"Ich werde manchmal lauter, Hofer ist gelassen wie Buddha"
Von Ida Metzger
Bilanzen über die ersten 12 Monate der ÖVP-FPÖ-Koalition wurden reichlich gezogen. Die beiden Minister Gernot Blümel und Norbert Hofer sind diejenigen, die als Regierungskoordinatoren die Reformen verhandeln. Wer geht öfters als Sieger vom Platz? Wann mischen sich Sebastian Kurz und Heinz Christian Strache in die Verhandlungen ein? Der KURIER bat zu einem Doppeltalk, bei dem sie Einblick hinter die Kulissen gaben.
KURIER: Herr Blümel und Herr Hofer, die Regierung hat sich das Dogma auferlegt, nicht zu streiten. Wie viel Kraft kostet es, diese Kultur auch zu leben?
Norbert Hofer: Es ist ja gar kein Dogma. Man kann sich ja nicht vornehmen, nicht zu streiten, wenn man nicht zusammenpasst. Das funktioniert vielleicht zwei Wochen, aber einen Streit zu unterdrücken, geht sicher nicht fünf Jahre. Wir kommen in der Koordinierung immer reibungslos zu einem Ergebnis.
Bei der Regierungsklausur in Mauerbach haben Sie bis nach Mitternacht um eine Einigung bei der neuen Mindestsicherung gerungen, während die anderen Minister beim lockeren Abendprogramm waren. Reibungslos schaut anders aus.
Gernot Blümel: Es wäre ja absurd, wenn wir immer einer Meinung wären. Wir sind ja auch zwei verschiedene Parteien. Aber wenn wir unterschiedlicher Meinung sind, versuchen wir, das intern zu lösen, und hängen die unterschiedlichen Positionen nicht jedem um. Das ist der Unterschied zu Vorgängerregierungen. Dieses Herantasten an den Kompromiss geht dann leicht, wenn man eine persönliche Ebene gefunden hat – und die ist zwischen uns beiden definitiv vorhanden. Das heißt nicht, dass wir nicht stundenlang diskutieren müssen, bis wir zum Ergebnis kommen.
Wie läuft das Herantasten ab? Gibt es einen Deal, wenn bei einer Reform die FPÖ den Ton angibt, trägt der nächste Kompromiss die ÖVP-Handschrift?
Blümel: Ich habe den unmittelbaren Vergleich zu Vorgängerregierungen, weil ich da in die Koordinierung involviert war. Damals gab es auch unterschiedliche Positionen bei Sachthemen. Im Mittelpunkt stand aber in erster Linie, dem anderen keinen Erfolg zu gönnen. Das ist der große Unterschied, den ich hier empfinde. Um die Frage, wer der Sieger oder Verlierer ist, geht es bei uns gar nicht.
Trotzdem geht es auch um Klientelpolitik. Müssen Sie sich von Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache den Vorwurf gefallen lassen, zu wenig hart verhandelt zu haben? Hofer: (lacht) Das hören wir beide immer wieder. Tatsächlich sagt Strache oft zu mir, da oder dort musst dich jetzt durchsetzen, weil er meint, dass ich zu nachgiebig bin.
Blümel: Ich finde, man merkt in einer Debatte relativ schnell, ob es dem Gegenüber um die Sache geht, oder ob es irgendwelche Hintergedanken gibt, warum man was, wie argumentiert.
Wie merken Sie das?
Blümel: Wenn das Gegenüber das Argument des anderen nicht versteht. Dann ist das meistens keine intellektuelle Problematik, sondern eine Frage der Bereitschaft. Wenn man den Grund für eine Argumentation nicht nachvollziehen kann, kann man mit ziemlicher Sicherheit annehmen, dass es da noch andere Hintergedanken gibt, die man nicht offen auf den Tisch legen will. Das ist bei uns nicht der Fall. Das ist das Geheimnis unserer Verhandlungen und eine andere Qualität, die es in Vorgängerregierungen nicht gab.
Was verbindet Sie?
Norbert Hofer: Wir haben uns erst im Rahmen der Koalitionsverhandlungen näher kennengelernt, und es hat zwischen uns sofort gut funktioniert. Warum die Chemie stimmt, weiß man ja meistens nicht. Es hat bis jetzt keine Situation gegeben, in der ein unguter Moment entstanden ist, der Misstrauen gesät hätte.
Blümel: Eine wichtige Voraussetzung ist, den anderen nicht zu überfordern. Man weiß ja, wo die politischen roten Grenzen der eigenen und der anderen Partei liegen, die darf man nicht überschreiten. Auf Biegen und Brechen den anderen zu überfordern, ist langfristig eine Katastrophe. Nur wenn sich beide Parteien langfristig wiederfinden, kann es funktionieren. Außerdem schätze ich Norberts pragmatische Art. Ich habe von dir noch kein lautes Wort gehört, fällt mir auf. Das ist etwas, was mir passiert. Ich werde manchmal ein wenig lauter (lacht). Aber Norbert behält immer eine Ruhe und Gelassenheit, als wäre er Buddha, wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass Norbert im Inneren auch so gelassen ist. Das finde ich bemerkenswert.
Hofer: (lacht). Für Buddha muss ich noch zunehmen. Auch ich gehe manchmal hoch, aber nie in der Regierungskoordinierung.
Sind Sie eher das Häferl – also der hitzigere Typ?
Blümel: Im Vergleich zum Norbert Hofer ja. Aber hoffentlich auf eine annehmbare Art und Weise.
Hofer: Diese Eigenschaft wäre mir noch nicht aufgefallen. Ich schätze die totale Offenheit von Gernot. Man weiß immer sofort genau, woran man ist. Das macht es leichter. Wir haben unterschiedliche Schwerpunkte, in einigen Bereichen aber auch sehr ähnliche Standpunkte. Gernot und ich analysieren sehr offen, wo es Ergänzungen geben kann.
Herr Blümel, Sie haben Philosophie studiert. Gibt es einen philosophischen Leitsatz, den Sie bei Verhandlungen befolgen?
Blümel: Ja, von Ludwig Wittgenstein. „Alles was sich aussprechen lässt, lässt sich klar aussprechen.“ Wittgensteins Anliegen war es, mehr Klarheit in die Sprache, damit in die Philosophie und ins Leben der Menschen zu bringen. Was meine Lebenseinstellung betrifft, ist mein Lieblingsphilosoph Søren Kierkegaard mit „Entweder – Oder“ als Werk. Dessen Grundaussage ist, dass man sich seiner eigenen Freiheit bewusst werden muss, und was damit einher geht – nämlich sich aktiv immer wieder entscheiden zu müssen. Das nimmt einem niemand ab.
Herr Hofer, nützen Sie die Position, um das Stigma, das seit der Hofburg-Wahl auf Ihnen lastet, dass man Ihnen nicht vertrauen kann, abzulegen?
Hofer: Mir wurde ja durch die „Sie werden sich noch wundern“-Aussage unterstellt, dass ich mich verstelle. Aber niemand kann sich eine ganze Regierungsperiode lang verstellen, das will ich durch die tagtägliche Arbeit zeigen.
Bei der Mindestsicherung gab es heftige Debatten, ob es nun einen Vermögenszugriff geben soll oder nicht. Sie einigten sich, dass der Vermögenszugriff erst nach drei Jahren passiert. Die ÖVP-Länder wollten bei der alten Regelung bleiben. Herr Blümel, haben Sie keine Beschwerden von den ÖVP-Länderchefs bekommen?
Hofer: Den eigenen Funktionären den einen oder anderen Kompromiss zu verkaufen, ist oft schwerer als die Verhandlung selbst.
Blümel: Natürlich bekomme ich immer wieder zahlreiche Anrufe, wo es Beschwerden gibt. Von vielen unterschiedlichen Seiten. Die ÖVP hat jedoch schon sehr lange Regierungsverantwortung, sodass sie auch gelernt hat, wie man mit Kompromissen umgeht, auch wenn der eine oder andere Punkt nicht für Euphorie sorgt. Wichtig ist es, zu reden und nochmals zu reden.
Es wird erzählt, dass es regelmäßige Treffen in der Wohnung von Sebastian Kurz gibt, wo in einem Achtaugengespräch die groben Linien festgelegt werden. Stimmt das?
Blümel: Es gibt mehrere Formate. Am Tag vor dem Ministerrat treffen sich die Regierungskoordinatoren, um die Punkte für den Ministerrat zu finalisieren. Dann gibt es auch Settings, wo Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache dabei sind. In der Chefrunde wird uns dann vorgegeben, in welche Richtung wir gehen sollen.
Hofer: In dieser Runde werden die Entscheidungen gefällt, wann welcher Punkt des Regierungsprogramms abgearbeitet wird. Ja, das passiert in privaterer Umgebung.
Die ÖVP-FPÖ-Regierung hat über 120 neue Gesetze eingebracht. Bei Ex-Kanzler Christian Kern waren es in den ersten 12 Monaten über 140. Da war Kern offenbar effizienter ...
Hofer: Das kann man nicht vergleichen. Christian Kern stieg in eine eingespielte Regierung ein, wo volée weitergearbeitet wurde. Wir haben uns das erste halbe Jahr mit Vorbereitungen der Reformen beschäftigt, und da waren große Brocken wie die Sozialversicherungsreform dabei. Nächstes Jahr wird die Bilanz anders ausschauen.
Medial profitiert Norbert Hofer von der Position des Regierungskoordinators mehr als Sie. Warum punkten Sie nicht mehr?
Blümel: Ich weiß nicht, ob es so ist. Wenn es so ist, dann gönne ich das Norbert. Ich leide nicht an Unterbeschäftigung.
Hofer: Das hat aus meiner Sicht einen anderen Grund. Durch den Bundespräsidentenwahlkampf werde ich genauer beobachtet. Mich haben über zwei Millionen Bürger gewählt – mit allen Vor- und Nachteilen. Davor, als dritter Nationalratspräsident, war ich den meisten unbekannt. Seit der Hofburg-Wahl ist ein unerkannter Besuch im Thermalbad, ohne ständig gefilmt zu werden, nicht mehr möglich. Ich muss ständig den Bauch im Wasser einziehen (lacht).
Herr Blümel, es heißt, Sie sollen 2020 der nächste Wiener Vizebürgermeister werden. Ein Amt, das Ihnen gefallen würde?
Blümel: Zuerst wollen wir die Wien-Wahl schlagen und ein erfolgreiches Ergebnis für die ÖVP erreichen. Alles andere kommt danach.
Also, noch keine Bestätigung ...
Blümel: Ich kann noch gar nichts bestätigen, weil zuerst wird gewählt.
Das ginge schon, weil Norbert Hofer auch schon sagt, dass er zur Hofburg-Wahl antritt und Bundespräsident werden will ...
Blümel: Ich trete zur Wien-Wahl an, und natürlich möchte ich für meine Heimatstadt gestalten können. Das geht nur dann, wenn man einen entsprechenden Wählerauftrag bekommt. Wie und in welcher Form, werden die entsprechenden Verhandlungen zeigen. Das ist sicherlich noch zu früh, so im Detail zu beantworten.
Wo steht Ihr Energielevel nach diesem Jahr?
Hofer: Ich muss zugeben, ich bin schon müde. Bei mir geht es ja seit der Hofburgwahl 2016 de facto ohne Pause durch. Das vergangene Jahr war unglaublich intensiv mit der EU-Ratspräsidentschaft. Ich brauche jetzt ein wenig Zeit zum Durchatmen.
Blümel: Ich freue mich auf ein paar Tage, wo ich endlich ausschlafen kann. Es war wirklich viel. Der Einstieg in ein Ressort, die Vorbereitung einer EU-Ratspräsidentschaft, die Präsidentschaft selbst – das waren keine Kleinigkeiten. Dinge sind immer am aufwendigsten, wenn man sie zum ersten Mal macht.
Herr Hofer, ist es auch in Ihrem Sinne, dass die FPÖ die Republik auf Schadenersatz klagt?
Norbert Hofer: Ich weiß, dass das eine sehr unpopuläre Maßnahme ist. Es nicht zu tun, wäre wie ein Untreueverhalten gegenüber der Partei. Es war einmalig, dass man mehrfach nicht in der Lage war, eine Wahl so abzuhalten, dass sie rechtskonform ist.
In Folge könnten auch FPÖ- Wahlbeisitzer zur Verantwortung gezogen werden.
Hofer: Das Problem war schon ein grundsätzliches, und dass der Kleber bei den Kuverts nicht hält, dafür können die Wahlbeisitzer gar nichts.