Sport/Fußball

Austrias Champions-League-Traum wird wahr

Am Ende brachen alle Dämme. Der Schlusspfiff war der Startschuss für einen kollektiven Jubel in Violett. Die Fans hielt es nicht mehr auf den Sitzen, auf dem Rasen lagen sich die Austrianer in den Armen, einige hatten Tränen in den Augen. Goalie Heinz Lindner kniete allein in seinem Strafraum und hatte das Trikot über den Kopf gezogen.

Geschafft.

Eine 2:3-Niederlage feierte man wie den Titelgewinn in der Champions League. Die Austria eliminierte Dinamo Zagreb und steht in der Gruppenphase der Königsklasse.

Es war wahrlich kein Abend für schwache Nerven.

Es herrschte eine ganz eigene Stimmung rund um die Generali-Arena vor dem Rückspiel gegen Dinamo Zagreb. Großes lag in der Luft, Zuversicht wechselte sich bei den Fans mit Vorsicht, ja sogar ängstlichen Zügen ab. Würde das 2:0 aus dem Hinspiel wirklich reichen? Was, wenn Zagreb früh in Führung geht? Würde die Austria so knapp vor dem Ziel doch noch ins Abseits laufen? Fragen, auf die die Anhänger gerne schon vor dem Spiel Antworten gehabt hätten.

Lied der Meister

Um 20.42 Uhr wurde es in Wien-Favoriten hymnisch. Erstmals ertönte die Fanfare der Champions League in der Generali-Arena, die am Dienstag offiziell Austria-Arena genannt wurde. Manager Markus Kraetschmer stand auf der Tribüne, schloss kurz die Augen und genoss den Moment. Zumindest dieser Traum ist dank jahrelanger Arbeit schon vor dem Anpfiff wahr geworden.

Für die Musik auf dem Rasen sorgte wenige Minuten später die Austrianer selbst. Nach dem 1:0 gab es für Kraetschmer kein Halten mehr, er setzte zum Torjubel an, als hätte er höchstpersönlich getroffen. Wenige Meter daneben umarmten einander Austria-Präsident Wolfgang Katzian und dessen Vize Rudi Reisner. Dazwischen schnappte der völlig überrumpelte Verwaltungsratsvorsitzende Karl Blecha nach Luft.

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Dann stockte den Fans plötzlich der Atem: 1:1. Da waren sie wieder, die bösen Vorahnungen. Dinamo-Legende Davor Suker, Präsident des kroatischen Verbandes, schöpfte dagegen auf der Ehrentribüne wieder Hoffnung. Erst recht nach dem 2:1. Plötzlich hörte man nur die Dinamo-Fans, die in großer Anzahl auf der West- und der Südtribüne vor Freude hüpften.

In den Gesichtern der Violetten entdeckte man nur noch das blanke Entsetzen. Man fühlte sich wie Sebastian Vettel, der auf der Zielgeraden mit leerem Tank ausrollt. Zur Pause präsentierte Markus Kraetschmer ein gequältes Lächeln. Die Anspannung war in jeder seiner Bewegungen zu erkennen.

Angst und Bange

Als Jun knapp nach der Pause das 2:2 verjuxte, rissen sich manche Fans die Haare büschelweise aus vor Verzweiflung. Jubeln durfte da nur die Friseur-Innung. Da sich am Bild auf dem Rasen nichts änderte, gab es weiterhin Gemütsschwankungen auf den Rängen. Der Austria-Fan wähnte sich bei Nestroy und war der Zerrissene. Noch reichte das 1:2, aber die Vorstellung der Mannschaft ließ kein gutes Ende vermuten.

In der 70. Minute war es dann soweit: 1:3. Fassungslosigkeit. Entsetzen. Was tun?

Aufstehen, noch einmal alle Kräfte mobilisieren und das Team anfeuern. Noch blieb ja Zeit. Das Zittern erlebte eine Fortsetzung. Und plötzlich stand er da, der Kienast, und drückte den Ball zum 2:3 über die Linie. Eine Halluzination? Mitnichten. Die Austria-Arena explodierte regelrecht.

Österreichische Klubs in der Champions League:

Wien, Austria Arena, 10.500 Zuschauer, SR Tagliavento (ITA)

Hinspiel 2:0 - Austria mit Gesamtscore von 4:3 in der Champions League, Auslosung am Donnerstag in Nyon

Tore:
1:0 ( 5.) Mader
1:1 (33.) Brozovic
1:2 (43.) Fernandes
1:3 (70.) Beciraj
2:3 (82.) Kienast

Austria: Lindner - Koch, Rogulj, Ortlechner, Suttner - Mader, Holland (81. Kienast) - Royer, Stankovic, Jun (69. A. Grünwald) - Hosiner (85. Leovac)

Dinamo: Sandomierski - Pinto, Addy, Simunic, Pivaric - Ademi - Soudani (75. Leko), Husejinovic (59. Beciraj), Brozovic, Fernandes - Sammir (73. Antolic)

Rote Karte: Soudani (92./bereits ausgewechselt auf Bank)
Gelbe Karten: Rogulj, Leovac bzw. Brozovic, Simunic, Fernandes, Pivaric

Nenad Bjelica (Trainer Austria): "Uns wird erst in einigen Tagen bewusst sein, was wir erreicht haben. Das 1:0 war sehr wichtig, weil wir gezeigt haben, wir wollen nach vorne spielen. Nach der Führung waren wir vielleicht nicht konsequent, haben geglaubt, das ist schon gegessen. Dinamo hat sehr hohe Qualität, um Tore zu schießen. Es waren auch viele Räume frei für den Gegner, das haben sie ausgenutzt. Auch nach dem 1:3 habe ich an die Mannschaft geglaubt, wollte ruhig bleiben und habe versucht, eine Alternative zu bringen. Ich glaube, meine Mannschaft hat sich den Aufstieg verdient, deshalb ist uns noch ein Tor gelungen. Jetzt hätte ich gerne Real Madrid, Barcelona oder Chelsea."

Roman Kienast (Torschütze Austria): "Es ist unbeschreiblich, so ein Tor schießt man nicht aller Tage. Gott sei Dank habe ich heute die Chance bekommen, ich bin genau richtig gestanden. Wir können das jetzt noch nicht realisieren, aber morgen können wir uns doppelt freuen."

Florian Mader (Torschütze Austria): "Erstmals in der Champions League. Ganz Österreich freut sich mit uns mit. Ich freue mich auf die Auslosung. Da wird jeder Wunsch erfüllt, ganz egal was kommt. Es ist ein Wahnsinnsgefühl. Zagreb hat es uns sehr, sehr schwer gemacht. Das haben wir gewusst, aber lange nicht konsequent genug nach vorne gespielt."

Marko Stankovic (Mittelfeldspieler Austria): "Ich kann es noch immer nicht glauben, von dem habe ich als Kind geträumt. Wir sind perfekt gestartet, aber dann hat Dinamo perfekt gespielt, wir haben kein Gegenmittel gefunden, vielleicht zu viel Respekt gehabt. Der Fußballgott hat heute aber runtergeschaut. Vielleicht ist nicht die fußballerisch bessere Mannschaft weiter, sondern die, die mehr wollte."

Markus Suttner (Verteidiger Austria): "Die Nerven waren angespannt. Nach dem 1:3 waren die Kräfte schon am Ende, aber ein Willensakt hat es noch einmal herumgerissen."

Manuel Ortlechner (Kapitän Austria): "Für den Großteil der Mannschaft geht ein Lebenstraum in Erfüllung. Wir sind mit den Nerven am Ende. Diese Partie hat alles geboten, was Fußball bieten kann."

Heinz Lindner (Torhüter Austria): "Wir wussten, nach dem 2:0 in Zagreb könnte es noch einmal schwer werden. Es war defensiv sehr schwer, gegen Dinamos offensive Qualität stand zu halten. Wir sind aber 180 Minuten kompakt gestanden, was ich zu halten bekommen habe, habe ich versucht zu halten. Als kleiner Bub ist man mit dem Vater am Sofa gesessen am Mittwoch und hast Champions League geschaut, jetzt kannst du nicht mehr, weil du selbst spielst. Das ist unglaublich."

Markus Kraetschmer (Austria-Vorstand Wirtschaft): "Es war eine Berg- und Talfahrt, aber das ist Austria Wien. Wir müssen es spannend machen. Das ist eine der, wenn nicht die schönste Niederlage. Wir werden jetzt Fußballfeste haben in Wien. Dieser Abend ist ein geschichtsträchtiger für die Austria."

Thomas Parits (Austria-Vorstand Sport): "Das ist ein großer Tag für die Austria, wir haben gegen eine starke Mannschaft gespielt. Die Wechsel waren ein Nachteil für Dinamo, wir haben dadurch Aufwind bekommen. Wir können stolz sein, dass wir weitergekommen sind. Nun gibt es keine Wunschgegner, ich wünsche mir nur eine starke Gruppe."

Im Vorjahr hatte sich die Austria nicht einmal auf nationaler Ebene für Europa qualifiziert. Salzburg, Rapid, Admira und Ried hießen die Vorrunden-Starter. Und Salzburg hieß bald danach der große Blamierte – auf dem Weg in die Königsklasse gescheitert an Düdelingen.

Es überflüssig zu erwähnen, dass Austrias Bezwinger ungleich stärker ist. Aber dass Dinamo so dominant sein würde, wie es der Zagreber Präsident trotz Dinamos 0:2-Heimniederlage vollmundig behauptet hatte, hätte wohl auch niemand erwartet.

Wie so oft im internationalen Vereinsfußball zeigte sich, dass der vielzitierte Heimvorteil immer seltener einer ist. Der Austria schien in Favoriten die Favoritenrolle, in die die Violetten dank des beeindruckenden Zagreber Auftritts gedrängt worden waren, eine Nummer zu groß zu sein. Und auf der Medientribüne wurden schon kritische Analysen über eine Angsthasen-Taktik in die Laptops getippt. Bis zur 81. Minute. Bis Wechselspieler Roman Kienast mit seinem ersten Ballkontakt zum 2:3 traf.

Der Schuss aus kurzer Distanz war acht Millionen Euro wert und der Beweis, wie nahe Triumph und Tragödie im Fußball beisammen liegen. Den Austrianern (allen voran dem tüchtigen Tormann Lindner) gebührt Gratulation zu ihrer schönsten Niederlage.