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"Freunde der Zahl Pi": Ein Präsident zwischen Chaos und Vernunft

(Über 120.000 Präsidenten gibt es in Österreich. Einige von ihnen porträtieren wir in unserer neuen kurier.at-Serie "Unsere Präsidenten" - so lange, bis Österreich wieder einen Bundespräsidenten hat.)

"Freunde der Zahl Pi" heißt der Verein, dessen Präsident Christian Kreuzer da gerade in der Aula der FH-Wien sitzt und von seiner Besteigung des Gasherbrum II erzählt. Auch dort - auf 8.034 Metern Seehöhe - habe er die ersten hundert Nachkommastellen der Zahl Pi (π) runtergerattert. Kreuzer ist also Weltrekordhalter. Mehrfacher sogar - jenen für die am rasantesten aufgesagte Zahlenfolge (3,14...) hält er nämlich auch. Aufgestellt hat ihn der 51-jährige Wiener bei einem Sprung aus dem Flugzeug - Pi ward natürlich aufgesagt, bevor die Reißleine des Fallschirms gezogen wurde. Ehrensache. Mit der Aktion wurde Kreuzer vor circa zehn Jahren - so genau weiß er das auch nicht mehr - zum Präsidenten jenes Vereins, der von dem behornbrillten Mathematiker-Klischee ungefähr so weit weg ist wie Pi Stellen hinter dem Komma hat (damit hier keine Missverständnisse aufkommen: Es sind sehr, sehr, sogar unendlich viele).

Ein chaotischer Verein

Der "Verein der Freunde der Zahl Pi" ist also kein elitärer Verein. Das sieht man schon dem Präsidenten an. Kreuzer, aufgeknöpftes Hemd, Lederband um den Hals, spricht weniger von Formeln als von Lebensfreude, Chaos und Unberechenbarkeit. Eigenschaften, die die Mitglieder - ein "abstruser Haufen an Eigenbrötlern" - schon in der Zahl Pi selbst grundgelegt sähen. Kreuzer, nennt es den "Geist der Zahl Pi". Es geht also um die Irrationalität und - wenn schon nicht im Wort-, dann jedenfalls im alltäglichen Sinne - um die Unberechenbarkeit dieser Zahl.

Mitglied werden kann jeder, der die ersten hundert Stellen hinter dem Komma aufsagen kann. Theoretisch. Seit der ausgebildete Berginstruktor, (ehemalige) Fallschirmspringer, Wirtschaftsprofessor für Finanz- und Rechnungswesen ("Ich mach auch Triathlon und Marathon, aber das macht ja mittlerweile eh schon jeder") Präsident ist, muss das nämlich auch noch mit einem "aktionistischen Impetus" geschehen. Wichtig ist nur, dass selbst Hand angelegt wird. Den Wetterballon-Versuch, mit dem ein Kollege aus der Schweiz Kreuzers Rekord vom Gasherbrum II brechen wollte, ließ er deshalb nicht gelten. Das Funkgerät, das dort angebracht war, funkte zwar auch aus 10.000 Metern noch, dass sich der Pi-Aufsager dafür aber nicht einmal aus dem Wohnzimmer bewegen musste, war Kreuzer dann doch zu wenig. Anstatt des Anwärters wurde kurzerhand der Wetterballon aufgenommen.

Pi-Verehrung

Die Pi-Vertonung eines Musikers dagegen, der dafür eine eigene Zehntonmusik entwarf, findet er noch heute genial. "Genau das ist der Geist des 'Vereins der Freunde der Zahl Pi'" (Kreuzer sagt immer gleich den ganzen Namen seines Vereins). Dazu gehört auch, 3,14 Meter vom Wiener Stephansdom entfernt auf einem 3,14 Meter hohen Pult Pi zu predigen. Oder in einer Guerilla-Aktion den Christkindlmarkt am Rathausplatz zu kapern und wie im Jahr 2000 den Weihnachtsbaum auch mit der Zahl Pi zu schmücken. "Wir sind da mitten in der Nacht, um halb zwei, auf den Baum raufgeklettert. Bemerkt hat's bis zum Schluss niemand."

Pi ist eben eine Religion für sich - das steht sogar im Vereinsstatut, das die "Verkündigung des Geistes der Zahl Pi" ausdrücklich vorsieht. Dass Albert McWasi, der "Die Freunde der Zahl Pi" 1991 ins Leben rief, Pi sogar als sein Religionsbekenntnis angibt, ist da nur konsequent.

Rund 80 Mitglieder, darunter viele Mathematiker, natürlich, aber auch Künstler, Musiker und Astronomen, zählt der Verein inzwischen. Dazu kommen noch einige Pi-Botschafter in Deutschland, der Schweiz und den USA, die dazu berechtigt sind, potenziellen Mitgliedern die Aufnahmeprüfung abzunehmen.

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Pi, Pizza, Pilze und Pier

Und wenn man dann einmal Mitglied ist, was macht man dann? "Na dann trifft man sich, tauscht sich über Sinn- und Unsinn dieser Welt aus und isst Pizza, Pilze oder Pier", lacht Kreuzer. Allerdings in sehr losen Abständen, gibt der Vereinspräsident zu. Fixtage seien der Pi-Tag am 14. März (3/14) und der sogenannte Pi-Approximation-Day am 22. Juli (22/7 ≈ 3,14).

Sogar einen Kongress habe man organisiert - doch das ist auch schon wieder etwas länger her. 2005 wird das wohl circa gewesen sein. Wie gesagt, so genau weiß er das nicht mehr. Kreuzer ist kein Zahlenfetischist, ihm geht es um die Geschichte. "Es hat dort ganze Lesungen gegeben." Eine Stunde lang - die Zahl Pi in all ihrer abwechslungsreichen Einzigartigkeit. Wie das Buch geheißen hat, aus dem da gelesen wurde? "Pibel, natürlich - das ist ein Ausdruck der ersten zehn Millionen Nachkommastellen von Pi, so dick wie ein Telefonbuch." Kreuzer schwört auf die meditative Wirkung, muss dabei aber natürlich selbst schmunzeln.

Für manche ist es natürlich einfach auch nur ein Spiel mit dem Nutzlosen. Denn eigentlich, lacht Kreuzer, ist es ja völlig sinnlos, was wir da machen. "Um ein Raumschiff zum Mars zu schicken, braucht man maximal zehn Stellen, für die meisten technischen Anwendungen ist 3,14 wahrscheinlich vollkommen ausreichend - und da gibt es Leute, die Milliarden und Milliarden von Stellen ausrechnen. Das ist natürlich ein Spiel mit der Sinnlosigkeit."

Ernst wird er erst wieder, als er über die Philosophie, "der Zahl Pi" selbst spricht. "Der Kreis ist eigentlich eine der einfachsten, harmonischsten Formen, die es gibt. Und wenn ich jetzt Umfang mit dem Durchmesser dividiere, dann kommt die Zahl Pi raus." Das sei das Spannende daran: "Dass in dieser Welt aus dem Chaos scheinbar Ordnung entstehen kann." Stimmt ihn das auch für die Bundespräsidentenwahl optimistisch? "Absolut", sagt Kreuzer. Und lacht wieder (siehe mehr dazu im Video).

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