Ein neuer Blick auf London
Einwohner und Besucher Londons können ab Freitag die Stadt aus einer spektakulären neuen Perspektive betrachten: In 244 Metern Höhe eröffnet am 1. Februar die Aussichtplattform des Shard-Gebäudes, des höchsten Wolkenkratzers in Westeuropa. 310 Meter ragt der vom italienischen Stararchitekten Renzo Piano entworfene pyramidenförmige Turm in den Londoner Himmel - wie ein gigantischer "Splitter", so die englische Bedeutung des Namens.
Doch längst nicht alle Londoner sind begeistert von der neuen, 450 Millionen Pfund (548 Millionen Euro) teuren Attraktion. The Shard sei zu hoch, zu futuristisch, zu teuer und stelle die historischen Monumente der Stadt in den Schatten. Projekt-Architekt William Matthews ficht diese Kritik nicht an. "Als der Eiffelturm gebaut wurde, wurde er gehasst. Heute lieben ihn die Pariser", sagt Matthews bei einem Rundgang durch das Gebäude. "Hohe Gebäude wie der Eiffelturm oder das Empire State Building werden zu Symbolen für ihre Städte."
Für die Akzeptanz des Wolkenkratzers sei es entscheidend, dass er öffentlich zugänglich sei, sagt Matthews. "Es ist nicht nur ein privates Gebäude für einige wenige exklusive Leute." Aber längst nicht alle Londoner werden es sich leisten können, die Aussichtsplattformen zwischen dem 68. und dem 72. Stockwerk zu besuchen. 24,95 Pfund (30 Euro) kostet der Eintritt für einen Erwachsenen. Dennoch haben bereits Tausende Eintrittskarten gebucht, und die Betreiber hoffen, pro Jahr bis zu eineinhalb Millionen Besucher mit ihren Hochgeschwindigkeitsaufzügen nach oben befördern zu können.
Außerdem gibt es Dokumentarfilme über die Stadtgeschichte und riesige Fotomontagen als Einführung in den britischen Humor zu sehen. Auf einer fährt die "Eiserne Lady", die frühere konservative Premierministerin Margaret Thatcher, mit Karl Marx Tandem.
Schon der Weg zur Plattform ist beeindruckend: Mit einer Geschwindigkeit von sechs Metern pro Sekunde schießen die Aufzüge in die Höhe. Untermalt wird die rasante Fahrt von eigens dafür komponierter und vom London Symphony Orchestra eingespielter Musik. "Das fühlt sich an wie Fliegen", sagt Architekt Piano, der Erschaffer des - ebenfalls lange von den Parisern ungeliebten Centre Pompidou. Obwohl der Bau des Italieners nicht einmal halb so hoch ist wie der 828 Meter hohe Burdsch Chalifa in Dubai - das höchste Gebäude der Welt -, verschwindet die Spitze des Shard oft in den Wolken.
Vermarktet wird der Hochhausturm als "vertikale Stadt", in der Luxusgeschäfte, Büros, Restaurants, ein Fünf-Sterne-Hotel und die hochgelegensten Wohnungen des Landes untergebracht sind. Wenn alles fertiggestellt ist, sollen hinter der gläsernen Fassade einmal rund 8.000 Menschen wohnen.
Vom Boden aus betrachtet ist der Wolkenkratzer genauso beachtlich wie der Blick von oben. Um herauszufinden, was die Menschen von seinem Bauwerk halten, müsse man nur die Passanten beobachten, sagt Piano und zitiert seinen Landsmann und Freund, den Filmemacher Roberto Rossellini: "Schau nicht das Gebäude an, sondern in die Gesichter der Menschen, die es anschauen."