Sport/Fußball

Heute vor 30 Jahren: Als der FC Tirol gegen Real Madrid 1:9 unterging

"Sagen wir so: Unser Plan ist nicht ganz aufgegangen."

Es gibt Tage, die würde Alfred Hörtnagl gerne aus seinem Gedächtnis streichen. Der 24. Oktober 1990 ist so einer. 1:9 ging der FC Tirol mit Mittelfeldmann Hörtnagl damals im Achtelfinale des Landesmeisterpokals gegen Real Madrid unter - bis heute die höchste Europacup-Niederlage in der Vereinsgeschichte. Und so nebenbei ein Spiel mit vielen Anekdoten.

Dabei hatten damals alle das große Los und die große Chance gewittert. Der FC Tirol dominierte zu dieser Zeit den österreichischen Fußball nach Belieben, Sponsor Swarovski ließ viel Geld für Stars springen, um auch international für Furore zu sorgen. Mittendrin Kult-Trainer Ernst Happel. Wem, wenn nicht ihm sollte es gelingen, mit einem taktischen Genieblitz dem Königlichen Ballett aus Madrid ein Haxl zu stellen?

Doch es kam alles ganz anders.

 

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Es war im nachhinein das große Glück, dass der FC Tirol die Karten für das Heimspiel bereits vor dem Match in Madrid an den Fan gebracht hatte. Wer weiß, wie viele Anhänger sonst nach der 1:9-Schmach überhaupt noch ins Tivolistadion gekommen wären. Vor dem Hinspiel hätte der Klub damals gut und gerne 40.000 Tickets verkaufen können. Immerhin 500 Schilling kostete das Stück.

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Als an einem Werktag um 10 Uhr der Vorverkauf begann, drängten sich gefühlt Tausende Fans an den Stadionkassen. Man hatte den Eindruck, halb Innsbruck machte blau, um eine der begehrten Eintrittskarten zu erlangen. Der Verfasser dieser Zeilen, damals 14 Jahre jung, nahm eine Klassenbucheintragung und einen Anschiss der Eltern in Kauf, um an ein Ticket zu gelangen. Immerhin durfte sich der Schulschwänzer über die Kinder-Karte mit der Nummer 1 freuen.

 

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Während die meisten Gegner von Real Madrid in Ehrfurcht erstarren, waren die Tiroler mit großem Optimismus in die spanische Hauptstadt gereist. Horst Hrubesch, der Assistent von Ernst Happel, hatte das Starensemble beobachtet und bei seiner Rückkehr der Mannschaft Erstaunliches berichtet. "Er hat gesagt, die sind gerade nicht gut. Real ist zum Erwischen", erinnert sich der damalige Abwehrchef Michael Baur. "Es hat immer geheißen: Wenn, dann hauen wir sie jetzt raus", sagt Alfred Hörtnagl.

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Zweifel schienen unangebracht. Immerhin hatte der FC Tirol die Trainer-Legende Ernst Happel auf der Bank. Und der "Wödmasta" wird sich schon etwas dabei gedacht haben, als er seine Mannschaft im Estadio Bernabeu munter drauf los stürmen ließ und dem Starensemble von Real Madrid offensiv Paroli bieten wollte.

"Es war wahrscheinlich nicht die richtige Strategie gegen diesen Gegner", sagt Alfred Hörtnagl. "Das ist relativ schief gegangen."

REAL MADRID - FC TIROL 9:1 (5:1)

Landesmeisterpokal, Achtelfinale, Estadio Bernabeu, 30.000

1:0 Butragueno (4.), 2:0 Sanchez (7.), 3:0 Sanchez (13.), 3:1 Pacult (16.), 4:1 Butragueno (31.), 5:1 Hierro (37.), 6:1 Butragueno (48.),  7:1 Sanchez (73.), 8:1 Tendillo (80.), 9:1 Sanchez (85.).

Real Madrid

Paco Buyo; Chendo, Fernando Hierro, Chucho Solana (59. Villaroya), Predrag Spasic; Juan Jose Maqueda, Santi Aragon (46. Tendillo), Michel, Gheorge Hagi; Emilio Butragueno, Hugo Sanchez

Trainer: John Toshack

FC Tirol

Klaus Lindenberger; Michael Streiter, Michael Baur, Jürgen Hartmann; Kurt Russ, Nestor Gorosito, Manfred Linzmaier, Alfred Hörtnagl, Heinz Peischl; Vaclav Danek, Peter Pacult (80.Christoph Westerthaler)

Trainer: Ernst Happel

Ein Gegner, der sich nicht hinten einigelt - das war ein gefundenes Fressen für die torhungrigen Real-Stürmer Emilio Butragueno und Hugo Sanchez. Nach 13 Minuten lag Real Madrid bereits mit 3:0 voran, ehe Peter Pacult das 1:3 gelang. "Es klingt nach einem 1:9 komisch, aber wir waren in den ersten 25 Minuten wirklich gut in der Partie drinnen und hatten einige super Chancen. Ich hatte wirklich das Gefühl, wir spielen mit Real mit", erinnert sich Michael Baur.

Das Motto für Halbzeit 2: Weiter so

Als es dann zur Pause bereits 1:5 stand, hätte dem FC Tirol eine nüchterne Analyse im Stile von Toni Pfeffer geholfen. Der hatte seinerzeit bei der 0:9-Pleite der Nationalmannschaft gegen Spanien zur Halbzeit gemeint: "Hoch wer'ma des nimmer gwinnen."

Ernst Happel war offenbar anderer Meinung. Er stärkte nicht etwa die Abwehrkräfte oder verordnete ein Rückzugsgefecht, nein, er beharrte auf seiner taktischen Linie. "Es hat nicht geheißen: Jetzt stellen wir uns hinten rein und schauen, dass wir kein Tor mehr kriegen. Nein, wir spielen so weiter und dann werden wir schon noch das eine oder andere Tor erzielen", erzählt Michael Baur.

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Doch es ging wie auf einer schiefen Ebene dahin. Der FC Tirol kassierte ein Tor nach dem anderen, weil der spanische Rekordmeister auch keine Anstalten machte, einen Gang zurück zu schalten. "Die sind dann mit uns Schlitten gefahren", sagt Alfred Hörtnagl. "Ich bin mir total hilflos vorgekommen. Irgendwann habe ich nur mehr gedacht: Hoffentlich wird's nicht zweistellig", sagt Michael Baur, der nach dem Schlusspfiff sogar die Karriere beenden wollte. "Jetzt hau' ich die Bock weg und lass es sein."

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Zumal es für viele Tiroler Spieler die zweite Schmach innerhalb weniger Wochen war. Im September 1990 hatte sich das österreichische Nationalteam, in dem der FC Tirol zu dieser Zeit zahlreich vertreten war, in Landskrona gegen die Kicker von den Färöer Inseln bis auf die Knochen blamiert und 0:1 verloren. Doch anders als das 0:1 gegen die Inselfußballer zog das 1:9 in Madrid weniger Hohn und Spott nach sich.

Nur Toni Polster, damals Stürmer beim FC Sevilla, fühlte sich bemüßigt, sich beim nächsten Teamlehrgang über die Tiroler Spieler lustig zu machen. "Einige Wochen später hat er mit Sevilla gegen Real 0:7 verloren", schmunzelt Michael Baur. "Wir haben immerhin das wichtige Auswärtstor geschossen."

Happels größte Niederlage

Es war für die Tiroler Spieler ein Trost, dass das Stadion beim Rückspiel trotzdem ausverkauft war und keiner auf die Mannschaft pfiff. Und immerhin trotzte der FC Tirol daheim Real Madrid ein 2:2 ab. Einer der Torschützen war Alfred Hörtnagl. "Ich hatte zumindest ein kleines Erfolgserlebnis", erzählt der Sportvorstand von Wacker Innsbruck.

Richtig zugesetzt hatte das 1:9 vor allem Ernst Happel. Der Trainer-Star, der damals schon gesundheitlich angeschlagen war, erlebte eine der größten Enttäuschungen seiner Laufbahn. "Für sein Ego war das die größte Niederlage", sagt Hörtnagl.