Politik/Inland

Schul-Experte Salcher: "Wir könnten morgen 50 Prozent der Bürokratie abschaffen"

Der Lehrermangel ist nicht das einzige Problem, mit dem Schüler, Eltern und Lehrer im Schuljahr 2023/2024 konfrontiert sein werden, sagt Buchautor Andreas Salcher.

KURIER: Denken Sie, das wird ein gutes neues Schuljahr?

Andreas Salcher: Es wird wohl so wie bisher. Schule ist ja ein Saisonbetrieb mit 14 Wochen unterrichtsfreier Zeit. Viele Eltern sagen mir, dass man das während der Unterrichtszeit noch irgendwie organisatorisch hinbekommt. Aber die 14 Wochen bleiben ein riesiges Problem, wo soll man die Kinderbetreuung herbekommen, vor allem Alleinerziehende?

Das Schuljahr beginnt aber mit den Nachprüfungen.

Und warum werden die Nachprüfungen an den ersten beiden Schultagen abgehalten? Offensichtlich damit die Lehrer nicht schon in der Woche davor kommen müssen. Die Konsequenz daraus ist, dass die Schule nicht ab dem ersten Tag einen fixen Stundenplan machen kann, weil niemand weiß, wie viele Schüler in welcher Klasse sein werden. Es werden also alle Schüler aufgehalten. Und die menschliche Komponente ist auch groß, wer durchfällt, kommt sofort in eine andere Klasse. Wäre die Prüfung in der Woche davor, wäre das sicher besser.

Der KURIER berichtete kürzlich über eine Lehrer-Umfrage, wonach der überwiegende Teil unzufrieden ist und Veränderung wünscht. Hat Sie das überrascht?

Spannend fand ich dabei, dass es nicht um mehr Geld geht, wie das die Lehrergewerkschaft gerne behauptet, sondern die überbordende Bürokratie als drängendstes Problem genannt wurde. Das stimmt absolut, der bürokratische Aufwand ist völlig absurd geworden. Dabei kann man fünfzig Prozent dieses bürokratischen Aufwands morgen abschaffen, ohne dass es irgendjemand auffallen würde. Wenn man das ändert, müsste man auch Personal in den Schulbehörden und im Ministerium streichen, dort gibt es ja überall Leute, die offiziell für diese Dokumentationen zuständig sind.

Genannt wurde auch, dass Sozialarbeiter und Psychologen fehlen. Wäre das wichtig?

Ganz sicher, das ist ein schwer unterschätztes Thema. Lehrer haben aufgrund schwieriger Familienverhältnisse oder Mobbing immer öfter eine sozialarbeiterische Funktion, sind dafür aber nicht ausgebildet.

Was die Frage aufwirft, ob die Schule für die Erziehung der Kinder zuständig ist?

Da gibt es eine einfache Antwort: Der deutsche Familienforscher Klaus Hurrelmann sagt, ein Drittel der Eltern macht das hervorragend, ein Drittel kämpft, ein Drittel versagt. Die deutschen Zahlen gelten für Österreich genauso. Wir reden also über sehr viele Kinder. Aufgrund instabiler Familienverhältnisse und vieler anderer Faktoren hat sich das massiv verschoben, jetzt kommt es vor, dass etwa im tiefsten Winter Kinder ohne Frühstück und ohne Socken in die Schule kommen, und der Schüler bittet, nicht die Mama anzurufen, weil die hatte in der Früh noch geschlafen. Es gibt viele Eltern, auch Alleinerziehende, die mit ihrem Leben nicht zurechtkommen.

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Sozialpartner, Wissenschafter und Zivilgesellschaft sagen, dass wir schon früher ansetzen müssen, bei Kindern unter 6 Jahren.

Die Kindergärten müssen Fokus des Bundeskanzlers werden, sonst wird bei den aktuellen Bund-Länder-Verhandlungen wieder nichts passieren. Das ist eine wesentliche Zukunftsfrage für unser Land. Wir brauchen eine Kinderbetreuung, die sich international an den Besten orientiert. Das Geld ist da, jeder investierte Euro rentiert sich vielfach. Zudem müssen wir auch die Ausbildung der Elementarpädagoginnen massiv aufwerten: Für Dreijährige muss es flächendeckend ein Angebot geben mit vernünftigen Öffnungszeiten und Gruppen. Denn bei einer Betreuungsquote von einer Pädagogin und einer Hilfskraft auf 21 Kinder muss klar sein, dass die nur schauen können, dass die Kinder nicht miteinander raufen. Eine Sprach- oder individuelle Förderung ist so nicht möglich.

Das Thema war der Lehrermangel und der Versuch, Quereinsteiger und Studenten zu bekommen.

Das hat neben den Pensionierungen auch tabuisierte, hausgemachte Gründe, etwa die Verkleinerung der Klassen und vor allem das generelle Teamteaching in der Mittelschule mit zwei Lehrern in den Hauptgegenständen. Die MS ist eine extrem teure Schulform, die aber von den städtischen Bildungsschichten komplett abgelehnt wird.

Ginge das auch anders?

Na klar. In der Europamittelschule in Oberwart legt der Direktor vier Klassen im Audimax zusammen, wo Lehrer, die gut frontal unterrichten können, eine Vorlesung halten. Und mit den so freigewordenen Ressourcen wird dafür in Kleingruppen gelernt. Das Schulautonomiegesetz macht das möglich, wird aber leider nur viel zu selten genutzt.