Julia Herr: "Die SPÖ muss endlich aufwachen"
Von Jürgen Klatzer
Seit Tausenden von Jahren hat das männliche Y-Chromosom das Leben der Menschen geprägt, berühmte Dramen hervorgebracht und tiefe Klüfte zwischen Männern und Frauen hinterlassen. In den vergangenen Wochen wurde vor allem in der SPÖ kontrovers über Geschlechtergerechtigkeit diskutiert. Der bislang letzte Akt gipfelte im Rücktritt Sonja Ablingers als oberösterreichische SP-Frauenchefin. Ausschlaggebend war eine parteiinterne Quotenregelung, die bis jetzt nicht eingehalten wird.
SPÖ-Bundesparteiobmann Werner Faymann will am Parteitag Ende November Lösungen für das "Dilemma" Parteistatut vs. Wahlordnung, speziell Frauenquote, präsentieren. Zu spät, meinen viele. Auch Julia Herr, Vorsitzende der Sozialistischen Jugend, ist mit der Vorgehensweise der Bundespartei gar nicht zufrieden. Im KURIER-Gespräch erklärt sie, warum die SPÖ ihre Grundwerte mit Füßen tritt und die FPÖ im Jahr 1750 stecken geblieben ist.
KURIER: Frau Herr, gendern Sie?
Julia Herr: Ja, natürlich. Geschlechtergerecht, wie es sein soll.
Demnach gehören Sie laut einem Brief von 800 Sprachkritikern zu einem minimalen Anteil „kämpferischer Sprachfeministinnen“, die der Mehrheit ihren Willen aufzwingen. Was sagen Sie zu den Gegnern des „Gender-Wildwuchses“?
Ich hab mir den Brief ebenfalls durchgelesen. Sprache hat sich historisch immer weiterentwickelt. Gendern wird für die Kinder von heute schon eine Selbstverständlichkeit sein. Sprache schafft Bewusstsein.
Das bedeutet …
Wenn ich vom Arzt spreche, werde ich an den Arzt denken und nicht an die Ärztin. Die Mär, Frauen seien mitgemeint, ist doch vollkommener Blödsinn. Es zeigt nur, wie sexistisch diese Debatte aufseiten der konservativen Kräfte geführt wird. Und wenn auch noch Philosophen, Lehrer und Journalisten gegen geschlechtergerechten Sprachgebrauch wettern, ist das noch frappierender.
Rund zwei Drittel der österreichischen Bevölkerung sind aber der Meinung, Diskussionen um Binnen-I, Bundeshymne und Frauenquoten seien unnötig, Änderungen werden nicht benötigt.
Das Ziel der Sozialistischen Jugend ist es nicht, ständig über Quoten, Sprachgebrauch und Hymne zu streiten. Wir wünschen uns doch auch, dass Gleichberechtigung in der Gesellschaft angekommen ist. Aber wenn ich mir ansehe, was die Stronachs und Co. dieser Welt für einen sexistischen Müll verzapfen, dann wird es noch ein langer Kampf. Und zu Andreas Gabaliers Interpretation der Bundeshymne: Wenn er sich über ein bereits bestehendes Gesetz, das Österreichs Töchter im Hymnentext fest verankert, hinwegsetzt, dann erkennt man erst, wie ewiggestrig wir in manchen Diskussionen noch sind.
Bildungs- und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek hat sich via Facebook mit einer „kleinen Lernhilfe“ an den Musiker gewandt. War das richtig?
Dass sich die Frauenministerin zur Gleichberechtigung bekennt, ist unabdingbar. Im Fall Gabalier hat Heinisch-Hosek extrem gut reagiert.
Dann waren Sie sicher enttäuscht, als die Frauenministerin für Walter Schopf und somit gegen Sonja Ablinger gestimmt hat. Auf dem Platz der verstorbenen Nationalratspräsidentin Barbara Prammer sitzt nun keine Frau, wie es laut SPÖ-Parteistatut vorgeschrieben ist, sondern mit Schopf ein Mann.
Heinisch-Hosek hat sich offiziell hinter Sonja Ablinger gestellt. Dass sie dann bei der Abstimmung ihrer Linie nicht treu blieb, ist mehr als enttäuschend. Aber ich hätte mir nicht nur von ihr, sondern auch von den restlichen Mitgliedern im SPÖ-Parteivorstand erwartet, dass sie sich zum demokratisch beschlossenen Parteistatut bekennen.
Ein Arbeitskreis soll die Turbulenzen in der SPÖ nun glätten und …
… man kann gern noch 15 Arbeitskreise machen und 15 Mal die Quote beschließen, aber es geht ja nicht mehr um den Beschluss, sondern um die Einhaltung des Paragrafen 16 im Parteistatut. Der ist glasklar geregelt und gar nicht schwierig umzusetzen. Wenn der Arbeitskreis über eine neue Version der Quote debattiert, beschönigt das nicht im Geringsten den Verstoß gegen das jetzt geltende Parteistatut.
Wenn es so einfach ist, warum schafft es die SPÖ dann nicht, ihre selbst auferlegte Frauenquote von 40 Prozent zu erreichen?
Wir leben in einer Welt, in der Männer noch immer bevorteilt werden, auch in der SPÖ. Selbst in unserer Organisation mussten 120 Jahre vergehen, bis die erste weibliche Vorstandsvorsitzende gewählt wurde. Seit Ewigkeiten gibt es die Diskussion. Die Sozialdemokratie hat für die Rechte der Frauen gekämpft. Und nun setzt man die eigene Quotenregelung nicht um, das ist eine Schande. Man tritt die eigenen Grundsätze mit Füßen. Warum soll jemand eine Partei wählen, die nicht zu dem steht, was sie verspricht?
Dann sollte die SPÖ - wie FPÖ, NEOS und Team Stronach - auf eine Quote verzichten, oder?
Auf gar keinen Fall. Außerdem versetzen uns die Freiheitlichen ja immer wieder ins Schaudern. Das heutige Familienbild der FPÖ gleicht dem aus der Steinzeit, wie Johann Gudenus kürzlich wieder gezeigt hat. Trotzdem würde ich es gutheißen, wenn sie ebenfalls eine Quote einführen. Aber man muss realistisch bleiben, das wird nichts. Die FPÖ ist leider im Jahr 1750 stecken geblieben. Auch in der ÖVP herrscht trotz großartiger Frauen noch immer dieses Neandertalerdenken: Frauen zu Hause, Männer in der Arbeit.
Stichwort Quotenfrauen: Viele Gegner der Quotenregelung argumentieren damit.
Das ist doch eine typische Taktik, um Frauen abzuwerten. Man soll sich doch über jede Frau freuen, die im Nationalrat sitzt. Egal ob mit oder ohne Quote. Es geht ja darum, dass man endlich erkennt, Frauen sind wichtig. Es gibt extrem coole Frauen in der SPÖ. Man muss ihnen bloß den Raum in dieser männlichen Hegemonie schaffen.
Was wird die Sozialistische Jugend tun, damit das geschieht?
Ganz einfach: Nicht aufgeben bis es zu einer Gleichstellung von Mann und Frau kommt, wie zum Beispiel auch die Einberufung des Schiedsgerichtes von uns zeigt. Dazu werden wir auch weiterhin Kritik an der SPÖ üben. Jemand muss sie ja an die Kernthemen der Partei erinnern.
Kommen wir noch zu einem anderen Thema: Cannabis. Sie setzen sich mit der Sozialistischen Jugend für die Legalisierung der Droge ein. Warum?
Für die Jugend ist die Legalisierung von Cannabis ein extrem wichtiges Thema. Es gibt ganz einfach viele Menschen, die kiffen. Das hat man mittlerweile in Tschechien, in den Niederlanden und in manchen Teilen der USA eingesehen. Statt Jugendliche zu kriminalisieren, kann man Steuern einnehmen und sinnvoll einsetzen. Bislang ziehen ja nur mafiöse Strukturen einen monetären Nutzen daraus und nicht der Staat.
Viele Menschen sind gegen die Legalisierung, auch die Bundes-SPÖ scheint vom Vorschlag nicht besonders angetan zu sein.
Die SPÖ muss endlich aufwachen und den internationalen Trend erkennen. Die Unterstützung der Jugendlichen hätte die Partei sicher, denn immerhin sprechen sich fast 70 Prozent der unter 30-Jährigen für die Legalisierung aus. Eine Verbotspolitik hilft da wenig. Die Leute kiffen ja trotzdem.
Zur Person
Julia Herr wurde im Mai 2014 zur Vorsitzenden der Sozialistischen Jugend (SJ) gewählt und trat damit die Nachfolge von Wolfgang Moitzi an, der sich in die Privatwirtschaft verabschiedet hat. Die Soziologiestudentin ist die erste Frau an der Spitze der 1894 gegründeten Organisation (vormals "Verein Jugendlicher Arbeiter").
Warum ging sie zur SJ? Sie habe eine Wut auf die FPÖ gehabt, schreibt Herr in ihrem Blog. Aus Wut sei jedoch Motivation für politische Aktionen und Forderungen geworden. Sie will die Welt verbessern.