Politik/Inland

Wiens SPÖ droht Grazer Schicksal

Bei der Gemeinderatswahl in Graz haben am Sonntag zwei Faktoren zum Erfolg geführt:

Eine attraktive, politisch breite und interessante Persönlichkeit wie Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) und eine Empathie ausstrahlende Kleine-Leute-Politik (der örtlichen KPÖ).

Was nicht oder kaum zum Erfolg geführt hat, ist auch klar:

Blaue Hetze statt (Integrations-)Lösungen sowie eine Funktionärskaste, die nur mit sich selbst und ihren internen Intrigen beschäftigt ist (wie die SPÖ).

Graz war bis 2003 SPÖ-regiert. Seither verlor die SPÖ bei jeder Wahl, nun steht sie bei nur noch zehn Prozent und fliegt sogar aus dem Stadtsenat hinaus.

Kann Ähnliches der SPÖ in Wien passieren? Christian Deutsch aus dem Doris-Bures-Bezirk Wien-Liesing macht vorsorglich Michael Häupl für ein etwaiges Grazer Schicksal der Wiener SPÖ verantwortlich: Das komme davon, wenn ein Langzeitbürgermeister nicht rechtzeitig für eine Nachfolge sorgt, twitterte Deutsch.

Aber ganz so einfach ist es nicht. Vergleicht man die Ursachen, die zum Niedergang der SPÖ-Graz geführt haben, mit dem Zustand der SPÖ-Wien, drängen sich andere Parallelen auf.

Alle Inhalte anzeigen

Funktionärs-Streit

Die Grazer Genossen ergingen sich Jahrzehntelang in internen Richtungsstreitereien. Die miteinander verfeindeten Lager gleichen einander in Graz und Wien aufs Haar: Hie ein links-fortschrittliches Lager, das zwar urban, aber zu dogmatisch-eng daherkommt, um für breite Wählerschichten attraktiv zu sein. Auf der anderen Seite ein Realo-Lager (vornehmlich aus Gewerkschaftsfunktionären), denen der Esprit und die Persönlichkeiten fehlen, um beim trendigen Stadtpublikum anzukommen.

In Graz ist die SPÖ seit dreizehn Jahren mit sich selbst beschäftigt. Ihr Spitzenkandidat vom Sonntag war ein parteiinterner Kompromiss. Stolz vermeldete die Grazer SPÖ im Wahlkampf als Schlagzeile auf ihrer Homepage: "98 Prozent stehen hinter Michael Ehmann."

Und wen kratzt das als Wähler?

Kaum jemanden, wie man an dem Ergebnis sieht.

Wie die Grazer SPÖ befindet sich auch die Wiener zunehmend im Zustand der reinen Binnen-Kommunikation (mit den "Leuten draußen" spricht sie hauptsächlich im Wege öffentlicher Inserate in Boulevardzeitungen).

Im roten Binnen-Kosmos wird nach einem Nachfolger für Michael Häupl als Bürgermeister gesucht. Er soll ein "Kompromiss" aus den zerstrittenen roten Lagern sein – nicht etwa eine Persönlichkeit, die vielleicht ein politisches Signal wäre, die regieren kann oder sonst wie für ein breiteres Stadtpublikum attraktiv wäre. Nein, es geht darum, welches Funktionärs-Lager sich durchsetzt und wie künftig Posten und Macht auf die Streitparteien aufgeteilt werden.

Eine solche Nabelschau hat Folgen. "Seit zwei Jahren rührt sich nichts mehr. Kompletter Stillstand. Alle warten nur noch ab, was kommt", klagte unlängst ein Wiener SPÖ-Politiker gegenüber dem KURIER.

Helfen statt Hecheln

Die Grazer Stadtpolitik liefert auch Hinweise im leidigen Streit, wie man jene Leute ansprechen könnte, die in Richtung FPÖ abdriften.

Die KPÖ etwa kümmert sich um Alltagsprobleme, ist bei den Leuten präsent, hilfsbereit und strahlt dabei echte Empathie aus. Zuhören und eine helfende Hand zu reichen erwies sich in Graz jedenfalls als das bessere Rezept als der FPÖ-Hetze hinterherzuhecheln. Die KPÖ eroberte einen zweiten Regierungssitz, die FPÖ blieb unter 16 Prozent mit nur einem Sitz im Stadtsenat.

Das Endergebnis der Grazer Gemeinderatswahl hat Montagabend nach Auszählung der Briefwahl-Stimmen eine bittere Pille für die ehemalige Bürgermeister-Partei SPÖ gebracht: Sie konnte ihren Stadtsenats-Sitz nicht halten und fliegt aus der Proporz-Regierung. Der Sitz ging an die KPÖ, die nun zwei Sitze im Senat innehat. Die ÖVP blieb bei ihren drei Sitzen, die FPÖ bei einem, ebenso wie die Grünen.

Ehmann spricht von "schweren Stunden"

Ehmann kommentierte das Endergebnis: "Es sind schwere Stunden für die Grazer SPÖ, die wir gerade durchleben. Ich möchte nichts beschönigen. Was nun eingetreten ist, haben wir gestern schon befürchtet: die Tatsache, dass wir keinen Regierungsauftrag mehr haben. Ich sehe das als deutliches Zeichen. Wir werden in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten unsere Schlüsse daraus ziehen. Klar ist, wir werden ab dem heutigen Tag völlig neue Wege gehen müssen, dabei aber einen kühlen Kopf bewahren. Wir sind in einer völlig neuen Position und werden uns neu orientieren." Panik oder Schnellschüsse wolle man vermeiden.

Alle Inhalte anzeigen

SPÖ-Klubobmann stellt Amt zur Verfügung

Nach dem Verlust des Stadtsenats-Sitzes hat SPÖ-Klubobmann Gerald Hassler am Montag sein Amt zur Verfügung gestellt. Denn ohne Regierungssitz ist das die einzige verbliebene Spitzenfunktion der Sozialdemokraten, die Ehmann ausüben könnte. Ehmann erklärte, er wolle für das Amt kandidieren. Die Wahl durch den Klub ist reine Formsache.

Für ÖVP-Bürgermeister Siegfried Nagl wird die Koalitionsbildung ohne die SPÖ nun noch schwieriger, hatten ihm doch die Roten als einzige Partei bis zum Schluss die Stange gehalten.

Nichts verändert haben die Briefwahlstimmen bei den Mandaten: Die FPÖ bekommt acht, die NEOS eines. Die ÖVP wird mit 19 Sitzen im Gemeinderat vertreten sein, die KPÖ mit zehn, Grüne und SPÖ mit jeweils fünf.

Alle Inhalte anzeigen
Die ÖVP baute mit den Briefwählern ihren ersten Platz noch ein Stück aus und kommt nun auf 37,79 Prozent (plus 4,05). Die FPÖ sicherte sich mit 15,86 Prozent den dritten Platz (+ 2,11). Die Grünen legten erwartungsgemäß durch die Briefwahl noch etwas zu, dennoch blieben sie mit 10,51 Prozent und minus 1,63 Prozentpunkten unter den eigenen Erwartungen. Die NEOS schafften bei ihrem ersten Antreten in Graz auf Anhieb 3,94 Prozent und den Einzug in den Gemeinderat.
Die Wahlbeteiligung betrug 57,39 Prozent und fiel damit besser aus als 2012, als 55,47 Prozent der Wahlberechtigten zur Urne geschritten waren. Bei der Bundespräsidenten-Stichwahl am 4. Dezember hatten in Graz 74,4 Prozent ihre Stimme abgegeben.

Koalitionssuche schwierig

Obwohl Nagl bei der Wahl zwei Mandate im Gemeinderat zulegen konnte, wird eine Regierungsbildung schwierig: Einigt er sich mit der FPÖ auf eine Koalition, haben die beiden Klubs gemeinsam 27 von 48 Mandaten und damit eine stabile Basis. Noch besser würde es nur zusammen mit der KPÖ aussehen, denn die beiden zusammen kommen auf 29 Mandate. Die KPÖ wurde von Nagl jedoch als Koalitionspartner im Vorfeld ausgeschlossen. Mit den geschwächten Grünen schafft die ÖVP keine Mehrheit. Vom Stadtparteitag der ÖVP hieß es nach dem Endergebnis, dass eine Agenda erstellt und verhandelt werde - und zwar mit allen, mit denen sich eine Mehrheit bilden lässt. Die KPÖ sei aber "eigentlich kein Thema", hieß es aus ÖVP-Kreisen.

KPÖ rechnet mit Schwarz-Blau

Die KPÖ teilte nach dem Ergebnis mit, dass die neue Konstellation der Mehrheitsverhältnisse im Rathaus "eine Koalition zwischen ÖVP und FPÖ sehr wahrscheinlich" mache. Eine Zusammenarbeit mit der KPÖ habe Nagl dezidiert ausgeschlossen. Trotzdem bleibe die KPÖ offen und werde ihre Vorschläge mit in künftige Verhandlungen nehmen.