Mit einem Knalleffekt tauchte die steirische Stadt vor 40 Jahren im Weltcup-Zirkus auf, heute ist sie nicht mehr wegzudenken, wenn’s um rasante Rennen geht.
111,22 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit. Ein-Hundert-Elf-Kommazweiundzwanzig. Durchschnitt! Diese Geschwindigkeit erreichte Franz Klammer am 22. Dezember 1973 beim ersten Weltcuprennen auf der Schladminger Planai. So schnell und brutal war nie zuvor ein Skirennen gewesen. Eine Woche später stand ich auf der gleichen Piste. Nicht ganz freiwillig, dafür war ich damals doch noch zu klein, sondern weil mein Vater sich eine derartige Herausforderung nicht entgehen lassen konnte. Ganz ehrlich: Ich hab den Klammer-Rekord nicht gebrochen. Mein Vater wohl auch nicht, wobei ich das nicht mit absoluter Sicherheit sagen kann. Und: Ich wäre lieber zu Hause geblieben, denn es war ein ungemütlich kalter, grauer Tag und ich war schon damals ein Schönwetterfahrer. Aber: Bei jedem Schwung sah ich Franz den Großen mit seiner breiten Skiführung und den wild rudernden Armen – ästhetische Besonderheiten, die ich damals auch ganz gut drauf hatte – vor mir, und ja: Mit den am Abend zuvor vom Papa rasiermesserscharf geschliffenen Kanten über dieselben Hänge zu kratzen, vielleicht sogar die Spur des Nationalhelden zu kreuzen, der hier gerade erst den Schweizer Erzkonkurrenten Bernhard Russi eine Niederlage zugefügt hatte – für den chauvinistischen Knirps, der ich 1973 war, ein absolutes und vor allem unvergessliches Abenteuer.
Im Gegensatz zu mir machte
Schladming eine steile Karriere. Bis zu dem denkwürdigen Dezember vor knapp 40 Jahren hatte kaum jemand die 4.400-Einwohner-Stadt im Westen der
Obersteiermark auf seiner Liste der legendären Rennsport-Orte – jetzt war
Schladming nicht mehr aus dem Weltcup-Zirkus wegzudenken. Nur neun Jahre später fand hier dann auch bereits die erste
Ski-WM statt, und
Schladming wurde in einem Atemzug mit den großen, klingenden Namen des Wintersports genannt. Die Abfahrt, die Königsdisziplin, blieb auch bei der ersten steirischen Weltmeisterschaft eine rotweißrote Angelegenheit,
Harti Weirather sorgte für ein nationales Erfolgserlebnis. Aber der
Franz, der große Held meiner frühen Kindheit, wurde nur mehr siebenter, die Zeit ist unbarmherzig und vor allem relativ – was wenig ist für eine Stadt, bedeutet schon eine Ewigkeit in einem Sportlerleben.Überhaupt, die Zeit! Wer
Schladming besucht, mag überrascht sein, wie man diese kleine Bergbaustadt zwischen
Dachstein und Niederen Tauern so lange übersehen konnte. Denn unabhängig von den fantastischen Wintersportmöglichkeiten auf Planai, Hauser-Kaibling, Hochwurzen und Reiteralm-Gebiet oder den spektakulären Weltcup-Nightraces mit gut 50.000 Besuchern, kann sich auch die Stadt selbst ganz einfach sehen lassen. Denn sie ist, und das bildet vielleicht gerade den Reiz, bei dem ganzen Rummel um Geschwindigkeitsrekorde, langsam gewachsen, ließ sich viel Zeit.
So prägen 200-jährige Bürgerhäuser das Stadtbild genauso wie die gut erhaltenen Reste der 500-jährigen Stadtmauer, das trutzige Stadttor, der Rundturm oder die spätromanische Stadtpfarrkirche und ihr evangelisches Pendant.
Schladming blickt auf eine lange, teils hochdramatische Geschichte zurück. Das erdet und ist im schnelllebigen Geschäft des Spitzensports doppelt wichtig. So hat
Schladming die beiden erfolglosen Bewerbungen der letzten Jahre auch gut weggesteckt – und ist
nun wieder an der Reihe. Natürlich mit einem noch nie dagewesenen und rekordverdächtigen Aufwand. Und ich werde mir das
Spektakel sicher nicht entgehen lassen. Wegen
Franz Klammer und seinem wilden Ritt? Auch. Vor allem aber, weil es mich an einen denkwürdigen Ausflug erinnert, den ich als kleiner Bub mit meinem Vater gemacht hab.