Wollte Dollfuß Giftgas einsetzen lassen?
Das Nachrichtenmagazin profil veröffentlicht in seiner am Montag erscheinenden Ausgabe ein brisantes Dokument vom 13. Februar 1934. Wenige Stunden nach Ausbruch der Kämpfe zwischen Sozialdemokraten und Christdemokraten in Wien, ruft Ministerialsekretär Albert Hantschk, einer der engsten Mitarbeiter von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, im Polizeipräsidium an. Polizei-Jurist Walter Sturminger legt sogleich einen Aktenvermerk an: „Dr. Hantschk, BKA, teilt mit: Bundeskanzler Dr. Dollfuß habe die Anregung gegeben, die E-Werke in Simmering nicht zu stürmen, sondern überfallsartig zu vergasen, damit die Arbeiter keine Gelegenheit hätten, die Maschinen zu zerstören. Herrn Präsident gemeldet.“
Den Aktenvermerk entdeckte der Historiker Fritz Keller in einer Mappe des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes und stellte den Text profil für weitere Recherchen zur Verfügung. profil findet, dass es „eher unwahrscheinlich“ sei, dass der Aktenvermerk gefälscht sein könnte oder dass sich der Beamte des Kanzleramtes und der Polizei-Jurist missverstanden hätten.
Das E-Werk und Gaswerk in Wien-Simmering war von aufständischen Arbeitern besetzt und eines der Zentren der Kämpfe. Die Staatsmacht ließ schwere Artillerie um das Werk auffahren. „Insofern scheint der jetzt aufgetauchte Aktenvermerk über den Wunsch des Kanzlers, das E-Werk ‚überfallsartig zu vergasen‘ um die Anlagen zu schonen, nur logisch“, schreibt profil.
Faktum sei jedenfalls, dass der von faschistischen Ideen begeisterte Dollfuß tödliches Giftgas aus dem Ersten Weltkrieg kannte. Den größten Teil des Krieges verbrachte er bei den Kaiserjägern in den Dolomiten, wo sich die k. u. k. Armee und Italiener in schweren Kämpfen gegenüberstanden und Giftgas als Waffe einsetzten.
In Wien-Simmering kam es nicht zum Einsatz von Giftgas, weil das Bundesheer nicht darüber verfügte. Gasgranaten waren nämlich nach dem Friedensvertrag von St. Germain verboten.