Nach dem Debakel: Regierung will sicher keine Neuwahlen
Kanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) gehen nicht davon aus, dass das desaströse Ergebnis der Hofburg-Wahl personelle Konsequenzen auslöst. Aber erste Rufe nach Parteichefwechsel wurden schon laut. Denn bei beiden sind die Resultate der Hofburg-Kandidaten nur ein weiterer - und noch dazu drastischer - Tiefpunkt in einer Serie von Wahlverlusten. Faymann sprach von einer "klaren Warnung", die Regierung müsse "härter arbeiten und stärker zusammenarbeiten". Die SPÖ hält am Montagabend (18 Uhr) im Parlament in Wien eine Sitzung des Parteipräsidiums ab.
"Wir haben ein gutes Team", sagte der ÖVP-Chef und führte die Niederlage von Andreas Khol auf eine "Grundstimmung gegen das gesamte politische Establishment" zurück. Mitterlehner übte auch scharfe Kritik an Umfragen, denn die ÖVP sei nach der Wien-Wahl "zum zweiten Mal Opfer der Meinungsumfragen geworden".
Und täglich grüßt das Murmeltier
Auch die Bundesgeschäftsführer hatten in einer Ö1-Diskussionsrunde Montagfrüh nur Durchhalteparolen wie in einer Endlosschleife parat. "Enger zusammenstehen" müsse man "und Projekte herausarbeiten, die wir bis Ende der Legislaturperiode noch angehen können“, sagte ÖVP-Geschäftsführer Peter McDonald und will "einige Politrituale hinterfragen". Ebenfalls räumte er ein, dass das "eine der letzten Chancen für diese Regierung ist, Änderungen zu treffen."Auf Seiten der SPÖ sagte Gerhard Schmid, man müsse "Pakete machen", zum Beispiel bei der Bildungsreform. Er glaubt, es gehe "darum, dass wir unsere Politik richtig positionieren können". Die SPÖ habe noch immer große Landesorganisationen, die bei rund 40 Prozent lägen, so der SPÖ-Bundesgeschäftsführer.
Wahlschlappen
Seit Faymanns Kür zum Parteichef im Jahr 2008 hat die SPÖ in 20 Bundes- und Landeswahlen (ohne Hofburg-Kür) nur einen wirklichen Wahlerfolg verbucht: Im krisen- und skandalgeschüttelten Kärnten holte sie sich von der FPÖ mit einem satten Plus den ersten Platz und den LH-Sessel zurück. Dafür verlor sie kurz darauf in der Salzburger Finanzskandalwahl mit dem Rekord-Minus von 15,6 Punkten Rang 1 und Landeshauptmann. Ein zweites kleines Plus (0,4 Punkte) gab es 2014 bei der EU-Wahl, es reichte aber nicht für den ersten Platz vor der ÖVP. Sonst verlor die SPÖ bei allen Wahlen unter Faymann Stimmenanteile. Und feierte es bei der Wien-Wahl als Sieg, sich trotz Minus klar vor der FPÖ zu halten.
Schlechtestes Ergebnis überhaupt
Mit nur 11,18 Prozent (vorläufiges Endergebnis) erlitt SPÖ-Kandidat Rudolf Hundstorfer bei der Bundespräsidentenwahl das mit Abstand schwächste Ergebnis, das die SPÖ je bei einer Bundeswahl einfuhr. 2013 war sie auf den Nationalrats-Tiefststand von 26,82 Prozent gefallen, bei den EU-Wahlen hatte es 2009 das schlechteste Resultat (23,74) gesetzt. Nur in einem Land war die SPÖ bisher noch schlechter als Hundstorfer: Bei den Vorarlberger Landtagswahlen rutschten die Sozialdemokraten 2014 mit 8,77 Prozent erstmals unter die 10er-Marke. Hundstorfer konnte davon nicht einmal mehr die Hälfte lukrieren, ihn wählten am Sonntag nur 4,36 Prozent der Vorarlberger.
ÖVP ebenfalls schwach
Auch die ÖVP liegt mittlerweile in einem Land unter der 10er-Marke, nämlich in Wien. Dort musste sie sich 2015 mit 9,24 Prozent zufriedengeben. In Kärnten gab es 2004 nur 11,64 Prozent - ein Wert, den Präsidentschaftskandidat Andreas Khol mit der Briefwahl vermutlich noch überholen wird. Ohne Briefwahl kam auch er nur auf 11,18 Prozent. Womit auch er die mit Abstand schlechteste ÖVP-Performance bei einer Bundeswahl je hinlegte. Der Tiefststand im Nationalrat wurde 2013 mit 23,99 Prozent eingefahren und auf EU-Ebene 2014 mit 26,98 Prozent.
Parteichef Mitterlehner war damals noch nicht am Ruder. Er wurde erst im August 2014 designiert und im November 2014 zum Parteiobmann gewählt. Somit ist die Liste der Wahlen unter seiner Führung mit insgesamt sechs noch kurz - aber sie zeigt ausnahmslos Schlappen. In Vorarlberg verlor die ÖVP 2014 die Absolute mit einem Minus von fast zehn Prozentpunkten, in Oberösterreich erlitt sie im Zeichen der Flüchtlingskrise ein Minus von etwas mehr als zehn Punkten - und bei der Wiener Gemeinderatswahl das erste einstellige Landtagsergebnis.
Nur keine Neuwahlen
SPÖ und ÖVP wollen vor allem eines nicht: Neuwahlen. Sie können sich nach dem Triumph von Norbert Hofer relativ leicht ausrechnen, dass mehr als 30 Prozent für die FPÖ auch bei einer Nationalratswahl möglich sind.
Und den Gang in die Opposition wollen natürlich beide Parteien vermeiden. Nach der Oppositionserfahrung während Schwarz-Blau hält Schmid sehr wenig von dieser Idee. McDonald sagte, eine Erneuerung der ÖVP sei nicht nur in der Opposition möglich.
Gewerkschafter wollen ernste Diskussion in SPÖ
Nach dem SPÖ-Debakel fordern auch rote Gewerkschafter eine gründliche Diskussion, wie es mit der Partei weitergeht. Die SPÖ müsse sich neu positionieren, meinte "younion"-Vorsitzender Christian Meidlinger im Ö1-"Mittagsjournal" am Montag, ob mit dem derzeitigen Vorsitzenden Werner Faymann oder ohne.
"Wer diese Antworten gibt, ist für mich sekundär", erklärte Meidlinger zu einer Neupositionierung. Das Wahlergebnis sei "ein Desaster für die SPÖ und die gesamte Bundesregierung". Seit gestern Abend werde so ernst und kritisch diskutiert wie noch nie zuvor in der SPÖ, sagte Baugewerkschaftschef Josef Muchitsch. Mit einer Neuwahl im Herbst rechnen aber weder Meidlinger noch Muchitsch - solche wären "ein Schuss ins Knie", glaubt letzterer.
Auch der frühere SPÖ-Finanzminister Hannes Androsch meldete sich zu Wort: Die SPÖ müsse sich rasch erneuern, mit oder ohne Faymann an der Spitze. "Die Regierungsparteien werden sich einer massiven Wurzelbehandlung unterziehen müssen, wenn sie vermeiden wollen, dass ihnen die schwer Karies-befallenen politischen Zähne völlig ausfallen."
Blecha: "Erneuerung kann sofort starten"
SPÖ-Pensionistenverbandschef Karl Blecha hat nach der Bundespräsidenten-Wahl am Sonntag eine "schmerzliche Niederlage für die Österreichische Sozialdemokratie" eingeräumt. "Das Wahlergebnis zeigt, dass es höchste Zeit für eine Erneuerung ist. Diese Erneuerung kann sofort starten", meinte Blecha am Montag in einer Aussendung.
Blecha verwies darauf, dass Entwürfe für ein neues Grundsatz-Programm und für eine Organisationsreform vorliegen. "Jetzt muss die Diskussion mit allen, denen die Grundwerte der Sozialdemokratie nicht gleichgültig sind, geführt werden. Die neue Partei muss offener, bürgernaher und innovativer sein."
"Das Wahlergebnis zeigt, dass es in allen Parteien zu viele gibt, die sich an Problemen profilieren und zu wenige, die für gemeinsame Lösungen kämpfen", teilt der ÖVP-EU-Mandatar Othmar Karas in einer Aussendung mit. Und er spricht sich für Van der Bellen aus: "Niemanden, der mich kennt, kann es überraschen, dass Alexander Van der Bellen meinem persönlichen politischen Selbstverständnis näher ist."