Politik

Zwei Jahre Haft für Pussy-Riot-Aktivistinnen

Schuldig" – das entscheidende Wort fiel am Freitag bereits im ersten Satz. Kurz nach 15 Uhr Moskauer Zeit eröffnete Richterin Marina Syrowa d­amit ihre Urteilsverkündung gegen Nadeschda Tolokonnikowa, Maria A­ljochina und Jekaterina S­amuzewitsch. Erst nach der fast drei Stunden dauernden Begründung folgte das Strafausmaß: Zwei Jahre Haft für jede der Angeklagten im Straflager, ihre Untersuchungshaft von fast sechs Monaten wird angerechnet. Der Staatsanwalt, hatte drei Jahre beantragt.

Die jungen Sängerinnen der feministischen Gruppe Pussy Riot hatten am 21. Februar kurz vor der Präsidentenwahl in der Moskauer Christi-Erlöser-Kathedrale zur Gottesmutter um die Vertreibung Wladimir Putins gebetet. Für die Richterin erfüllten sie damit den Tatbestand des "Rowdytums aus religiösem Hass".

Entlastungszeugen wurden nicht gehört

Die Angeklagten hätten mit ihrer Aktion die Gefühle der Gläubigen auf das Gröbste verletzt, erklärte S­yrowa. Sie hätten gegen öffentliche Ordnung und Moral verstoßen und keine Reue gezeigt. Die Anklage, die 3000 Seiten Material über die kaum einminütige Aktion gesammelt hatte, stützte sich auf die Aus­sagen von neun Nebenklägern – alle Messdiener, Mitarbeiter und Wachleute der Kirche.

Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Die Performance sei vom Verfassungsrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Ihre Beweisanträge wurden jedoch abgeschmettert, Entlastungszeugen wurden nicht gehört.

Die Anwälte und ihre Mandantinnen hatten daher mit einem politisch motivierten Schuldspruch gerechnet. Ein Gnadengesuch an Putin lehnten sie ab: "Machen Sie Witze? Natürlich nicht. Eher sollte er uns und Sie um Gnade bitten." Zwar wollen die Anwälte Berufung einlegen, sie rechnen aber bestenfalls mit einer Minderung des Strafmaßes um wenige Monate.

Massenproteste im Herbst?

Gefasst nahmen die drei Frauen das Urteil entgegen – im Plexiglaskäfig und in Handschellen wie gemein­gefährliche Mörder. Unter ihren Sympathisanten hingegen kam es zu spontanen Ausbrüchen: "Schande, Inquisition und Russland ohne Putin", skandierten sie. 60 Personen wurden festgenommen.

Der Fall Pussy Riot polarisiert Russland: Der l­iberale Teil der Bevölkerung fühlt sich vom strengen Vorgehen der Justiz abgestoßen. Aber immerhin 33 Prozent halten laut Umfrage eine Haftstrafe von bis zu sieben Jahren für gerechtfertigt. Zugleich erreichten die Zustimmungsraten für Präsident Putin im Juli den absoluten Negativ-Rekord: Nur noch 48 Prozent der Befragten schätzen seine Arbeit. Beobachter gehen davon aus, dass die Empörung über das Urteil die bisher zerstrittene außerparlamentarische Opposition zusammenschweißen könnte und die Massenproteste im Herbst erneut an Fahrt gewinnen.

Nach der Urteilsverkündung wurde Regimegegner und Ex-Schachweltmeister Gerri Kasparow festgenommen. Ihm drohen nun fünf Jahre Haft (mehr dazu lesen Sie hier).

Reaktionen

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Am Freitag Nachmittag wurde das Urteil gegen Pussy Riot verkündet, der Sturm der Entrüstung brach kurz danach los. Der Tenor über das gefällte Urteil gegen Pussy Riot war eindeutig: Die drei Frauen seien zu Unrecht zu zwei Jahren Straflager verurteilt worden.  Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel monierte, das harte Urteil stehe  nicht im Einklang mit den europäischen Werten von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, zu denen sich auch Russland bekannt habe.

Österreichs Außenminister Michael Spindelegger hielt die Strafe in der ZiB2 für „zu hoch gegriffen“;  Außenamts-Staatssekretär Wolfgang Waldner sah darin  sogar einen „Verstoß gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung“ laut Europäischer Menschenrechtskonvention. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton zeigte sich „tief enttäuscht“ – sie forderte von Russland eine Revision des Urteils.  Dieses verstoße gegen internationale Verpflichtungen. Auch das US-Außenministerium zeigte sich besorgt über „negative Folgen für die Meinungsfreiheit in Russland“. Für die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sind die drei jungen Frauen politische Gefangene; das Urteil  sei eine Warnung an alle, die Putins Regierung kritisierten.

Auch Künstler-Kollegen aus aller Welt stärkten Pussy Riot den Rücken. Paul McCartney, Madonna, Björk und zahlreiche andere zählten dazu. Die Literaturnobelpreisträger Elfriede Jelinek und Mario Vargas Llosa kritisierten den Vorwurf des "Religionshasses".

Musiker Udo Lindenberg nannte das Urteil "idiotisch"; es werde eine große Protestwelle nach sich ziehen. Schon bald nach der Urteilsverkündung erfüllte sich seine Prophezeiung: Mit  Solidaritätsaktionen beim Burgtheater und im Stephansdom war nicht nur Wien Schauplatz des  Protests. In Dutzenden Städten weltweit wurden Aktionen abgehalten:  In Moskau und Bulgarien stülpten Anhänger  Denkmälern bunte Sturmhauben über. In  Kiew fällte eine Aktivistin der feministischen Gruppe Femen ein  Holzkreuz mit einer Motorsäge. Sie muss sich nun wegen Landfriedensbruchs verantworten.

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