Politik/Inland

ÖH-Wahl 2013: Eine Wahl ohne Gewinner

Spitzenkandidat Florian Lerchbammer und sein AG-Gefolge haben sich die Couch und damit die beste Sicht auf die Leinwand gesichert. „AGent“ steht auf ihren schwarzen Polos am Rücken, auf der Brust prangert ihr Logo, ein Regenbogen. Die Kuh, das Wahlmaskottchen, ist an einem Fenster angebunden, die Lasagne wird zu Tode gewärmt, nur eine Frage der Zeit, bis der kleine Raum in der ÖH-Bundesvertretung zur Sauna wird. Zur Abkühlung ist im Kühlschrank reichlich Bier eingelagert. Trotz fliegender Kuh, Regenbogen, Lasagne und Bier ist das hier keine Bilderbuchgeschichte. Für die zehn Spitzenkandidaten geht es an diesem Abend um alles. Für die meisten ist die Situation völlig neu, Adrenalin heizt sie an, noch ignorieren sie die Kamerateams und Fotografen.

Es ist 17 Uhr, nach und nach treffen die ÖH-Kandidaten in der Wahlzentrale ein. Am Tisch neben den „Regenbogen-AGenten“ sitzen inzwischen die Herren des RFS, die Schmisse schließen Zweifel aus. VSStÖ-Kandidatin Julia Freidl hat sich mit weißem Spritzer und Funktionären in einem kleineren Raum hinter der Küche platziert. „Ich bin nervös. Es ist echt schwer einzuschätzen, wie die Wahlen ausgehen werden“, sagt die Steirerin.

Erste Ergebnisse

Der Projektor wirft die ersten Ergebnisse an die Leinwand, keine große Aufregung, nur die kleinen Unis sind ausgezählt. „Noch fünf Minuten! Leute, hallo!!!! Noch fünf Minuten, dann kommen die Ergebnisse der Uni Wien“, ruft ÖH-Pressesprecher Philipp Poyntner. Um kurz nach 21 Uhr ist der Raum zum Bersten voll, Zigarettenrauch zieht vom Gang herein. Die Uni Wien, als größte Uni des Landes, ist für die Kandidaten von großer Bedeutung.

https://infogr.am/H-Bundesvertretung 450 740 no {"frameborder":"0","style":"border:none;"} ÖH-Bundesvertretung | Create infographics

„Hauptsache die AG hat verloren“, schreit ein junger Mann überglücklich: Mit 22,02 Prozent (-4,61 Prozent) liegt sie hinter VSStÖ und GRAS auf Platz drei. „Die Schmutzkampagne war den Studierenden wohl zu heftig“, sagt GRAS-Frontfrau Viktoria Spielmann. GRAS und VSStÖ haben angesichts der Café-Rosa-Affäre mit stärkeren Verlusten gerechnet – und die AG mit Zuwächsen. „Wir haben verloren, aber wir sind zufrieden. Das ist eine klare Absage an AG und RFS“, sagt Spielmann.

Die Unipiraten haben es an der Uni Wien aus dem Stand auf 5,5 Prozent gebracht und ziehen damit fix in Bundesvertretung (BV) ein. Spitzenkandidat Marcus Hohenecker: „Ich bin sehr zufrieden. Mit uns haben alle Studenten gewonnen. “ Kurz nach Mitternacht sind noch immer nicht alle Ergebnisse der 21 Unis eingetroffen. Voraussichtlich wird die AG aber ihren Mandatsstand von 23 Mandaten in der Bundesvertretung halten können. Die bisherige linke ÖH-Führung hätte dennoch eine Mehrheit. „Eine klare Absage an Zugangsbeschränkungen und Studiengebühren“, sagt Spielmann. Am Freitag wurde jedoch deutlich, dass die GRAS zwei bis drei der 14 Mandate in der BV verlieren werden. Gewonnen hat an diesem Abend niemand so wirklich.

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Grün hat doch nicht überall Konjunktur: Das zeigt das Ergebnis der Wahlen zur Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH-Wahl), deren Ergebnisse gestern, Freitag, endgültig vorlagen. Die Liste GRAS (Grüne & Alternative StudentInnen) verlor überraschend drei ihrer 14 Mandate in der Bundesvertretung sowie ihren Status als stimmenstärkste Fraktion des linken Lagers, und das sowohl österreichweit als auch an der größten Universität des Landes, der Uni Wien.

Platz Eins

Zweiter Verlierer der ÖH-Wahlen ist die ÖVP-nahe Aktionsgemeinschaft (AG): Mit einem Minus von 3,6 Prozentpunkten gehen zwei Mandate verloren, sie bleibt aber stimmenstärkste Fraktion. Gerettet haben der AG den ersten Platz das Halten ihrer Hochburgen an der Uni Innsbruck und der Wirtschaftsuniversität Wien sowie das starke Abschneiden etwa an der Uni Linz und der Veterinärmedizin.

Die Verluste gehen auf das schlechte Abschneiden der AG an den Medizinischen Universitäten zurück: Hier stürzte ihr Ableger, die Medizinerunion (ÖMU) von 65 auf 30 Prozent der Stimmen ab, und in Innsbruck will die ursprünglich aus ihr hervorgegangene lokale Medizinerunion (IMU) nichts mehr mit der AG zu tun haben. Selbst an der Uni Wien, wo die ÖVP-nahe Fraktion nicht am Finanzdebakel eines Cafés (Café Rosa) beteiligt war, setzte es Verluste. Das Café war mit 500.000 Euro von der linken Wiener ÖH-Führung gesponsert worden, musste wegen Erfolglosigkeit aber wieder geschlossen werden.

Stark blieben mit rund 17 Prozent die Fachschaftslisten (FLÖ), wenngleich sie ihr Wahlziel, stimmenstärkste Fraktion zu werden, klar verfehlten. Der SPÖ-nahe Verband Sozialistischer Studenten (VSStÖ) stagnierte, womit es bei zwölf Sitzen in der Bundesvertretung bleibt. Die Jungen Liberalen verbuchten ein Plus von rund zwei Prozentpunkten. Piraten und eine Spaßfraktion (No Ma’am) gelang es, je einen Sitz zu erreichen.

Wer künftig an der Spitze der ÖH stehen wird, ist angesichts des Wahlergebnisses nicht klar: Bei den Wahlen wurden nämlich erst 75 der 100 Mandate vergeben. Die 25 restlichen werden über Persönlichkeitswahlen an den Fachhochschulen und den Pädagogischen Hochschulen in den kommenden Wochen besetzt.

Nach dem derzeitigem Stand wären zwei Koalitionsvarianten möglich: Weiter eine linke Mehrheit oder eine Zusammenarbeit von AG, VSStÖ und Fachschaftslisten. Die Wahlbeteiligung betrug 28 Prozent und lag damit etwas unter jener im Jahr 2001 mit 28,5 Prozent.

Neben ihrem politischen Engagement absolviert Julia Freidl derzeit ein Master-Studium der Volkswirtschaftslehre an der WU Wien. 2012 schloss sie hier ihr Studium der Internationalen Betriebswirtschaftslehre mit einem Bachelor ab. Sie war bereits ein Jahr lang VSStÖ Vorsitzende an der WU, Sozialsprecherin des VSStÖ und für ein Auslandsjahr in Neuseeland.

Was sind deine Werte? „Soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit für alle Studierenden.“

Was hast du unipolitisch schon erreicht? „Ich war im vergangenen Jahr Sozialreferentin auf der ÖH-Bundesvertretung, wo ich Studierende in verschiedenen Rechtsangelegenheiten beraten habe. Weiters habe ich das SMS-Erinnerungsservice (Studierende werden an Fristen rund ums Studium erinnert) und die ÖH-Helpline (eine psychologische Beratung und Anlaufstelle für Studierende) umgesetzt.“

Was ist dein wichtigstes Anliegen? „Ich bin für ein faires Beihilfensystem, damit alle studieren können – unabhängig vom Geldbörsel der Eltern. Weiters möchte ich, die Altersgrenze für Beihilfen abschaffen, ein zusätzliches Toleranzsemester bei einem Beihilfen-Bezug und eine Erhöhung der Studienbeihilfe.“

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Der Leobener war kurzzeitig Bezirksobmann der Jungen Volkspartei, seit Herbst 2012 ist er Bundesobmann der AG.

Was sind deine Werte? „Leistungsorientierung, Lösungsorientierung und Ehrlichkeit. “

Was hast du unipolitisch schon erreicht? „Ich habe mich im bildungspolitischen Referat der ÖH WU engagiert. Konkret haben wir den Bergson Masterguide entwickelt und Studierendden-Beratungen durchgeführt.“

Was ist dein wichtigstes Anliegen? „Lösungen zu finden. Wir haben genug von politischen Geisterfahrern wie dem VSStÖ, Gras und FLÖ. Daher engagiere ich mich in der AG, die sich für verbindliche Betreuungsverhältnisse und einen echten Studienplatz einsetzt – statt für überfüllte Hörsäle.“

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Marie Fleischhacker studierte Rechtswissenschaften und Skandinavistik. Viktoria Spielmann studierte Politikwissenschaften und vergleichende Literaturwissenschaft.

Was sind eure Werte?Feminismus, Basisdemokratie und Solidarität.“

Was habt ihr unipolitisch erreicht? Marie: „Ich habe mich mit der Vernetzung von Studierendenvertretungen beschäftigt.“

Viktoria: „Ich habe mich für die Wiedereinführung des BA-Studiengangs vergleichende Literaturwissenschaft stark gemacht.“

Was ist euer wichtigstes Anliegen? „Wir wollen das Leben der Studierenden verbessern. Wir wollen neben der Bildungspolitik, auf Wohnen, Nachhaltigkeit und Mobilität aufmerksam machen.“

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Was sind deine Werte? „Unabhängigkeit und Ehrlichkeit. Und dass man sich nicht von einer Meinung abbringen lässt, obwohl sie schwer zu erklären ist.“

Was hast du unipolitisch schon erreicht? „Meine Arbeit in den vergangenen zwei Jahren im Referat für Bildungspolitik an der TU ist die Kommunikation von Gesetzesnovellen an unsere Berater, damit diese immer gut informiert bleiben.“

Was ist dein wichtigstes Anliegen? „Natürlich fordern wir höhere Beihilfen, die Abschaffung der Studiengebühren. Mein wichtigstes Anliegen ist aber, die Qualität der Lehre an den Unis zu verbessern. Schlechte Evaluierungen der Lektoren müssen von den Instituten beachtet werden. Das hat für Studierende Priorität. Es ist absurd, dass sich hier keiner Gedanken macht – dabei ist es so wichtig.“

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Zum zweiten Mal bereits geht die 24-jährige Claudia Gamon für die Jungen Liberalen (Julis) ins Rennen. Neben ihrem Internationalen Management Master-Studium engagiert sie sich auch bei den NEOS und sitzt im Vorstand der Initiativgruppe Alpbach Wien.

Was sind deine Werte? „Eigenverantwortung, persönliche Freiheit. Liberale Werte tun, glaube ich, jedem Menschen gut.“

Was hast du unipolitisch schon erreicht? „Seit dreieinhalb Jahren bin ich stellvertretende Vorsitzende, bei der Wahl 2011 habe ich ein gutes liberale Ergebnis eingefahren – jetzt kandidiere ich zum zweiten Mal. Meine bisherigen Erfolge sind vor allem organisatorischer Art, da Julis es geschafft hat, trotz unserer doch bescheidenen Größe gute Medienarbeit zu leisten und in der öffentlichen Wahrnehmung als eigenständige Fraktion gesehen zu werden – nicht als Anhängsel der Mutterpartei.“

Was ist dein wichtigstes Anliegen? „Abschaffung der ÖH Pflichtmitgliedschaft, ein sinnvolles Studiengebühren-Modell und keine vorgeschriebenen Zugangsbeschränkungen: Unis sollen selbst entscheiden dürfen, wie sie Studierende hereinlassen.“

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Was sind deine Werte? „Als Pirat sind mir Freiheit und Selbstbestimmung wichtig.“

Was hast du unipolitisch schon erreicht? „Bevor es die Piraten gab, hatte ich keinerlei Ansporn, mich politisch zu engagieren. Die Nachwuchs-Berufspolitiker haben mich zusätzlich noch abgeschreckt. Erst durch die neue Form der Demokratie, die von den Piraten gelebt wird, habe ich Hoffnung geschöpft, doch noch etwas verändern zu können.“

Was ist dein wichtigstes Anliegen? „Freier Zugang zu Lehrmaterialien im Internet, der Ausbau berufsbegleitender Studiengänge und ein faires Stipendiensystem. Außerdem liegt mir die Einführung von Liquid Democracy auf der ÖH am Herzen.“

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