Salzburg: Vermisste 445 Mio. Euro gefunden
Der Verbleib von 445 Mio. Euro, die sich das Land Salzburg bei der Österreichischen Bundesfinanzierungsagentur (ÖBFA) für den Landeswohnbaufonds ausgeborgt hat, die dort aber nie eingegangen sind, ist geklärt. Wie die Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller am Rande der Präsentation ihres Sechs-Punkte-Plans für ein neues Finanz-Management das Landes am Mittwoch sagte, wurden mit dem Geld Wertpapiere angeschafft. Es ist allerdings noch unklar, ob die Papiere werthaltig sind.
Die entlassene Mitarbeiterin der Finanzabteilung dürfte - es gilt die Unschuldsvermutung - das Geld bei der ÖBFA unter dem Titel Wohnbauförderung aufgenommen haben, es dann aber für Spekulationen eingesetzt haben. "Die Frage ist nun, ob die angekauften Papiere auch werthaltig sind." Darüber soll spätestens bis zum Zwischenbericht an den Finanzüberwachungsausschuss des Landtags am 16. Jänner Klarheit bestehen.
Insgesamt hatte das Land Salzburg bei der Bundesfinanzierungsagentur 1,05 Mrd. Euro für den Landeswohnbaufonds aufgenommen. Dort sind allerdings nur 605 Mio. Euro eingegangen. Zuletzt herrschte Unklarheit, wo die restlichen 445 Mio. Euro verblieben sind.
Burgstaller äußerte am Mittwoch die Hoffnung, dass der Schaden geringer als angenommen sein könnte. Im Wohnbau- und im Versorgungs-und Unterstützungsfonds (VUF) des Landes liegen derzeit Wertpapiere im Wert von 1,2 Mrd. Euro. Sie sollen nach ersten Prüfungen werthaltig sein. "Zugleich besteht natürlich die Sorge, dass der Ankauf der Wertpapiere dazu diente, ältere Spekulationsverluste wettzumachen", so die Landeshauptfrau.
"Schwachstellen in der Kontrolle"
Burgstaller hat am Mittwoch einen Sechs-Punkte-Plan vorgelegt, mit dem die Landesfinanzen reformiert werden sollen. "Die Finanz-Affäre hat Schwachstellen in der Kontrolle der Arbeit der Finanzabteilung aufgezeigt. Diese Schwachstellen gehören beseitigt." Burgstaller will dazu nicht nur ein Spekulationsverbot in der Landesverfassung verankern, sondern auch die operative Veranlagungsarbeit des Landes an die Bundesfinanzierungsagentur (ÖBFA) auslagern.
Dazu hat die Landeshauptfrau bereits Finanzministerin Maria Fekter kontaktiert, die einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt hat. Die ÖBFA könnte damit künftig "Veranlagungen von Kassenmitteln der Länder durchführen und abschließen" sowie Risikomanagementleistungen erbringen. "Wir brauchen nicht selbst eine Menge Fachleute, wenn es sie dort gibt", sagte Burgstaller. Die ÖBFA habe in der Vergangenheit zwar selbst 300 Mio. Euro bei Spekulationsgeschäften verloren, darum würden dort heute sehr strenge Richtlinien gelten.
Burgstaller schlug am Mittwoch auch ein Spekulationsverbot in der Landesverfassung vor. Parallel zum "Minimalkonsens" 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern, die zu risikoscheuem Finanzmanagement verpflichten soll, gehe es ihr um eine bindende Regelung für künftige Landesregierungen: "Es geht darum, Risiko minimieren, den Ländern und Gemeinden gewisse Geschäfte im Sinne eines geschickten Schuldenmanagements aber nicht per se zu verbieten." Burgstaller schlug dazu vor, eine "Positiv-Liste" mit erlaubten Geschäften zu erstellen.
In Salzburg soll eine Referatsleiterin der Landes-Finanzabteilung 340 Millionen Euro Steuergeld verspekuliert haben. Die Aufklärung des Falles dürfte Wochen bis Monate dauern. Die Wurzeln für den Finanzskandal liegen lange zurück.
28. Februar 2000: Die damals 28-jährige Hauptverdächtige im Salzburger Finanzskandal, Monika R., wird Leiterin des Budgetreferats der Finanzabteilung des Landes Salzburg.
2001: Salzburg beschließt unter LHStv. Wolfgang Eisl (V) die Einführung des sogenannten Schuldenmanagements. Dabei werden Zinstauschverträge zur Reduktion der Zinslast vorgenommen. Das Modell entpuppt in der Folge als höchst lukrativ, seit 2002 dürften dem Land auf diesem Wege Einnahmen in der Höhe von über 150 Millionen Euro zugeflossen sein.
6. Februar 2003: Die Referatsleiterin R. erhält eine Vollmacht für eine Reihe risikoreicher Finanzgeschäfte. Ausdrücklich genannt werden Future-Optionsscheine, Finanzterminkontrakte, Devisenoptionsgeschäfte, Finanz-Swaps, Zinsbegrenzungsgeschäfte und "exotische Zinsderivate". Es gilt das 4-Augen-Prinzip. Verträge und Bestätigungen sind von jeweils zwei von drei Bevollmächtigen zu unterschreiben. Die Vollmacht wurde von Eisl unterzeichnet. Aus den risikoreichen Geschäften dürften vor allem in den Jahren 2006 und 2007 enorme Verluste entstanden sein.
4. Juni 2007: Der damalige Finanzreferent Othmar Raus (S) erlässt "Richtlinien für das Finanzmanagement“. So habe etwa eine monatliche Risiko- und Barwertberechnung des Portfolios durch eine externe und unabhängige Stelle zu erfolgen. Das "offizielle" Portfolio hat laut SPÖ dabei stets einen positiven Barwert gehabt.
13. Dezember 2007: David Brenner (S) übernimmt die Finanzagenden von seinem Vorgänger Othmar Raus. Im Jänner gibt er den Auftrag, die Risikolimits weiter zu reduzieren, am 13. März 2008 werden die Richtlinien vom Finanzbeirat – ein Gremium bestehend aus dem Leiter der Finanzabteilung Eduard Paulus und zwei externen Experten – weiter "verschärft". Offenbar darf der Verlust im schlimmsten Fall 90 Prozent des Barwerts nicht übersteigen. Zuvor waren es 100 Prozent.
Oktober 2008: Einem Bericht der "Salzburger Nachrichten" zufolge soll Paulus von einer der involvierten Banken erfahren haben, dass alleine bei diesem Institut ein Minus von über 30 Millionen Euro entstanden ist. Unklar ist, ob Brenner davon erfuhr. Sein Terminkalender in diesem Monat nennt keinen Bankentermin. Die Regionalbank forderte damals Garantien vom Land. Paulus habe abgelehnt, mit dem Hinweis darauf, dass die Politik ohnedies eingeweiht wäre. Eine andere Bank steigt ein.
Juli 2009: Der Rechnungshof kritisiert das Ausmaß der Derivatgeschäfte im Land: Salzburg habe diese mit zu hohem Volumen und zu hohem Risiko durchgeführt, ohne ausreichend über die Gesamtrisiken informiert gewesen zu sein. Allerdings stellt der Rechnungshof auch fest: Die Erträge aus den Derivatgeschäften haben den Landeshaushalt zwischen 2002 und 2007 um 65,04 Mio. Euro entlastet.
13. Juli 2012: Der Leiter der "roten" Finanzabteilung, der der ÖVP zugeordnete Eduard Paulus, informiert den Leiter der "schwarzen" Personalabteilung. Monika R. habe klar gegen Richtlinien und Dienstanweisungen gehandelt und das 4-Augen-Prinzip verletzt. Paulus fordert den Personalchef auf, die Frau „streng zu ermahnen und ihr für den Wiederholungsfall die Auflösung des Dienstverhältnisses anzudrohen“, die Personalabteilung kommt dem nach.
17. Juli 2012: Paulus informiert Brenner telefonisch über wiederholte Verstöße. Brenner erteilt eine schriftliche Weisung, der Mitarbeiterin mit sofortiger Wirkung die Vollmachten für alle Finanzgeschäfte zu entziehen, ihre Geschäfte zu prüfen, sämtliche Zugänge zum Landesnetz und dem Handelssystem zu sperren. Die Frau wird für mehrere Wochen beurlaubt
August/September 2012: Die Finanzabteilung berichtet laut SPÖ mehrfach, dass die angewiesenen Überprüfungen der Frau keine Auffälligkeiten gezeigt haben und das Portfolio "sauber" sein soll.
17. September 2012: Die Referatsleiterin kehrt aus dem Urlaub zurück
21. September 2012: Die Referatsleiterin beschwert sich in einem E-Mail bei der Landeshauptfrau, dass ihr alle persönlichen Rechte genommen werden und ihr der Zugang zu den Daten verweigert wird. Sie hängt dem Schreiben eine vorangegangene Korrespondenz mit Paulus an, der ihr vorwirft, in ihrem Urlaub Geschäfte gemacht zu haben und sich nicht an Anweisungen gehalten zu haben. In diesem Schreiben warnt R., dass vom Finanzbeirat getätigte Empfehlungen im Zinsbereich dem Land mehr als 130 Millionen Euro kosten werden.
27. September 2012: Es kommt zu einem persönlichen Treffen zwischen Landehauptfrau Gabi Burgstaller (S) und R. Die Frau spricht über ihre entzogene Vollmacht, eine Warnung über drohende Verluste gibt es nicht.
15. Oktober 2012: Ein Anfang Oktober eingestellter Mitarbeiter im Referat entdeckt, dass R. auch Geschäfte im Verborgenen macht, die gegen die Richtlinien des Finanzmanagements verstoßen und meldet das seinem Vorgesetzten. Offenbar existieren auch zusätzliche 253 Derivatgeschäfte, die der Portfolio-Rechenstelle der Deutschen Bank in Frankfurt nicht wie üblich gemeldet worden sind. Paulus informiert Brenner, der weist an, die Geschäfte aufzulösen, so dies ohne finanziellen Schaden möglich ist. Das soll auch passiert sein.
26. November 2012: Paulus und der neue Mitarbeiter informieren Brenner über den Verdacht, dass die Frau den Kauf von Wertpapieren auf Durchläuferkonten so verbucht haben könnte, dass die Sache nicht auffällt. Am Nachmittag wird R. mit dem Verdacht konfrontiert, um 17.00 Uhr kommt es zu einer Besprechung im Büro von Brenner. R. gibt vor allen Anwesenden an, dass sie in der beginnenden Finanzkrise 2006/2007 eine Schieflage der von ihr in den Vorjahren seit 2001 abgeschlossenen Derivate zur Kenntnis nehmen musste. Sie habe darüber nicht berichtet, um Kollegen und Vorgesetzte zu schonen. „Es sei ihr Ehrgeiz gewesen, diesen Verlust selbstständig aufzuholen“, heißt es in einem Aktenvermerk zur Sitzung. R. glaube, dass „aktuell nur mehr rund 340 Mio. Euro offen seien“, ein Betrag der „leicht verdient“ werden könne.
28. November 2012: Trotz ihrem mutmaßlichen Geständnis nimmt Monika R. an der Seite von Brenner noch bei Beratungen im Budgetausschuss im Land teil.
3. Dezember 2012: Landeshauptfrau Gabi Burgstaller wird über den Fall informiert
5. Dezember 2012: Brenner sagt, an diesem Tag über mutmaßliche Urkunden- und Unterschriftenfälschungen der Frau informiert worden zu sein.
6. Dezember 2012: Brenner informiert den Koalitionspartner ÖVP und die Öffentlichkeit und erstattet Strafanzeige. Im Raum stehen der Verdacht der Untreue, des Amtsmissbrauchs und der Urkundenfälschung. Die Frau soll "weisungswidrig spekulative Geschäfte getätigt“ und eigenen Angaben zufolge dem Land Salzburg extrem hohe Bewertungsverluste in einem inoffiziellen, ausschließlich von ihr selbst gemanagten Derivatportfolio zugefügt haben. R. habe „nach vorläufigem Wissenstand“ in sechs Fällen die Unterschrift des zweiten Bevollmächtigten elektronisch unter Dokumente gesetzt und voraussichtlich 19 Protokolle über Sitzungen des Finanzbeirates im Nachhinein verändert.
7. Dezember 2012: Die Anzeige einer anonymen "Salzburger Beamtenschaft – deren aufrechter Rest" geht bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft in Wien ein. Die Anzeige wurde bereits im November erstattet. Drei Tage später folgt die Anzeige des Landes.
10. Dezember 2012: Ermittler des BAK beginnen in Salzburg mit Vernehmungen und Sicherstellungen. In einer Regierungssitzung einigen sich SPÖ und ÖVP auf die weitere Vorgehensweise bei der Aufdeckung des Skandals. Am Abend kündigt die ÖVP einen Neuwahlantrag an. Die SPÖ lehnt Neuwahlen ab, die Grünen halten sie für notwendig. Die FPÖ, deren Stimmen für einen Neuwahlantrag notwendig sind, wollen erst in der ersten turnusmäßigen Landtagssitzung am 6. Februar zustimmen. Wahlen wären damit Anfang Mai möglich.
13. Dezember 2012: Die Aufarbeitung des Skandals beginnt. Bis zum 16. Jänner soll dem Finanzüberwachungsausschuss ein Bericht über den aktuellen Stand aller Kredite, Veranlagungen, Derivate und Wertpapiere vorgelegt werden.
14. Dezember 2012: LHStv. David Brenner gibt seinen Rücktritt bekannt. Er wird seine Funktionen in der außerordentlichen Landtagssitzung voraussichtlich am 23. Jänner niederlegen, wenn das Budgets für 2013 beschlossen werden soll.