich mit der österreichischen Bundesliga aus?
Die ersten Vier in der österreichischen Liga sind ebenfalls sehr gut. Wir dürfen uns nicht immer runtermachen. Ein Unterschied liegt meiner Meinung nach aber sehr wohl in der Mentalität.

Und zwar?
Hier ist der Kampf um einen Stammplatz viel intensiver. Tag für Tag.

Intensiv sind auch die Fans. Nach Ausschreitungen wurde das Spiel gegen St. Petersburg abgebrochen. Wie war das?
Heftig. Allein in Moskau gibt es vier Erstliga-Klubs. Logisch, dass die untereinander nicht alle befreundet sind. Und St. Petersburg ist überhaupt der Erzrivale von allen. Wir hatten eine Woche davor schon Trubel in einem Cupspiel gegen Torpedo Moskau. Die Ereignisse dann gegen Zenit waren viel zu gefährlich, daher war der Abbruch der Partie das einzig Richtige.

Muss man bei solchen Fans nicht Angst haben, wenn man sich in der Großstadt Moskau bewegt?
Nein, im Gegenteil. Wenn ich in die Stadt muss, nehme ich stets die Metro. Ab und zu werde ich erkannt und um Fotos gebeten. Auch von Fans der anderen Moskauer Klubs. Der Großteil ist ja freundlich und friedlich. Nach einem Spiel gegen ZSKA Moskau habe ich auf ein Taxi gewartet, da sind ZSKA-Fans auf mich zugekommen und wollten Fotos und Autogramme. So geht’s auch. Bei uns wäre es unvorstellbar, dass ein Rapid-Fan ein Foto mit einem Austrianer oder Salzburg-Spieler haben möchte.

Wie lebt es sich in Moskau, wenn man davor Graz und Salzburg kennengelernt hat?
Gut, solange nicht viel Schnee fällt wie in den letzten Tagen. Da herrscht hier das absolute Chaos. Vor allem beim Verkehr. Moskau ist die erste Weltstadt, in der ich lebe. Hier ist immer etwas los, am Sonntag kann man bis 22 Uhr einkaufen gehen. Allerdings, wenn man einkaufen geht, muss man mindestens einen halben Tag einplanen. In der Salzburger Innenstadt war ich in zehn Minuten.

Haben Sie schon alle Sehenswürdigkeiten abgeklappert wie ein Tourist?
Das Wichtigste habe ich bereits gesehen, Souvenirs für Weihnachten habe ich auch schon gekauft.

Womit kommen Sie in Moskau noch nicht zurecht?
Mit dem Verkehr. Hier gibt es neunspurige Autobahnen. Es kann aber sein, dass auf der vierten Spur plötzlich ein Auto mit Warnblinkanlage vor dir steht. Oder dass es auf der Autobahn innerhalb von 200 Metern vier Unfälle gibt. Verkehrstechnisch sollte man sich auf alles gefasst machen.

Wie wäre es, das Auto einfach stehen zu lassen?
Das geht leider schwer, weil die Stadt dafür viel zu groß ist. Nur in die Innenstadt ist es mit der U-Bahn wirklich schneller.

Und zum Training?
Ich wohne ein wenig außerhalb, in Novogorsk, nur fünf Minuten vom Trainingsgelände entfernt. Das ist ein gewaltiger Vorteil. Einige Kollegen leben in der City, die brauchen mit dem Auto hin und wieder drei Stunden zum Training. Da kann es vorkommen, dass Einheiten verschoben werden, weil Spieler von uns im Stau stecken.

Das Trainingsgelände soll ja alle Stückerln spielen.
Richtig, es gilt als bestes in ganz Russland. Bei Salzburg sind die Bedingungen schon sehr gut, aber das hier sprengt alle Dimensionen. Allein der Wellness-Bereich ist so groß wie ein ganzes Hallenbad. Da wird viel Geld investiert.

Beherrschen Sie schon in Ansätzen die Sprache?
Ehrlich gesagt, nein. Der Kurs, den alle ausländischen Spieler bei Dynamo absolvieren müssen, hat erst einmal stattgefunden, weil die Stunden immer irgendwie mit dem Training oder Spielen kollidierten. Ich schnappe das Wichtigste im Alltag von den Kollegen auf.

Was beherrschen Sie?
Nur die Grundbegriffe des Fußballs. Links, rechts, geradeaus, ruhig, Achtung und so weiter.

Martin Stranzl spielte lange Zeit beim Stadtrivalen Spartak Moskau. Haben Sie bei ihm Tipps und Informationen eingeholt?
Mit dem Martin habe ich nicht gesprochen, aber beim Nationalteam vor einiger Zeit mit Emanuel Pogatetz, der ebenfalls bei Spartak war. Er hat mir schon damals gesagt, dass ich mich auf etwas ganz anderes einstellen soll, als ich bisher erlebt habe. Bisher wurde ich sehr positiv überrascht. Aber dem Pogerl habe ich eines voraus...

Was denn?
Deutschsprachige Fernsehkanäle. Die hatte er in seiner damaligen Moskau-Zeit noch nicht.

Vor Jakob Jantscher waren Martin Stranzl und Emanuel Pogatetz die bisher einzigen österreichischen Fußballer, die in Russland gespielt haben. Pogatetz war 2005 drei Monate an Spartak Moskau verliehen, wo er elf Spiele bestritt. Er fügte Charitonskij einen doppelten Beinbruch zu und wurde für acht Spiele gesperrt.

Stranzl war von 2006 bis Ende 2010 bei Spartak Moskau unter Vertrag, absolvierte dabei 118 Spiele. Zweieinhalb Jahre war dort Toni Beretzki sein Konditionstrainer. Rashid Rachimow machte 2008 bis 2009 aus Lok Moskau einen Österreicher-Klub. Neben ihm und Assistent Alfred Tatar (beide waren zuvor in Perm) waren Alexander Stadler, Damir Canadi und Gerhard Hitzel bei Lok.

Der 65-jährige Burgenländer war Akademie-Chef und kehrte 2010 nach einer mysteriösen Entführung Moskau den Rücken.

Wenn ein Heimspiel ansteht, dann steigt Stanislaw Tschertschessow in den Bus und begibt sich auf Reisen. Vier Stunden ist er dann mit seinen Spielern von Terek unterwegs, von Kislowodsk im Nordkaukasus nach Grosny, der Hauptstadt von Tschetschenien. Die Fahrt führt vorbei an zerstörten Häusern und verlassenen Dörfern, Andenken eines Krieges, der 15 Jahre lang die Krisenregion im Bann gehalten hatte.

Auch deshalb ist für Stanislaw Tschertschessow und Terek Grosny nun jede Heimpartie ein Auswärtsspiel. Aus Sicherheitsgründen hat der Klub aus der tschetschenischen Hauptstadt seit Jahren schon in Kislowodsk Quartier bezogen. "Aber wenn unser neues Trainingszentrum fertig wird, werden wir nach Grosny übersiedeln", erklärt der ehemalige FC-Tirol-Tormann.

Seit September 2011 ist der Russe nun schon Chefcoach von Terek Grosny und in diesen 14 Monaten hat sich einiges getan. In der Stadt, die gerade dabei ist sich neu zu erfinden ("alle zwei Wochen, wenn wir nach Grosny kommen, stehen neue Gebäude da"), aber auch rund um den Verein, der seit Wochen die Mannschaft der Stunde ist. Tschertschessow hat aus dem Abstiegskandidaten einen Europacup-Anwärter geformt, die No-Name-Truppe Terek liegt auf Platz vier, noch vor den Moskauer Traditionsklubs Lokomotive oder Spartak.

Paradebeispiel

Ja, mehr noch: Tschertschessow ist es gelungen, die Menschen in der Krisenregion im Kaukasus für den Fußball zu begeistern. "Normal ist Ringen hier die Sportart Nummer eins. Jetzt kommen im Schnitt 26.000 Zuschauer, so viele wie bei keinem anderen Verein in der Liga", strahlt Tschertschessow.

Terek Grosny gilt heute als Paradebeispiel der Völkerverständigung. Im Team von Tschertschessow kicken Russen und Tschetschenen nebeneinander, "wir haben Christen, Orthodoxe und Moslems im Kader", erzählt der Coach, der auch schon mit Ramsan Kadyrow Bekanntschaft gemacht hat, dem exzentrischen und fußballnarrischen Präsidenten von Tschetschenien. Kadyrow persönlich hat im Vorjahr Tschertschessows prominenten aber erfolglosen Vorgänger hochkant rausgeworfen. Sein Name: Ruud Gullit.