Kurz verteidigt "Pandemie der Ungeimpften"
"Es ist der traurige Tiefpunkt in 20 Monaten Pandemie": So qualifizierte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner den aktuellen innerkoalitionären Streit zu den Corona-Maßnahmen gleich zu Beginn ihrer Rede im Nationalrat.
Erst danach wandte sich die Klubobfrau dem eigentlichen Thema, dem Budget zu. Es wäre darum gegangen, die "soziale Schieflage" zu korrigieren und "Teuerungsbremsen" einzuziehen. Doch dazu finde sich im Budget nichts. Es brauche Maßnahmen, die den Menschen sofort helfen - etwa eine Halbierung der Mehrwertsteuer auf Strom und Gas.
Statt dessen senke die Regierung die Gewinnsteuern zugunsten großer Konzerne, kritisierte sie in Richtung Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP).
Auch zur Pflegereform finde sich nichts im Budget, setzte Rendi-Wagner fort.
Das Budget trage zur Stabilisierung des Landes in der Krise bei und weise in die Zukunft, konterte ÖVP-Budgetsprecher Gabriel Obernosterer. Er verwies darauf, dass bei der Steuerreform gerade die unteren Einkommen entlastet werden. Zudem sei es gelungen, den Schuldenstand zu senken - statt der erwarteten 89 Prozent liege man bei 79 Prozent.
"Realitätsverweigerung" bei der Budgeterstellung konstatierte FPÖ-Abgeordneter Hubert Fuchs. Man tue so, als ob es Corona nicht gebe. Die "öko-asoziale Steuerreform" sei "die größte Mogelpackung der Zweiten Republik" und schaffe "neue Bürokratiemonster" (Stichwort: regionaler Klimabonus). Offenbar sei geplant, dass jeder einzelne die Auszahlung des Klimabonus beantragen müsse, statt dass diese automatisch erfolge.
"Wir investieren, modernisieren und reformieren - und zwar mit ökologischer, sozialer und ökonomischer Verantwortung", lobte die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer das Budget. Ausführlich nannte sie diverse Maßnahmen für den Klimaschutz - aber man handle auch zugunsten von Demokratie und Rechtsstaat; es gelte, den "stillen Tod der Justiz" abzuwehren. Gewaltschutz und Pflege seien weitere Bereiche, die entsprechend im Budget Niederschlag gefunden hätten.
Ähnlich wie Rendi-Wagner nahm Nikolaus Scherak von den Neos vorweg auch Bezug zu den Auseinandersetzungen zwischen den Regierungsparteien der letzten Tage. Diese hätten "das Schlechteste aus beiden Welten" gezeigt, paraphrasierte er den Regierungsslogan vom "Besten aus beiden Welten". Das Budget sei ein Ausweis von "Zukunftsvergessenheit". Die Tarifreformen "können Sie sich schenken", so Scherak in Richtung des Finanzministers - diese gäben nur "in Gutsherrenart" zurück, was die kalte Progression wegfresse.
"Reden Sie mit dem Bürgermeister Ludwig": Wenn Rendi-Wagner die Teuerung kritisieren, so solle sie auch die Gebührenerhöhungen der Gemeinde Wien ansprechen, meinte ÖVP-Vizeklubchef August Wöginger.
Mit einer rhetorischen Frage stieg SP-Vizeklubchef Jörg Leichtfried ein: Warum denn die ÖVP-Regierungsmitglieder "immer noch da" seien - da sie doch gesagt hätten, wenn Kurz gehe, würden sie auch weg sein ... Das Budget selbst habe ihn - obwohl seine Erwartungen ohnedies niedrig gewesen seien - enttäuscht. Zum von ihm scharf kritisierten Corona-Management der Regierung sagte er abschließend in RIchtung des ÖVP-Klubobmanns: "Herr Kurz, das ist Ihr Erbe." Dieser habe die Pandemie für beendet erklärt. Leichtfried brachte dann einen Entschließungsantrag ein: für eine "Teuerungsbremse" mit sofortiger Lohnsteuersenkung, Halbierung der Mehrwertsteuer für Strom und Gas sowie 300 Euro "Winterzuschuss" für Einkommensschwache.
Mit einem Appell sich impfen zu lassen eröffnete Finanzminister Blümel seine Rede. Es gehe darum, die Pandemie möglichst schnell hinter sich zu lassen - medizinisch, aber auch ökonomisch. Die ökosoziale Steuerreform sei "das große Projekt" dieses Budgets. Blümel zeigte sich zuversichtlich, dass es gelingen werde, die Schuldenquote weiter zu senken. Dies nicht als Selbstzweck, sondern um fiskalpolitische Spielräume zu schaffen.
"Wo lebt's ihr eigentlich?", so der SP-Abgeordnete Josef Muchitsch in Richtung der Regierungsvertreter. "Ihr stellt's euch her und sagt's, wir haben Österreich gut durch die Krise gebracht." Es herrsche Chaos - und auch im Budget sei nichts zu finden, was aus der Krise heraus führe. Bekämpfung der Armut, Pflegenotstand, Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit - überall agiere die Regierung "zu spät, zu wenig".
Das Budget sei in seiner Vereinigung so unterschiedlicher Ziele wie Nachhaltigkeit und Aufschwungsicherung die "Quadratur des Kreises", aber "sie gelingt uns", so WKO-Generalsekretär Karlheinz Kopf. Den Kritikern aus den Reihen der Opposition wie zuvor Muchitsch hielt er entgegen, die Regierung habe das Land sehr wohl gut durch die Krise geführt.
Man müsse aufpassen, dass man "im Nebel der Selbstbeweihräucherung nicht den Blick auf die Wahrheit verliert", so Neos-Sozialsprecher Gerald Loacker. Die Regierung erweise sich bei der Krisenbekämpfung als "ziemlich hilflos". Kritik übte Loacker an den Kurzarbeitsregelungen und der fehlenden Reformbereitschaft beim Thema Pensionen.
Rudolf Taschner lieferte einen Beitrag auf der Metaebene, indem er den Unterschied zwischen "links" und "rechts" herauszuarbeiten suchte - mittels historischer Reminiszenz: In der Auseinandersetzung zwischen Thatcher und Callaghan 1979 sei es um eine Richtungsentscheidung zugunsten einer besseren Zukunft gegangen. Dies sei nicht "neoliberal", so Taschner auf einen Zwischenruf von SP-Abgeordnetem Christoph Matznetter, sondern "ordoliberal" und das sei ein "guter Liberalismus". "Und wenn Sie sagen, das ist das System Kurz, dann sage ich: ja" - und das unterstütze er.
Was SP-Mandatarin Julia Herr zur Feststellung veranlasste, nun habe man es ja gehört, dass das "System Kurz" noch immer da sei: "Na super."
In einen größeren, globalen Rahmen stellte Sebastian Kurz, Klubobmann der ÖVP, das österreichische Budget. Ein kleines Land könne hier nicht viel ändern, aber Rahmenbedingungen setzen, um bestmöglich aufgestellt zu sein. Ausdrücklich bedankte sich Kurz bei Finanzminister Blümel - auch und gerade für die Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen, denn diese seien "das Rückgrat des Landes". Die Erhöhung des Familienbonus von 1.500 auf 2.000 Euro sei hoffentlich nicht die letzte Erhöhung, aber ein wichtiger Schritt. Dass umweltschädliches Verhalten einen Preis bekomme, sei ebenfalls sinnvoll.
Dann ging Kurz auf die aktuelle Debatte um die Impfung gegen Corona ein. Es werde derzeit immer wieder behauptet, die Impfung wirke ja doch nicht. Kurz erinnerte an seine - viel kritisierte - Aussage vom Sommer, wir würden es künftig mit einer "Pandemie der Ungeimpften" zu tun haben, und dass sich jeder, der sich nicht impfen lasse, irgendwann anstecken werde. Die Wahrheit sei jedoch, dass die Impfung sehr wohl wirke. Ja, es gebe Impfdurchbrüche - aber die Inzidenz sei bei den Ungeimpften viermal so hoch wie bei den Geimpften.