Sport/Fußball

Hoeneß zwischen Pokal und Häfen

Als Spieler war er die 100 Meter im Training in (für Fußballer sagenhaften) 11,0 Sekunden gelaufen.

Als Funktionär hängte er die Gegner mit dem FC Bayern München mehr als nur um eine Brustbreite ab.

Uli Hoeneß, 61, machte den FC Bayern zum seriösesten Kicker-Unternehmen Europas, das sich im Gegensatz zur Konkurrenz nie in Abhängigkeit von italienischen Ministerpräsidenten, spanischen Baulöwen, amerikanischen Spekulanten, arabischen Scheichs oder russischen Oligarchen begab.

Doch jetzt hat sich Deutschlands ehemals schnellster Fußballer im Turbo-Kapitalismus folgenschwer verrannt. Just Hoeneß manövrierte via Schweiz etliche Millionen am deutschen Finanzamt vorbei. Just er, der Fußball-Papst, der so gern die moralische Instanz des deutschen Sports spielt.

Würde sich ein hoher kirchlicher Würdenträger als Vater unehelicher Kinder outen, könnten die Reaktionen in Deutschland kaum heftiger ausfallen.

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Distanz

HoeneßSelbstanzeige, mit der sich der Steuersünder Straffreiheit erhofft, hat auch abseits vom Epizentrum München ein politisches Beben ausgelöst. Inzwischen geht der Aufsichtsrat des FC Bayern auf Distanz. Es wird geprüft, ob sich Hoeneß’ Verfehlungen nicht bloß auf seinen "Brotberuf" als Wurstfabrikant (50 Millionen Jahresumsatz) beschränken oder er auch den FC Bayern zum Steuerschnalzen nutzte.

Plötzlich rücken Medien auch einen Millionendeal mit dem mittlerweile verstorbenen Adidas-Boss Robert Louis Dreyfuß in diffuses Licht.

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Plötzlich wird mit zweimonatiger Verspätung bekannt, dass Bayerns VorstandsvorsitzenderKarl-Heinz Rummenigge(der vor zwei Tagen seine Loyalität zu Hoeneß bekräftigte) am 7. Februar zwei teure Uhren illegal aus Dubaimitbrachte.

Plötzlich geben auch Politiker, die so oft die Nähe von Hoeneß auf Ehrentribünen suchten, zum Steuerbetrug des Wurstkönigs ihren Senf dazu.

Wie auch immer der Fall ausgeht – Hoeneß wird zumindest finanziell nie mehr so ein armes Würstl wie 1970 sein, als man den Fleischhauersohn auf der Münchner Uni trotz eines Notenschnitts von 2,4 nicht studieren ließ, weil er ein "Auswärtiger" aus Ulm war.

Auf dem Fußballplatz war er zu gut, um ihn auszugrenzen. Zu athletisch und stark am Ball. Die Platzhirschen Franz Beckenbauer, Paul Breitner und Gerd Müller erkannten recht schnell, dass sie von dem flinken Blondschopf nur profitieren können. Nicht bloß im Klub, sondern auch im Nationalteam.

Frühes Karriereende

1974 wurde er mit Deutschland Weltmeister. 2:1 gegen Holland.

1976, beim nächsten Endspiel, aber versagten Hoeneß im Gegensatz zum legendären Prager (und späteren Rapidler)Antonin Panenka die Nerven. Hoeneß verschoss, die CSSR wurde Europameister und der deutsche Unglücksrabe sprach vom schlimmsten Tag seines Lebens. Nicht ahnend, dass er damit maßlos übertrieben haben sollte.

1978, bei der deutschen Schmach in Cordoba, war Hoeneß am 2:3 gegen Österreich schuldlos, weil nicht dabei. Eine schwere Knieverletzung erzwang ein Wie der Präsident des FC Bayern München in der sportlich spektakulärsten Woche des Vereins vom Sauber- zum Buhmann wurdefrühes Karriereende.

Hoeneß bereitete sich schon auf seinen Funktionärsjob vor. Flog zwecks Horizonterweiterung zur WM ’78 nach Argentinien. Dort durfte ihm der Schreiber dieser Zeilen am Tag nach dem Finale (Argentinien – Holland 3:1) am Flughafen von Buenos Aires mit Pesos aushelfen. Hoeneß waren die nötigen Scheine in der argentinischen Währung zur Begleichung der Airport-Tax ausgegangen.

Als ich ihm eineinhalb Jahre später bei einer Pressekonferenz begegnete, kannte er mich nicht mehr. Sicher nicht aus Überheblichkeit. War Uli Hoeneß doch zu diesem Zeitpunkt bereits ein gestresster Manager, der als erst 28-Jähriger die Geschicke des ruhmreichen, aber runtergewirtschafteten FC Bayern übernommen (und seinen kopfballstarken Bruder Dieter von Stuttgart geholt) hatte.

Respekt

"Hättest du den Uli an Buenos Aires erinnert, hätte er dir sicher die dreifache Summe zurückgegeben", glaubt Andreas Herzog, der von Hoeneß mit größtem Respekt redet. Und das, obwohl Österreichs Rekordnationalspieler in München die bittersten Tagen seiner Karriere erlebte, zumal er für das Liebkind des (von der Münchner Partie abgelehnten) Trainers Otto Rehhagel gehalten wurde.

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Wie Herzog hat auch Bayerns ehemaliger TorjägerCarsten Jancker(jetzt Rapid-Co-Trainer) bis heute nicht vergessen, wie sich Hoeneß still und heimlich abseits vom Kameras im karitativen Bereich engagierte.

Herzog: "Für menschliche Probleme hat Hoeneß immer eine offenes Ohr gehabt. Aber wenn er mit dem Spiel unzufrieden war, konnte er er dich fertigmachen."

Hoeneß bekommt auch als Sechzigjähriger, geplagt von Zorn und Bluthochdruck, eine knallrote Birne, wenn sein FC Bayern einmal nicht 5:0, sondern nur 1:0 führte. Dabei dachten Freunde, dass Einer, der schon einmal dem Tod ins Auge sah, mit der Toleranz des Alters zu relativieren weiß.

1982 überlebte er den Absturz eines Kleinflugzeugs. Alle anderen vier Insassen, darunter Weltcup-Skirennläufer Wolfgang Junginger, starben.

Polizeischutz

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Im Jahr 2000 wünschte man Hoeneß nördlich des Weißwurstäquators den beruflichen Absturz. Mit der Behauptung, der designierte deutsche BundestrainerChristoph Daum nehme Rauschgift, löste er Empörung aus.

Hoeneß erhielt Morddrohungen, benötigte Polizeischutz. Nur Daums freiwillige Haarprobe, die Kokain-Konsum ergab, rettete Hoeneß den Ruf.

13 Jahre später aber wird Hoeneß Haare lassen müssen. Seine vielen prominenten Feinde, die er jahrelang öffentlich belehrte, formieren sich. Und die Medien-Archivare graben genüsslich Tonbänder und alte Zeitungen aus. Sie entlarven den erfolgreichsten Fußball-Funktionär als Mister Doppelzunge:

Hoeneß in der TV–Talkshow "Günther Jauch" am 23. 9. 2012: "Wir müssen die Reichen halten. Damit sie nicht in die Schweiz oder nach Österreich gehen, sondern hier gemolken werden."

Mister Doof

Hoeneß in der Welt am 2. 8. 2002: "Es kann doch nicht Sinn der Sache sein, ins Gefängnis zu wandern, nur um ein ein paar Mark Steuern zu sparen."

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Hoeneß in der Frankfurter Allgemeinen am 17. 9. 2009: "Ich kann doch jetzt nicht nach Berlin zum Finanzminister fahren und verlangen, dass unsere Spieler nur 25 Prozent Steuer zahlen wie in England oder Spanien. Da würden wir durch den Kakao gezogen, und der kleine Mann, der bei Audi am Fließband arbeitet, würde verrückt werden."

Hoeneß in der Bild-Zeitung am 27. 5. 2005: "Ich weiß, dass das doof ist. Aber ich zahle volle Steuern."

Wenn’s blöd läuft, wird Mister Doof nicht einmal der Gewinn des Champions-League-Pokals vor dem Häf’n retten. Der Präsident des Bundes deutscher Steuerzahler, Reiner Holznagel, will den Bayern-Präsidenten hinter Gittern sehen.

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KURIER: Was treibt reiche Menschen dazu, Steuern zu hinterziehen? Die könnten sich die Steuer doch locker leisten. Warum geht jemand wie Uli Hoeneß ein derartiges Risiko ein?
Erich Kirchler: Ich kenne die persönlichen Beweggründe von Herrn Hoeneß nicht, aber es gibt verschiedenste Motive. An erster Stelle natürlich die ganz primitive Gier. Oder man identifiziert sich nicht mit dem Staat und meint, die Steuergelder würden ohnehin nur verschwendet. Manche sind Spielernaturen, da geht’s um das Kribbeln, schlauer zu sein als die Prüfer. Und dann gibt’s auch jene, die glauben, sie könnten alles kontrollieren und ihnen passiere nichts.

Die Überheblichkeit jener Promis und Einflussreichen, die meinen, "mir kann eh nichts passieren"?
Ja, diese Menschen halten sich für besonders clever und unterliegen der Illusion, unangreifbar zu sein.

Was denken sich die braven Steuerzahler, wenn auch noch Uli Hoeneß, der als Vorbild für Fleiß und Anstand galt, als Steuersünder auffliegt?
Wenn solche Vorbilder in dieses Fahrwasser geraten, ist das besonders dramatisch. Oder wenn ein Finanzminister Wasser predigt und gegen die eigenen Werte verstößt. Werden diese Fälle nicht aufgeklärt, denkt sich der Bürger: "Die richten es sich, nur ich bin so dumm und muss alles ordentlich versteuern".

Der kleine Steuerzahler wird zum Trittbrettfahrer?
Der probiert es natürlich auch. Wenn die Konsequenzen nicht nachhaltig sind, warum sollte er es nicht versuchen? Als Rechtfertigung dient dann das Fehlverhalten der Vorbilder. Steuerhinterziehung ist grundsätzlich ein ambivalentes Thema. Kleinere Delikte werden von vielen Bürgern durchaus als Kavaliersdelikt gesehen.

Zum Beispiel?
Die Rechnung ohne Mehrwertsteuer, die nicht angemeldete Putzfrau, Schwarzarbeit, oder auch einmal eine private Taxirechnung, die man in die Buchhaltung der Firma schwindelt. Da ist das Unrechtsbewusstsein nicht sehr stark ausgeprägt. Steuerhinterzieher gelten laut Umfragen übrigens als hart arbeitend und als intelligent.

Ständig fliegen Steuerskandale in großem Stil auf. Zuletzt belegten 2,5 Millionen Dokumente, wie Reiche und Kriminelle weltweit Steueroasen, Briefkastenfirmen und Trusts nutzen. Das untergräbt doch die allgemeine Steuermoral.
Nur dann nicht, wenn es der Autorität – Regierungen, Finanzministern – gelingt, jenen, die die Gesellschaft schädigen, das Handwerk zu legen. Aber die Betonung liegt auf professionell, schießwütige Sheriffs und ein Staat als Überwachungsmonster fördern das Vertrauen in die Autorität nicht.

Man wird kaum weltweit alle Steueroasen trockenlegen können.
Es muss zuerst gelingen, die Oasen in Europa auszutrocknen. Das Argument, weltweit schaffen wir das nicht, darf kein Grund sein, alles so zu belassen wie es ist.

Helfen rigidere Kontrollen und härter Strafen?
Strafen und Kontrollen müssen sein, aber Achtung, der Effekt kann ins Gegenteil kippen. Sind Strafen zu niedrig, dann sind sie quasi ein Preis und damit wirkungslos. Dann wird der Preis gezahlt und munter weiter gegen die Steuergesetze verstoßen. Sind die Strafen zu hoch und werden als unfair empfunden, versucht der Steuersünder, sich das Geld wieder zurückzuholen, indem er sich bemüht, beim nächsten Mal noch cleverer zu agieren.

Werden Steuervergehen zu milde bestraft?
Die Strafe ist maximal das Doppelte des hinterzogenen Betrags. Der Reiche riskiert das Spiel und zahlt nur vom hinterzogenen Betrag, aber nicht von seinem Besitz. Erinnern Sie sich an den deutschen Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel, der zahlte für sechs Millionen unversteuerte Abfertigung eine Million Strafe. Das ist dem egal. Wesentlich schlimmer war der Verlust der Reputation, als die Sache öffentlich wurde. In Australien werden Steuerhinterzieher veröffentlicht, nach dem Motto: Naming, shaming, blaming.

Ist Steuerhinterziehern die Reputation nicht ziemlich egal?
Das glaube ich nicht. Ich kann mir gut vorstellen, dass für Uli Hoeneß die öffentliche Blamage eine wesentlich schlimmere Strafe ist als eine Geldbuße.

Sollte die Finanz in Österreich die Namen von Steuersündern veröffentlichen?
Transparenz hat eine abschreckende Wirkung und könnte Personen oder Firmen von allzu aggressiver Steuergebarung abhalten.

Zumwinkel flog über eine Steuer-CD auf. Darf der Staat gestohlene Steuerdaten kaufen?
Ich halte das nicht für ethisch bedenklich, dieses Mittel steht dem Staat zu. Man kann dem Staat keinen Beißkorb umhängen, wenn er keine anderen Möglichkeiten hat, an Steuerhinterziehung zu kommen.

Sie argumentieren immer, Steuern müssen gerecht sein. In Österreich wird heftig über die Wiedereinführung der Erbschaftssteuer gestritten. Gerecht?
Aus der Sicht des Vererbers nicht, der arbeitet für seine Erben. Aus der Sicht der Erben müsste man aus Fairness gegenüber der Gesellschaft etwas tun. Die einen fallen ins gemachte Nest und die anderen nicht.

Und die Besteuerung von Vermögen grundsätzlich?
Es müssen vernünftige Grenzen gesetzt werden. Die Relationen stimmen nicht mehr. Zypern droht wegen einiger Milliarden Euro die Pleite und gleichzeitig werden in Steueroasen Hunderte Milliarden geparkt.

Ist die hohe Besteuerung von Arbeit fair?
Österreich müsste die Bemessungsgrundlage der Inflation anpassen, um die sogenannte kalte Progression abzufangen. In zehn Jahren haben wir inflationsbedingt eine Erhöhung von rund 30 Prozent, das ist nicht fair.

Was sagen Sie zur erbitterten politischen Auseinandersetzung um das Bankgeheimnis. Die meisten Sparer kennen vermutlich nicht einmal den Unterschied zwischen Anonymität und Bankgeheimnis.
Für den allergrößten Teil der Bevölkerung macht es keinen Unterschied, ob das Bankgeheimnis gelockert, abgeschafft oder beibehalten wird. Für sie ändert sich nichts. Die Debatte wurde unnötig emotional aufgeheizt. Der große Feind EU will uns von außen etwas wegnehmen und bedroht unsere Freiheit, da müssen wir sofort dagegenhalten. Das Bankgeheimnis hatte für den Großteil der Bevölkerung keinen fundierten Wert, aber jetzt hat es einen hohen psychologischen Wert. Anstatt zuerst sachlich über Vor- und Nachteile zu diskutieren, wurde emotionalisiert. Die Politik kann aus dieser Schlinge nur schwer ohne Gesichtsverlust herauskommen.

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Zur Person: Erich Kirchler

Der 58-jährige gebürtige Stüdtiroler und begeisterte Bergsteiger ist Vizedekan der Fakultät für Psychologie an der Universität Wien und stellvertretender Vorstand des Instituts für Wirtschaftspsychologie.

Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Psyche und dem Verhalten der Steuerzahler und gilt international als gefragter Experte zum Thema Steuermoral. Kirchler ist Mitglied zahlreicher internationaler Vereinigungen, er studierte Architektur, Psychologie und Humanbiologie.

Seit Bekanntwerden der Steuer-Affäre Hoeneß wird spekuliert, ob der Bayern-Präsident ins Gefängnis muss. Zwar hat Hoeneß die Selbstanzeige erstattet, doch die schützt nur dann vor Strafe, wenn sie ersten vollständig ist, zweitens die Behörden nicht schon vorher tätig waren.

Punkt zwei betreffend hat Hoeneß möglichweise rechtzeitig gehandelt haben: Wie das deutsche Magazin Focus berichtet , hat die Staatsanwaltschaft München II erst nach der Selbstanzeige ein Verfahren eingeleitet.

Und das obwohl der Name des Bayern-Präsidenten im vergangenen Sommer vom Land Nordrhein-Westfalen erworbenen Steuer-CD aufgetaucht war. Die Staatsanwaltschaft Bochum habe die Daten an die Kollegen in München weitergeleitet, berichtete Focus. Ein Ermittlungsverfahren hätten diese zunächst nicht eröffnet.

Abgehörte Telefonate

Außerdem habe die Staatsanwaltschaft habe am 20. März Hoeneß' Anwesen am Tegernsee und auch drei Stunden lang sein Büro in der Zentrale des FC Bayern in München durchsucht.

Weiters hörten die Fahnder angeblich die Telefonate des 61-Jährigen ab. Hoeneß soll Vermögenswerte in der Schweiz nicht ordnungsgemäß versteuert haben.

Behörden dementieren

Die Bochumer Ermittlungsbehörden haben allerdings noch am Sonntag dementiert: "Das trifft nicht zu. Auf der Steuer-CD, die die Staatsanwaltschaft Bochum bearbeitet, findet sich der Name Hoeneß nicht."

Auch die Staatsanwaltschaft München II wies die Focus-Berichte in einer Pressemitteilung zurück: "Es trifft nicht zu, dass die Staatsanwaltschaften in München im Sommer 2012 eine Steuer-CD mit den Daten von Herrn Hoeneß erhalten haben. Die Staatsanwaltschaft München II wurde erst im Jänner 2013 von der Selbstanzeige 'Hoeneß' unterrichtet."

Das Ermittlungsverfahren gegen den 61-Jährigen habe man "aufgrund der Selbstanzeige 2013 eingeleitet", sagte der Münchner Oberstaatsanwalt Ken Heidenreich.