Politik/Inland

Big Mother is watching you: Wie Eltern ihre Kinder überwachen

Nicht zu wissen, wo das eigene Kind hin ist, ist eine Horrorvorstellung.

Das ist das eine.

Aber in der Schule anzurufen und zu schreien:„Wo ist meine Tochter? Laut App ist sie nicht in der Schule!“?

Das ist das andere.

Helikoptereltern

Was eine Wiener Lehrerin über eine – höflich ausgedrückt – überfürsorgliche Mutter erzählt, ist kein Einzelfall. Eltern, die am Handy ihrer Kinder Überwachungs-Apps installieren, sich anzeigen lassen, ob das Kind in der Schule oder bei der Oma angekommen ist, gibt es mittlerweile viele – und nicht immer ist das, was am Handy zu sehen ist, auch richtig: Im konkreten Fall hat sich herausgestellt, dass das Kind nicht in der Innenstadt strawanzte, sondern brav in der Klasse saß. Die App hatte schlicht gesponnen.

Das ist aber nicht das einzige Problem. Wer seinem Nachwuchs Programme wie „Little Nanny“, „My Mobile Watchdog“ oder „Net Nanny“ installiert, kann nämlich viel mehr als nur sehen, wo das Kind gerade ist – mit manchen Apps kann man auch Browserverläufe ansehen, SMS- oder Chatkonversationen mitlesen und – im Fall des Falles – dem Kind sogar per Fernsteuerung den Internetzugang sperren. Die App „Wo ist Lilly“ – eigentlich für entlaufene Hunde – geht sogar noch einen Schritt weiter: Via Smartwatch am Handgelenk der Kinder kann man da Zonen definieren, in denen sich das Kind aufhalten darf. Verlässt es diese, wird es nicht nur per Warnton ermahnt, sondern man kann mitlauschen, was passiert – und dem Kind sogar Sprachnachrichten über seine Uhr schicken.

Entfremdung

Schöne neue Welt also?

Irgendwie schon. „Überprotektive Eltern gibt es schon länger. Sie haben nur durch neue Technologien jetzt ganz andere Möglichkeiten“, sagt Karin Haslgrübler, Schulpsychologin im Wiener Stadtschulrat. Neben der Tatsache, dass das auch rechtlich umstritten ist – in Deutschland wurden mithörende Smartwatches verboten, weil damit auch andere Personen abgehört werden –, ist Überwachung aber vor allem für die innerfamiliäre Beziehung problematisch. Wenn Eltern ihren Kindern nicht vertrauen und nur ihre Urängste ausleben, hat das oft die entgegengesetzte Wirkung als gewünscht – es führt zu Entfremdung.

„Schwierig ist das vor allem in der Pubertät, wenn Kinder von sich aus nicht mehr viel erzählen“, sagt Haslgrübler.

Wenn man ihnen dann den Freiraum durch Überwachung nimmt, werde ihr Verhalten nur schwieriger – „sie verschließen sich immer mehr den Eltern gegenüber. Und die Eltern brauchen womöglich immer mehr Überwachungsinstrumente, um zu wissen, was ihr Kind macht.“ Eine Spirale nach unten also.

Dazu kommt, dass die Sicherheit, in der sich Eltern wiegen, oft eine „falsche ist“, wie Barbara Buchegger, pädagogische Leiterin von saferinternet.at, sagt. Denn Kinder verlassen sich durch Notfallsfunktionen der Apps auch darauf, dass sie geschützt sind – und das sei nicht immer hilfreich: Wichtiger sei, so Buchegger, dass Kinder in heiklen oder gefährlichen Situationen wissen, wie man reagieren muss und selbstständig agieren können. „Darauf zu warten, dass Vater oder Mutter auf einen Notruf antworten oder eine Sitzung unterbrechen, um im Auto zu Hilfe kommen, ist in den meisten Fällen keine gute Option.“

Was also tun? Zuhören und sich in die digitale Welt des Kinder hineinfühlen – und nicht hineinschauen, sagt Haslgrübler. „Eine offene Kommunikation ist wichtig, ebenso wie gewisse Regeln, die klar ausgesprochen werden. Dann trauen sich Kinder auch etwas zu erzählen – sie erleben, dass ihre Eltern nicht nur restriktiv handeln, sondern auch Ansprechpartner sein können.“

Umgedrehter Spieß

Wenn das nicht funktioniert, gibt es für die ganz Restriktiven noch richtig fiese Apps – jene, in denen man die Kinder nicht nur überwachen, sondern auch für ihr Verhalten bewerten kann. Mit manchen dieser Apps, so kann man in den Bewertungen nachlesen, kann man den Spieß aber auch umdrehen: „Jetzt weiß ich endlich, wann meine Eltern heimkommen“, schreibt ein junger Bursche da etwa.

Dann heißt es blöderweise: Big Boy is watching you.

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