Politik/Inland

Sexismus - der Dialog

In der Debatte um den Herrenwitz des Politikers Rainer Brüderle und um die Aktion #Aufschrei geht es nicht nur um die Frage, was Frauen tun können, um sich gegen Sexismus zu wehren. Sondern auch um ein Umdenken bei Männern. Darüber diskutierten eine Feministin und ein ganz normaler Mann.

KURIER: Würde Hufnagl der Knecht ein einschlägiges Kompliment machen?
Hufnagl: Ich kenne die Doris schon so lange, ich hätte kein Problem mit einem solchen Kompliment.
Knecht: Aber ich würde sofort zurückreden.
Hufnagl: Ich weiß. Aber ich weiß auch, du kennst mich. Würde ich eine Grenze überschreiten, würde mir das sofort gespiegelt.

Wann wäre es nicht okay?
Knecht:
Wenn Michael mein Chef wäre. Es geht sehr um den Ausdruck von Machtverhältnissen. Ich möchte vom Chef nicht hören, dass ich gut ausschaue. Ich will nicht als Frau, sondern als Mitarbeiterin wahrgenommen werden.

Hufnagl: Die Grenzen verschwimmen da stark. Was sage ich, in welchem Umfeld, und wie sage ich es. Ein und derselbe Satz kann schmierig klingen oder charmant. Der Ton macht die Musik. Das wird hier immer wieder vermischt.

Knecht: Ich habe einmal ein Interview mit einem gemacht, der war eh berüchtigt, und er hat mich prompt ausgegriffen. Ich fand es widerwärtig, aber ich habe mich nicht dagegen gewehrt. Erstens habe ich das Interview gebraucht. Zweitens gehört es in Wien teilweise zum guten Ton, dass man ab und zu übergriffige Kommentare macht. Das war bei einer gewissen Generation von Männern ein Zeichen von Anerkennung. Und Frauen sind so erzogen worden, dass sie das nicht als Ausdruck von einem Machtverhältnis wahrnehmen, sondern als Kompliment.

Stichwort Angreifen: Sind verbale und körperliche Übergriffe gleichzusetzen?
Hufnagl:
Ich habe #Aufschrei von Anfang an mitverfolgt, da haben Frauen ihre Erlebnisse geschildert. Es hat mich geschockt, wie viele das sind, und wie sie das empfinden. Da wird man nachdenklich, betroffen, schweigsam. Das Problem ist, je mehr das wächst, desto eher beginnt sich die Diskussion zu verzweigen. Dann geht es nicht nur um Sexismus, sondern auch um sexuelle Übergriffe. Da werden Bagatelldelikte mit traumatischen Ereignissen vermischt. Und am Ende des Furors kommt heraus, alle Männer sind Schweine. Das ist dann der Punkt, wo in mir ein Aber wächst. Jetzt wehre ich mich als Mann.

Knecht: Ich halte die Diskussion für eine Chance, dass Mädchen lernen, solche Dinge nicht als Kompliment zu nehmen, sondern als Übergriff. Und dass Buben lernen, das nicht zu tun.

Was sagt der Mann dazu?
Hufnagl:
Machtmissbrauch steht außer Diskussion. Aber nicht jede patscherte Anmache oder jedes misslungene Kompliment ist gleich Sexismus. Da gibt es Graubereiche. Und es braucht a G’spür. Ich habe Frauen ins Dekolleté geschaut – nicht geglotzt. Wenn sie sagt, sie will das nicht, ist für mich klar, ich mache das nicht. Männer müssen ein Nein akzeptieren. Nur Frauen sollten lernen, dieses Nein auszusprechen und sich nicht darauf verlassen, dass ihre Gedanken gelesen und Mimik und Gestik richtig interpretiert werden.

Ist es im Job gar nicht erlaubt, Grenzen zu überschreiten?
Hufnagl:
Im Büro, wo Macht eine Rolle spielt, ist es viel heikler als zum Beispiel bei einer Party. Aber: Viele Partnerschaften entstehen am Arbeitsplatz. Gerade in der Politik – da ist es passiert, dass jemand mit seiner Sekretärin oder, wie im Fall von Gerhard Schröder, mit einer Journalistin zusammenkommt.
Knecht:
Ganz selten ist die Frau in der Position über dem Mann, wenn so etwas passiert.

Ein häufiges Argument: Frauen, die sich kurze Sachen anziehen, provozieren solche Kommentare. Gilt das?
Knecht:
Nein. Ich denke, wenn du mit einem kurzen Rock die Straße entlanggehst, heißt das nicht, dass du angequatscht werden willst. Das heißt einfach, dass du einen kurzen Rock anhast, weil er dir gefällt.

Hufnagl: Männer sind in der Wahrnehmung sexueller Reize oft simpel gestrickt. Beispiel: Eine Frau zieht sich für eine Weihnachtsfeier super sexy an und hat ein Mörder-Dekolleté. Und ich sage freundlich: Tolles Dekolleté. Das akzeptiere ich nicht als Sexismus. Weil da legt jemand Wert darauf, sein Dekolleté zu zeigen, und ich reflektiere das mit Blicken und einem Kompliment.
Knecht: Aber du kannst auch sagen, gut schaust du aus! Muss es der Busen sein, den du bemerkst? Vielleicht begreift sie ihr Dekolleté als Teil ihres Gesamtoutfits, und du schaust nur auf ihren Busen.
Hufnagl: Es ist ein Unterschied, ob ein 50-jähriger Chef das zu seiner 20-jährigen Mitarbeiterin sagt oder ein 17-jähriger aufgeregter Bub. Eine der zwei Initiatorinnen dieses Aufschreis saß diese Woche bei Stern-TV und hat Regeln aufgestellt: ,Jedes Kompliment, das sich auf das Äußere bezieht, degradiert eine Frau zum Objekt.‘ Das kann’s ja auch nicht sein. Da läuft dann schon viel in die falsche Richtung.
Knecht: Auch da geht’s um wer und wie. Wenn einer, den ich kenne, sagt, gut schaust du aus, ist das etwas anderes, als wenn das ein Fremder auf der Straße sagt.
Hufnagl: Ich würde niemals einer fremden Frau sagen, tolles Dekolleté. Aber in einem Umfeld, wo ich die handelnden Personen kenne, würde ich das sehr wohl tun, und da sage ich dann mit Leidenschaft: Ja, ich bin Sexist, weil ich weiß, wie die Botschaft ankommt. Was mich stört, ist Generalverdacht. Plötzlich ist alles frauenfeindlich. Das hat Folgen: Wenn du jetzt zum Chef gehst und sagst, der Herr Hufnagl hat mich sexuell belästigt, dann lieferst du mich ans Messer. Und es ist dabei egal, ob es wahr ist oder nicht. Selbst, wenn sich herausstellt, dass es nicht stimmt – den Makel habe ich für immer. Umgekehrt ist das kaum denkbar.

Wollen Frauen Feedback zu ihrem Aussehen?
Knecht:
Das ist eine Henne oder Ei-Frage. Wieso tragen Frauen Stöckelschuhe? Man fühlt sich schöner damit – aber warum? Weil irgendwann einmal jemand gesagt hat, dass es gut ausschaut. Es ist immer alles eine Folge von Sozialisationen. Deswegen kann man auch nicht sagen, das ist die Schuld der Frauen oder Männer.
Hufnagl: Voriges Jahr haben sich 16.000 Frauen für Germany’s Next Topmodel beworben. 16.000, die jetzt vielleicht #Aufschrei schreien, lassen sich von Frau Klum – nicht von einem Mann – zum Stück Fleisch degradieren.

Was können Frauen und Männer aus dieser Diskussion mitnehmen?
Knecht:
Allem voran – Sensibilisierung. Vielen Männern ist nicht bewusst, was sie damit anrichten. Wenn sie anfangen nachzudenken, ob sie’ s sagen oder nicht, dann ist schon viel passiert. Als ich angefangen habe zu schreiben, waren homosexuelle Partnerschaften öffentlich inexistent. Dass sie heiraten dürfen, war undenkbar. Da hätte niemand gedacht, dass es innerhalb von zwanzig Jahren passieren wird. Ich glaube, dass auch dieser Prozess fortschreiten wird.

Wie sollte eine Frau auf sexuelle Bemerkungen reagieren?
Knecht:
Kommt auf die Situation an. Das kann ja zum Beispiel auf der Straße auch gefährlich werden.
Hufnagl: Wenn wir dorthin kommen, dass eine Frau die Kraft hat zu sagen: Stopp, Nein. Und ein Mann die Kraft hat, das zu respektieren, dann hätten wir schon gewonnen. Du kannst es ja auch so formulieren: Vielleicht meinst du das jetzt als Kompliment, aber das kommt so nicht an. Das hilft schon in der männlichen Wahrnehmung. Es zählt nicht nur, wie es ankommt, sondern auch wie es gemeint ist.

Zum Abschluss, welches Kompliment könntet Ihr einander jetzt machen?
Knecht:
Gut schaust aus!
Hufnagl: Das wäre anders, wenn ich die Doris nicht schon so lange kennen würde, aber so kann ich sagen: Du bist wirklich eine geile Oide.