Massen-Exodus der Kosovaren: "Kein Leben hier"
Von Maria Kern
Ich kann’s hier nicht mehr aushalten! Das ist doch kein Leben hier."
So wie ein zweifacher Familienvater der Zeitung Koha ditore begründete, warum er aus dem Kosovo weg will, argumentieren viele seiner Landsleute. Sie flüchten in die EU. In den vergangenen zweieinhalb Monaten dürften zwischen 30.000 und 50.000 Kosovaren ihre Heimat verlassen haben.
Ihre Reise beginnt meist auf dem Busbahnhof in Pristina. Nur mit kleinen Taschen und Rucksäcken bepackt, steigen Männer, Frauen und Kinder in einen der wartenden Busse. Täglich machen sich geschätzte 500 Leute auf den Weg in ein vermeintlich besseres Leben.
Den Massenexodus bekommen vor allem Ungarn, Österreich und Deutschland zu spüren. Mehr als 1000 Asylwerber kamen im Jänner hierzulande an. Das heißt, jeder vierte Flüchtling war ein Kosovare. In Deutschland waren es fast jeder Dritte (10.500). Mehr als 10.000 wurden in Ungarn gezählt.
Strikte Schweiz
Innenministerin Johanna Mikl-Leitner will den Ansturm mit einem Asyl-Schnellverfahren bewältigen (siehe unten). Als Vorbild dient die Schweiz. Das Nachbarland ist von der Flüchtlingswelle nicht betroffen, "weil es hier diese 48-Stunden-Verfahren gibt", schildert Enver Robelli, gebürtiger Kosovare und Westbalkan-Korrespondent des Schweizer Tagesanzeiger.
1,40 Euro pro Tag
Dass ein solches Versprechen reicht, um auszuwandern, verwundert nicht. Ein Drittel aller erwerbsfähigen Kosovaren ist arbeitslos, bei den 15- bis 24-Jährigen sind es 56 Prozent. Laut der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit leben 34 Prozent der knapp zwei Millionen Einwohner in "absoluter Armut". Das heißt, sie müssen mit 1,40 Euro pro Tag auskommen. Wird man schwer krank, ist man noch ärmer dran. "Wer eine Herzoperation oder eine Krebsbehandlung braucht, muss einen Arzt bestechen oder bei einem Politiker intervenieren", schildert Robelli.
Dass sich an all dem bald etwas ändert, glaubt kaum jemand. Im Vorjahr haben viele Kosovaren noch auf einen Polit-Wechsel gehofft. Doch dazu kam es nach der Wahl nicht. Robelli: "Viele Politiker sind hauptsächlich damit beschäftigt, Reichtum anzuhäufen oder zu bewahren – und ihren Verwandten Jobs im Staatsdienst zu verschaffen." Die Bürger seien daher "völlig desillusioniert".
Die Zahl der Asylwerber aus dem Kosovo steigt massiv. Allein im Jänner 2015 wurden 1029 Personen registriert. Das ist ein Viertel aller Flüchtlinge. Da der Kosovo als sicherer Drittstaat gilt, haben dessen Bürger de facto keine Chance auf Asyl.
Die EU macht angesichts der Massenflucht Druck auf die Regierung in Pristina. Sie solle gegen jene "Busfirmen" vorgehen, die die Emigranten aus dem Land bringen, verlangen Diplomaten. Die Bürger sollen zudem über die Rechtslage in den Zielländern informiert werden – und der Grenzschutz müsse verstärkt werden. Das haben gestern zumindest die Serben zugesagt. Sie überwachen ihre Grenze zu Ungarn schärfer, wurde gestern bei einem Treffen von Polizei-Vertretern aus Serbien, Ungarn, Deutschland und Österreich angekündigt.
Innenministerin Johanna Mikl-Leitner wird kommende Woche auf den Balkan reisen. Die ÖVP-Ressortchefin drängt ja auf Schnellverfahren. Binnen zehn Tagen sollen Asylverfahren von Personen aus sicheren Drittstaaten (z. B. Kosovo) abgehandelt werden. FPÖ und Team Stronach haben gestern Unterstützung angeboten. Darauf dürfte Mikl-Leitner nicht angewiesen sein. Die SPÖ scheint nun auch für den Plan zu sein.