Warum Schweden hart im Nehmen sind
Von Barbara Beer
Bis zum Bauch im kalten Wasser stehe ich da und stelle mir Fragen über die Scheidungsrate in Schweden. Schwedische Paare, insbesondere solche auf Hochzeitsreise, bauen angeblich gerne gemeinsam Floße und verbringen dann bis zu einer Woche damit auf dem Fluss. Während der Kollege am Ufer kluge Hinweise zur sachgemäßen Handhabung des schweren Baumstammes, den ich zu halten versuche, herüberruft, frage ich mich, ob diese Paare dann lang verheiratet bleiben.
Einige Stunden später weiß ich: Oberg’scheite Anweisungen kann man ignorieren, Schiefer in den Händen schaffen emotionale Verbindung und das Entscheidende bei einer langen Flussfahrt ist vernünftiger Proviant. Und vor allem weiß ich jetzt: Sechs Stunden vergehen wie im Flug, wenn man nichts tut, als sich im Anblick der glatten Wasseroberfläche und der Wolken, die sich darin spiegeln, zu verlieren. Im Ohr nur den Sound von Vogelgezwitscher. Ich war selten in meinem Leben so entspannt. Damit war zunächst nicht zu rechnen.
Fluss ohne Wiederkehr – das war dieser Film, in dem Marylin Monroe und Robert Mitchum die Stromschnellen auf einem lecken Floß hinunterdonnerten. Daran muss ich denken, als wir an diesem für hiesige Verhältnisse warmen Sommertag das Ufer des Klarälven erreichen, an das sich der gleichnamige Campingplatz schmiegt. Hier ist allerdings alles ein bisschen gemütlicher als in dem Otto-Preminger-Western, in dem die Monroe so schön sang. Kleine rote Holzhäuschen, dazwischen Birken und immer wieder dichte Polster von Lupinen, die rosa, weiß und purpur blühen.
Die Gelsen, vor denen sie mich daheim gewarnt haben – Kollege H. riet mir zu Bärenfett, das so stinke, dass sich nicht nur keine Gelsen, sondern auch keine Menschen nähern –, sind nicht bösartiger als die daheim und wir haben milde Temperaturen erwischt für unser Vorhaben: ein Floß zu bauen und damit den Klarälven zu befahren, Värmlands längsten Fluss. Zwar nicht eine ganze Woche, sondern nur einen Nachmittag. Respekt habe ich trotzdem.
Der 460 Kilometer lange Klarälven, der von Norwegen aus durch Värmland bis hinunter nach Karlstad fließt und dort in den Vänernsee mündet, ist im Oberlauf ein Wildfluss mit durchaus beunruhigenden Stellen. Flößen hat hier Tradition: Vom
16. Jahrhundert bis ins Jahr 1991 wurde Holz aus Norwegen bis zum Vänernsee hinunter geschickt, der Klarälven war der letzte schwedische Fluss, auf dem noch Flößerei betrieben wurde. Heute gibt es hier nur mehr Floßfahrten für Touristen entlang der Strecke zwischen den Orten Branäs und Edebäck, wo der Fluss meist ganz gemütlich durch die Hügellandschaft Mittelschwedens mäandert.
Noch sind wir nicht so weit. Zuerst muss das Floß gebaut werden. Von uns. Instruktor Benno wird später auf Nachfrage bestätigen, dass Floß bauen und Floß fahren auch für manche Schweden eine Herausforderung sein kann. Für zwei frisch Verheiratete war die Ehe nach einer Woche Floß tatsächlich wieder vorbei. Schade für das Paar, als Gruppe fühlen wir uns jedoch bestätigt. Dann sind also doch nicht alle Skandinavier so viel klüger, langmütiger und geschickter als wir. Nicht alle, aber die meisten, stellen wir fest, als wir verstohlen zur den Nachbarn hinüberschauen, die schleppen, bauen, schwitzen und dabei auch noch glücklich aussehen.
Sind eben hart im Nehmen.
Es ist vor allem eine wirklich körperliche Herausforderung, mit der wir es zu tun haben. Vier Stunden Floßbauen für sechs Stunden Floß fahren. Der Gedanke daran, dass am Ende eine Auffangeinrichtung die Baumstämme im Wasser aufhält und wir das Holz nur mehr von den Seilen lösen, aber nirgends mehr hin tragen müssen, hilft. Was auch geholfen hätte, wäre der Hinweis, dass man hier Handschuhe gut brauchen kann. Die Stämme aus Kiefer und Tanne müssen wir zwar nicht selbst fällen – sie warten in Stapeln unweit des Ufers –, zum Wasser muss man sie aber schon selber bringen. Schiefer und Abschürfungen bei unsachgemäßer Behandlung sind im Preis inbegriffen. Wer nicht schleppt, steht im Wasser und bindet die Stämme zusammen. Es hat definitiv unter achtzehn Grad. Im Vorteil ist, wer sich mit Seilen und Knoten auskennt. Also nicht ich. Instruktor Benno bleibt geduldig, schließlich kommen hier nicht nur schwedische und norwegische Familien zum Floßbauen, sondern auch weniger Fluss- und Floß-Affine, vor allem deutsche Touristen. Dabei passt das Wort Tourist so gar nicht in diese dünn besiedelte Landschaft. Wer hier urlaubt, sucht Naturnähe, Elche und Abenteuer. Von Touristen in Massen kann keine Rede sein, die findet man nicht einmal rund um Värmlands zweitgrößte Sehenswürdigkeit, den Fryken-See, der Heimat von Literaturnobelpreisträgerin Selma Lagerlöf, die dort ihren Roman „Gösta Berling“ ansiedelte. Wölfe und Bären kommen darin vor. Denen begegnet man selten in Värmland, eher Elchen. 400.000 Exemplare gibt es in Schweden, die meisten davon hier. Rund hundert davon sind weiß – eindeutig die größte Sehenswürdigkeit der Gegend. Nicht nur Gäste, auch die Schweden lieben sie: Das staatliche Fernsehen hat sogar eine Elch-Fernsehsendung erfunden – „The Great Moose Migration“, nachzusehen unter svtplay.se/den-stora-algvandringen. Wer statt Elch-TV Live-Erlebnisse will, sollte auf Lichtungen mit Wildblumen achten, wo die Tiere spätabends äsen.
Zurück zum Floß. Ja, wir haben zu siebent unter Anleitung fast vier Stunden gebraucht, um fahrtüchtig zu werden. Dazwischen lagen kalte Füße, ein paar Schrammen und hin und wieder leichte Verzweiflung – wie war das jetzt mit dem einfachen Knoten? Die Aussicht auf ein kühles Bier aus der lokalen Mikro-Brauerei Fryken und einen Nachmittag Nichtstun versöhnen mich. Unser Floß wird mit Proviant (natürlich müssen die typisch schwedischen Zimtschnecken mit!), Paddeln und langen Stangen beladen – letztere sind dazu da, um uns bei Bedarf von Sandbänken abzustoßen. Die Fahrt wird gemütlich, der Klarälven ist auf dieser Strecke meist ein langer, ruhiger Fluss, aber weil der Wasserstand hoch ist, ist doch viel Bewegung darin und wir müssen darauf achten, nicht in der Böschung zu stranden. Vorsichtshalber sollte man neben dem Kartenlesen auch die Kurven zählen, die man schon hinter sich hat. Verfehlt man die Ausstiegsstelle in Bjökebo, ist die nächste Station tatsächlich erst Karlstad.
Wir werden auf dieser Fahrt nichts Spektakuläres erleben. Werden in den Himmel starren, uns hin und wieder ins Wasser gleiten lassen. Rote Holzhäuschen und ein paar Kühe vorbeiziehen sehen, dazu Vogelgezwitscher, leises Geplauder. Ich glaube, ich kann mir eine Woche auf diesem Fluss vorstellen
Anreise
Von Wien nach Stockholm z. B. mit Austrian. Weiter mit Bus, Bahn oder Flugzeug nach Karlstad. Spätestens dort empfiehlt es sich, ein Auto zu mieten
Wohnen und Essen
Rund eine Autostunde von Karlstad liegt der Frykensee, wo sich der wunderschön gelegene Campingplatz Frykens Pärla zum Wohnen und mit seinem hübschen Gasthaus zum Genießen anbietet. frykensparla.se
Wohnen und Floßbauen
140 Kilometer nördlich von Karlstad in Stöllet liegt Vildmark i Värmland am Klarälvens Camping. Hier geht man das Natur-Abenteuer gemütlich an: Der Outdoor-Urlaub beginnt in hübschen kleinen Holzhütten Von hier aus bieten sich Kanutouren, Wanderausflüge und Bibersafaris an. Holzfloß-Pakete gibt es von einem bis zu acht Tagen, Material und Proviant inklusive, ein Tag ca. 125 Euro pro Erwachsener.