Erstmals offene Kritik in der SPÖ an Häupl
Sepp Leitner war der Erste. Während sich das Gros der Landesparteichefs mit kritischen Äußerungen zurückhielt und niemand laut sagen wollte, was oder wer denn Schuld an der sonntäglichen Abstimmungsschlappe war, sprach der Chef der niederösterreichische SPÖ gestern Klartext. „Der Michael Häupl hat das Thema genauso missbraucht wie ein Erwin Pröll“, resümiert Leitner im KURIER-Gespräch.
Damit keine Missverständnisse entstehen: Leitner ist ein großer Fan von Volksbefragungen („Dass die direkte Demokratie angenommen wird, ist das erfreuliche Ergebnis des Sonntags“). Aber eben deshalb müsse die SPÖ zwei Dinge aus der Schlappe lernen.
Erstens: Eine Volksbefragung will gut vorbereitet sein. Leitner: „Das Thema wurde zu spät diskutiert, wir hatten zu wenig Zeit, um die Menschen für unser Modell zu gewinnen.“
Und zweitens dürfe man Volksabstimmungen nicht in einer „zeitliche Nähe“ zu Wahlen machen – „schon gar nicht auf Zuruf von mächtigen Politikern“. Leitners Bitte an den Wiener Genossen: „Ich ersuche Michael Häupl dringend, allfällige Themen für Volksbefragungen künftig auf das Wiener Stadtgebiet zu beschränken.“
Fehlende Debatte
Starker Tobak, keine Frage. Doch Leitner muss Anfang März eine Wahl schlagen. Und die Ansicht, dass die Ursachen für die Niederlage eher in Wien und weniger bei Verteidigungsminister Norbert Darabos zu suchen sind, teilen auch andere Genossen.
Hannes Swoboda, EU-Abgeordneter der SPÖ und mittlerweile Vorsitzender der Sozialdemokraten im europäischen Parlament, glaubt, dass man Darabos keinen Vorwurf machen darf. „Wäre die Abstimmung seine Erfindung gewesen, dann ja – aber: Es war nicht seine Idee, er hat sich nur wie ein braver Parteisoldat verhalten.“
Für Swoboda wie auch die Parteichefs der SPÖ in Tirol und Kärnten war der vom Wiener Bürgermeister angestoßene Schwenk zum Berufsheer überhastet. „Um zu mobilisieren muss die SPÖ vor einer nächsten Volksbefragung das Thema erst breit diskutieren – vor allem dann, wenn es um gesellschaftspolitische Fragen geht“, sagt der Kärntner Peter Kaiser.
Junge Wähler
Und dann gibt es noch die Position, die der burgenländische Parteichef Hans Niessl vertritt. Der Landeshauptmann will erst das Positive sehen: „Immerhin hat die SPÖ ein Thema kampagnisiert, bei dem sie zwei Drittel der unter 25-Jährigen gewinnen konnten. Das ist beachtlich.“ Jungwähler unter 30 Jahren hatten mehrheitlich (63 Prozent) pro Berufsheer votiert - ein Wermutstropfen für die ÖVP.
Und doch sei manches schiefgelaufen. Hat Häupl der Partei einen Bärendienst erwiesen? Niessl verneint: „Wenn man gute Ideen hat, ist es egal wann und von wem sie kommen.“
Häupl war also nicht das Problem – aber mit manchem Landeshauptmann-Kollegen hat Niessl keine rechte Freude. „Wir haben einen grundlegenden Fehler gemacht. Wir sind nicht geschlossen aufgetreten. Und wer das nicht schafft, verliert.“
Gemeint sind damit Franz Voves und Gabi Burgstaller – beide hatten sich nicht für das Berufsheer engagiert, die Salzburgerin hatte sogar offen für die Wehrpflicht geworben. „In der ÖVP haben sich diejenigen, die gegen die Parteilinie waren, zumindest zurückgehalten. Uns ist das nicht gelungen“, sagt Niessl.
Und Norbert Darabos? Würde er, Niessl, seinem Landsmann nicht raten, das Ministerium sein zu lassen? „Es ist unbestritten, dass der Norbert einen schwierigen Job macht. Aber wir Burgenländer laufen nicht davon.“
Update: Die SPÖ Wien hat mittlerweile auf die Kritik ihres niederösterreichischen Genossen reagiert. Wiens Erster Landtagspräsident Harry Kopietz betrachtet Leitners Aussagen "mit einer Mischung aus Ärger und Mitleid". Seine Wortspende sei "mehr als entbehrlich". Die "bizarre Attacke" auf Häupl sei darauf zurückzuführen, dass Leitner als Spitzenkandidat für die NÖ-Landtagswahl offenbar sehr unter Druck stehe und nervös sei. Kopietz empfiehlt "Freund" Leitner, sich auf den eigenen Wahlkampf zu konzentrieren und Anleihen aus den "unvergleichbar erfolgreicheren Wahlkämpfen der Wiener SPÖ" zu nehmen. Ähnlich äußerte sich der Wiener SPÖ-Landesparteisekretär Christian Deutsch: "Ist es denn wirklich notwendig, einen seit zwei Jahrzehnten höchst erfolgreichen SP-Landeshauptmann öffentlich anzupatzen, nur weil im eigenen Bundesland nix weitergeht?", fragte er in einer Aussendung. "Die Linie, eine Volksbefragung zur Wehrpflicht durchzuführen, wurde gemeinsam im Bundesparteipräsidium und Bundesparteivorstand festgelegt. Auch wenn das Ergebnis - mit Ausnahme von Wien - nicht dem Gewünschten entspricht, kann man sich nicht ganz einfach vom gemeinsam Beschlossenen absetzen."
Die Entscheidung des Volkes werde umgesetzt. Diese Devise gaben SPÖ und ÖVP vor der Volksbefragung über die Wehrpflicht aus. Doch wer dachte, am Tag nach der Abstimmung werde großkoalitionärer Friede ausgerufen, der hat sich geirrt. Im Gegenteil: Der Montag begann mit einem Konflikt über die Reform des Wehrdienstes.
Die ÖVP, die am Montag Eckpunkte ihres Konzeptes präsentierte, will die Zahl der Systemerhalter (Köche, Kellner, Schreibkräfte etc.) in der Armee drastisch reduzieren. Das Ziel sei, ein Grundwehrdienst „ohne Leerläufe“, erklärte Parteichef Michael Spindelegger. „Ab Herbst muss der Präsenzdienst jedem jungen Mann Sinn geben“, ergänzte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. Sie strebt um 70 Prozent weniger Systemerhalter an. Spindelegger meinte, man könne „die Hälfte infragestellen“.
Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) konterte, dafür brauche er mehr Geld. Schließlich müsste „ja wer anderer die Aufgaben der Grundwehrdiener erledigen“.
Kein Ersatz nötig
Das sieht die ÖVP anders. „Wer bei der Frage nach Reformen nach mehr Geld ruft, hat den Sinn von Reformen nicht verstanden“, ätzte Spindelegger. Das Verteidigungsressort werde mit den vorhandenen Mitteln auskommen müssen. Im Übrigen, so Spindelegger, „wenn die Kritik lautet, dass die Systemerhalter den ganzen Tag nichts zu tun haben, werde ich sie doch nicht ersetzen.“
Details ihres Zwölf-Punkte-Konzeptes nannte die ÖVP auch am Montag nicht. Sie wolle ihr Papier zunächst der SPÖ vorlegen, wurde argumentiert. Nur so viel: Bei der Stellung sollen künftig alle jungen Männer einem „Talentecheck“ unterzogen werden, um sie entsprechend ihrer „Talente und Kompetenzen“ einzusetzen, erläuterte Mikl-Leitner. Überdies sollen alle Präsenzdiener in Sachen Ernährung, Gesundheit und Sport geschult werden, eine Erste-Hilfe-Ausbildung und eine „Grundausbildung im ABC-Katastrophenschutz“ erhalten sowie Staatsbürgerkunde lernen. Über diese Vorschläge will die ÖVP nun mit der SPÖ verhandeln.
Eckpunkte fixieren
Im Büro von Verteidigungsminister Norbert Darabos hieß es am Montag, man werde im Ministerrat am Dienstag die Einsetzung einer Arbeitsgruppe sowie die Eckpunkte, an denen sich die Reform der Wehrpflicht orientieren soll, vorschlagen. Einig ist sich die Koalition darin, dass der Wehrdienst attraktiver werden muss. Minister Darabos bleibt aber dabei, dass das zweifelsohne mehr Geld kosten werde.
Fischer freut sich über Befragungsergebnis
Bundespräsident Heinz Fischer war am Montag für seine Verhältnisse geradezu aktionistisch. Er hatte jene zehn Seiten aus dem Regierungsprogramm, die sich mit der Reform der Wehrpflicht beschäftigen, mit in die Pressekonferenz genommen und wachelte damit in die Kamera: „Im Programm der Regierung Faymann/Spindelegger sind sehr hilfreiche Vorschläge für eine Reform der Wehrpflicht enthalten. Man muss sie nur umsetzen.“
Obwohl seine frühere Partei, die SPÖ, am Sonntag bei der Wehrpflichtabstimmung ein Debakel erlitten hat, freute sich Heinz Fischer gestern offen über das Ergebnis: „Ich gebe zu, ich habe mich gefreut, und ich habe darauf gehofft.“ Ausdrücklich bedankte sich der Bundespräsident bei den Österreichern für ihr Votum und hob hervor, dass „von den neun Bundesländern alle außer einem“ für die Wehrpflicht gestimmt haben.
Um den Überschwang des Bundespräsidenten zu verstehen, muss man in den Herbst 2010 zurückblenden. Damals hat der Wiener Bürgermeister Michael Häupl in der Krone den Schwenk zum Berufsheer und eine Volksbefragung verkündet, Kanzler Werner Faymann und Verteidigungsminister Norbert Darabos sind nachgehüpft – und das Ganze hinter dem Rücken des Bundespräsidenten und Oberbefehlshaber des Bundesheeres. Diese Allianz wurde am Sonntag von der Bevölkerung gestoppt – oder, wie es Fischer formuliert: „Ich bin mit Norbert Darabos viele Wege gemeinsam gegangen. Gerade nach dem gestrigen Tag gibt es gute Voraussetzungen, die nächste Etappe wieder gemeinsam zu gehen.“ Daher genieße Darabos weiterhin sein Vertrauen als Verteidigungsminister. Nun müssten aber rasch Reformen im Heer umgesetzt werden.
Insgesamt forderte der Bundespräsident die Regierung auf, die verbleibenden Monate bis zu Wahl „sachlich zu arbeiten“ und sie „nicht zu vergeigen“.
Michael Spindelegger ist ein besonnener Mann. So einer freut sich nicht mit gefletschten Zähnen, sondern mit einem leisen Lächeln. Doch jetzt sticht ihn der Hafer. Zu oft erzählt er, dass „Norbert Darabos die Suppe auslöffeln muss, die er sich eingebrockt hat“.
Wenn die Bundesregierung ihr Versprechen ernst nimmt und bis zum Herbst arbeiten will, dann wird es nicht reichen, den anderen zu häkerln. Wir wollen die Vorschläge der ÖVP sehen -– und wir wollen, dass der Minister seine Schmähs, mit denen er die Befragung gewinnen wollte, einpackt. Wer für Reformen mehr Geld verlangt, soll ein Privatissimum beim Rechnungshof buchen. Die wissen, wie es geht.
Für alle, die es noch nicht verstanden haben: Das Resultat vom Sonntag war auch ein Appell an die Politik zu mehr Ernsthaftigkeit. Gewonnen haben nicht mehr oder weniger intelligente Kampagnen, entscheidend waren konkrete Sorgen: Die Rettungsorganisationen brauchen genügend Zivildiener – und das Heer soll als Truppe glaubwürdig werden und als Katastrophenschutz einsatzfähig bleiben.
Die Spaltung „Jung gegen Alt“ gab es übrigens nicht so, wie uns das ORF-Hochrechner erzählten. Offenbar gab es bei den 16- bis 29-Jährigen einen Gleichstand . Es hieß auch nicht „Stadt gegen Land“, viele SPÖ-dominierte Städte waren für die Wehrpflicht. Schon eher zeigte sich ein Graben zwischen einigen Wiener Bezirken (mit starker grüner Wählerschaft) und dem Rest des Landes. Die Wiener Kaffeehäuser, wo Politiker und Journalisten einander die Welt erklären, sind mit großen Zerrspiegeln ausgestattet. Und an Rathauspolitiker sollte man Öffi-Tickets verteilen. In der U-Bahn erfährt man mehr, als U-Bahn-Zeitungen sich zu schreiben trauen.