Politik/Inland

Skandal um Jugendhaft bringt Karl unter Druck

Als Einzelfall hatte Beatrix Karl die vor Kurzem bekannt gewordene Vergewaltigung eines 14-jährigen Buben in der Justizanstalt Wien-Josefstadt qualifiziert; Strafvollzug sei halt „nicht das Paradies“. Schon da war die ÖVP-Justizministerin von Polit-Gegnern und Experten gescholten worden. Kälte, Zynismus wurde ihr bescheinigt. Jetzt, angesichts bereits vier dokumentierter Missbrauchsfälle im heurigen Jahr, kommt sie immer mehr unter Druck.

Faymann stellt sich hinter Karl

Die Grünen drängen darauf, dass Karl abdankt. „Nicht mehr tragbar“ ist sie auch für einen aus den Reihen des Koalitionspartners – für Wolfgang Moitzi, Chef der Jung-Sozialdemokraten. SPÖ-Kanzler Werner Faymann stellt sich zwar hinter Karl, diese müsse aber handeln: „Ich vertraue der Ministerin, dass sie diese Missstände beseitigt, die nicht kleinzureden sind. Es zeigt sich, das ist kein Einzelfall. Zur Tagesordnung kann man nicht übergehen. Ich erwarte klare Änderungen.“ Das tut auch die Opposition. BZÖ-Chef Josef Bucher begehrt eine Untersuchungskommission mit einem unabhängigen Frontmann. Die FPÖ will eigene Vollzugsanstalten für Jugendliche.

SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim befindet ebenfalls via KURIER: „Die Jugendlichen müssen sofort raus aus dem Grauen Haus. Ende Juli darf es in der Justizanstalt Josefstadt keinen mehr geben.“ Diese seien in der Justizanstalt Gerasdorf oder einer anderen geeigneten Einrichtung unterzubringen. Karl zeiht er, eine Untersuchung vom Jänner über Gewalt in Gefängnissen (siehe unten) ignoriert zu haben: „Es war einer der schwerstmöglichen Fehler, die eine Justizministerin machen kann, auf die Studie nicht zu reagieren. Die mangelnde Umsetzung (der Verbesserungsvorschläge der Fachleute) hat sich manifestiert in der Vergewaltigung eines Jugendlichen.“

Karl braucht "Umsetzungseinheit"

Was sagt Karl zu all den Vorwürfen und Begehrlichkeiten? Nichts. Sie schickte den Sektionschef für Strafvollzug, Michael Schwanda, vor. Er leitet die „Taskforce Jugend-U-Haft“, die über den Sommer Neuerungen erarbeiten will. Jarolim dauert das zu lang: „Die Justizministerin braucht keine Taskforce, sondern eine Umsetzungseinheit.“ Praktiker bräuchten nur noch bewerten, ob und wie die Anregungen aus der Studie realisiert werden können.

ÖVP-Justizsprecher Michael Ikrath verlangt zwar ebenfalls, „die Zustände im Jugendvollzug deutlich zu verbessern“, er verteidigt Karl aber auch: „Die neuen vier Missbrauchsfälle wurden erst durch denBerichtsauftrag derJustizministerin bekannt. Wer da von Untätigkeit spricht, redet wider besseren Wissens.“

Wegen der aktuellen Causa bekritteln nicht nur Fachleute, dass unter Schwarz-Blau der Jugendgerichtshof geschlossen worden ist. Auch SPÖ-Justizsprecher Jarolim moniert das: „Jetzt fliegt uns das Ganze um die Ohren.“

Koalitionspakt

Das könnte man auch der rot-schwarzen Regierung vorhalten. Sie hat 2008 im Koalitionspakt festgeschrieben, die „Betreuung in Justizanstalten, insbesondere im Jugendvollzug“ zu verbessern. Und in Wien ein neues Gericht zu errichten – „unter anderem für Zwecke der Jugendgerichtsbarkeit und des Jugendstrafvollzugs mit der dazugehörigen Betreuungsinfrastruktur“. Dieses Haus gibt es bis heute nicht.

Sexueller Missbrauch im Jugendstrafvollzug ist kein Einzelfall. Mittlerweile sind allein heuer vier Fälle aktenkundig, die Dunkelziffer ist viel höher, sagen Fachleute.

Auch eine Studie des Ludwig-Boltzmann-Instituts belegt, dass es sexuelle Übergriffe unter jugendlichen Häftlingen gibt. Die Experten haben binnen zwei Jahren (Februar 2011 bis Jänner 2013) den Jugendstrafvollzug in Österreich intensiv durchleuchtet. Es wurden Häftlinge befragt sowie eine Sozialarbeiterin aus der Justizanstalt Gerasdorf und die Leiterin der Jugendabteilung der Justizanstalt Wien-Josefstadt in die Untersuchung eingebunden. In Workshops wurden Empfehlungen für Verbesserungen erarbeitet.

Die wichtigsten Erkenntnisse: Generell gibt es unter den Jugendlichen viel Gewaltpotenzial. U-Häftlinge sind häufig zu viert in einer Zelle untergebracht. „Gewalt passiert hier überwiegend innerhalb der Zelle, wo die Jugendlichen ihren Mithäftlingen schutzlos ausgeliefert sind. In den Zellen kommt es teilweise zu massiven Übergriffen, auch in Form von sexuellem Missbrauch und Misshandlungen“, heißt es in der Studie. In Strafhaft (meist Einzelzellen) wird Gewalt oft in Gruppen ausgeübt, etwa in Ausbildungsstätten.

Ausgewählte Empfehlungen: maximal zwei Personen pro Zelle; mehr Zeit außerhalb der Zelle bzw. für sportliche Aktivitäten; mehr Kontakt zu Sozialarbeitern; Anti-Gewalt-Trainings; Therapien; weniger aggressives Verhalten der Justizwache gegenüber Jugendlichen.

Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) kommt nicht aus der Schusslinie. Nach zweieinviertel Jahren im Amt kann sie zwar auf einige, durchaus beachtliche Erfolge verweisen. Diese wurden in der öffentlichen Wahrnehmung aber immer wieder überschattet von Pannen, Rückziehern und zuletzt Karls viel gescholtenem Umgang mit den Missbrauchsfällen in der U-Haft für Jugendliche.

Kein leichter Start

Karl hatte es von Anfang an nicht leicht: Die studierte Arbeitsrechtlerin musste im April 2011 von der Wissenschaft in die Justiz wechseln, um die Scharten ihrer gescheiterten Vorgängerin Claudia Bandion-Ortner wieder auszumerzen. Und hatte gleich die Causa Golowatow am Hals, wo die umgehende Wieder-Freilassung des in Wien festgenommenen russischen Offiziers für diplomatische Verstimmungen und Schelte der EU-Kommissarin sorgte.

Die Erwartungen an Karl waren, Ruhe ins eigene Haus zu bringen - Bandion-Ortner hatte es sich mit den Richter, Staatsanwälten und Experten verdorben - und das gesunkene Vertrauen in die Justiz wieder anzuheben. Denen wurde sie teilweise auch gerecht: Karl startete eine "Vertrauensoffensive" - u.a. mit Ausbildungs- und Informationsmaßnahmen -, heute ist die Vertrauenskrise nicht mehr das große Thema. Das Verhältnis mit den Richtern und Staatsanwälten, die Karl ebenso mit freudigem Applaus begrüßt hatten wie die Rechtsanwälte, besserte sich zwar. Aber es trübte sich wieder, als Karl - was ihr mehrfach vorgeworfen wurde - "überfallsartig" Gesetze ändern wollte.

Widerstand gegen "großen Plan"

Die Standesvertreter, Rechtsanwälte und Experten verstanden es allerdings, über die Medien Druck zu machen und Änderungen zu erwirken - und so entstand immer wieder der Eindruck von "Rückziehern" Karls. Viel gescholten (teils auch aus der eigenen Partei) und dann nicht oder anders durchgezogene Vorhaben waren etwa die Ausweitung der Diversion auf Amts- und Korruptionsdelikte mitten in der Aufarbeitung großer Korruptionsfälle, die Aufweichung des Berufsgeheimnisses von Anwälten und Journalisten, die Ausweitung der Zuständigkeit der Bezirksgerichte im Zuge des Sparpakets, die Reparatur der Grundbuchsgebühren (mit einer starken Verteuerung) - und auch die Reduktion der Bezirksgerichte. Hier preschte Karl mit einem großen Plan (die Standorte mehr als zu halbieren) vor, musste sich aber nach Widerstand der Landeshauptleute mit wesentlich weniger zufriedengeben.

Von Kritikern wird der Ministerin mangelnder politischer Instinkt attestiert - und ihr jüngster Umgang mit dem Missbrauch jugendlicher U-Häftlinge war Wasser auf diese Mühlen. Nicht leichter macht das Leben von Justizministern, dass sie auch für Entscheidungen der unabhängigen Richter gescholten werden. So stand Karl auch im Kreuzfeuer der Kritik, als bekanntwurde, dass ein wegen Vergewaltigung Verurteilter sich dank Fußfessel die Haft erspart hatte - worauf sie, nach anfänglichem Zögern, mit einer Verschärfung der Kriterien reagierte.

Regierungsprogramm abgearbeitet

Bei allem Pech und Pannen hat Karl es aber geschafft, das Regierungsprogramm im Justizbereich weitgehend abzuarbeiten. Die Familienrechtsreform (mit der neuen Obsorgeregelung), die Verschärfung des Korruptionsstrafrechts, das neue Lobbyistengesetz, ein Kinderschutzpaket mit schärferen Strafen für Missbrauch und Gewalt, die GmbH-Reform, im letzten Moment noch die Neuregelung des Mafia-Paragrafen sind umgesetzte Vorhaben. In der Richterschaft hoch angerechnet wird der Ministerin, dass sie es schaffte, trotz prinzipiellem Aufnahmestopp für 2013 93 Posten mehr für die Justiz auszuverhandeln.