Nehammer in Frankreich: "Verzicht auf Verbrennungsmotor war großer Fehler"
Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten, Migration, Terror, China und die USA: Es sind die großen, globalen Themen, zu denen sich Kanzler Karl Nehammer in staatsmännischer Manier in einem Interview mit der französischen Tagezeitung Le Figaro äußern durfte, während er daheim in Österreich mit der "Leit-Kultur"-Kampagne zuletzt viel Kritik einstecken musste.
Nehammer macht zu Beginn des Interviews Unterschiede zwischen ihm und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron deutlich, wenn es um die Unterstützung der Ukraine gegen die russische Aggression geht: Macron sei ein Befürworter des "Abschreckungsprinzips", er selbst sei für das "Vorsichtsprinzip, um eine unkontrollierbare Eskalation zu verhindern".
Macron hatte Mitte März gesagt, dass man nichts ausschließen dürfe, um der Ukraine zu helfen - auch nicht die Entsendung von Bodentruppen.
Auch Nehammer betont die "volle Solidarität für die Ukraine". Russland zeige derzeit keine Verhandlungsbereitschaft, die Wiederaufnahme des Dialogs sei aber eine Notwendigkeit. "Ohne die Russische Föderation wird es keinen Frieden geben."
Nicht zur Sprache kam in dem Interview mit der konservativen Zeitung der aktuelle Spionage-Skandal rund um den Ex-BVT-Beamten Egisto Ott, Ex-Wirecard-Chef Jan Marsalek und Russland, stattdessen der "hybride Krieg", den Russland im Vorfeld der Europawahlen auch in Österreich führt.
So würden in sozialen Medien Falschinformationen gestreut, dass die Energiepreise in Österreich deshalb so hoch seien, weil Österreich die Sanktionen gegen Russland unterstützt. Die Wahrheit sei, dass die Energie wegen des Krieges, den Russland losgelassen hat, teurer geworden sei, sagt Nehammer.
Zur Abhängigkeit von russischen Gas sagt Nehammer dann, dass "Dinge verzerrt dargestellt" würden. "Die Republik Österreich kauft kein russisches Gas. Wir haben ein privatisiertes Erdölunternehmen, das langfristige Verträge mit Gazprom, einem der größten Gasversorger, hat." Gemeint ist die OMV - die staatliche Holding ÖBAG ist eine von zwei Hauptaktionären.
Zum Krieg im Nahen Osten betont der Kanzler einmal mehr: "Die Hamas muss vernichtet werden." Die Terrororganisation sei nicht nur eine Bedrohung für die Sicherheit Israels, sondern auch für die der Europäischen Union. In der Diskussion fehle ihm die Klarstellung, dass die Hamas schuldig und das israelische sowie das palästinensische Volk die Opfer seien.
Auf die Frage, ob die EU für die Bewältigung einer neuen Flüchtlingswelle gerüstet sei, holt Nehammer, ehemals Innenminister, weit aus: Seit einem Jahrzehnt seien die europäischen Staaten mit unterschiedlichen Flüchtlingswellen konfrontiert, die die Sozial- und Bildungssysteme sowie den Arbeitsmarkt überlasten würden. "Dies führt zu Unmut in der Bevölkerung."
Profitieren würden davon radikale und rechtsextreme Bewegungen, die Menschen falsche Hoffnungen machen würden. "Deshalb müssen wir handeln", so Nehammer.
Abkommen mit sicheren Drittstaaten, den Kampf gegen Schlepperei und die Verlagerung von Asylverfahren an die EU-Außengrenzen nennt er als nötige Maßnahmen. Gleichzeitig brauche es "eine Form der legalen Einwanderung", weil Europa ein alternder Kontinent sei.
Punkte, die als ÖVP-Positionen weithin bekannt sind - überraschende Ansagen macht der Kanzler in dem französischen Blatt also nicht.
Im Kampf gegen Terrorismus sei die Vernetzung zwischen Polizeieinrichtungen und Nachrichtendiensten der Schlüssel zum Erfolg. "Organisierte Kriminalität und Terrorismus nähren sich gegenseitig, sie kooperieren oft miteinander", sagt der Ex-Innenminister. Es sei wichtig, beides im gleichen Ausmaß zu bekämpfen, das könne nur auf transnationaler Ebene geschehen.
Das letzte Thema: die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China und den USA. Die Vereinigten Staaten seien innovativ, die Chinesen seien produktiv und zunehmend innovativer. "Was ist mit uns Europäern? Leider sind wir weder das eine noch das andere", sagt Nehammer. Denn: "Wir sind Opfer einer Überregulierung in Europa."
Der ÖVP-Kanzler sagt dann etwas, das seinen Koalitionspartner in Österreich, die Grünen, eher nicht erfreuen wird: "Der Verzicht auf den Verbrennungsmotor etwa war ein großer Fehler." Österreich habe einen "Kompetenzbereich" innerhalb der EU zugunsten des Elektromotors aufgegeben und sei dabei auf Technologie angewiesen, de überwiegend in China produziert wird.
Nehammer plädiert dafür, jetzt an der Entwicklung des Binnenmarktes und der Deregulierung innerhalb der EU zu arbeiten sowie "faire Handelsabkommen für unsere Produzenten abzuschließen".