Politik/Inland

Häupl will Neustart bei Mindestlohn

Der KURIER sprach mit Wiens SPÖ-Bürgermeister Michael Häupl über Balgereien in der Koalition, die Türkei-Krise und seine Achse zu Erwin Pröll.

KURIER: Ein ausländischer Kommentator hat die Regierungskoalition als "scheintot" bezeichnet. Ihr Befund?

Michael Häupl: Den Befund teile ich gar nicht. Im Gegenteil bin ich der Auffassung, dass die Koalition viel mehr Chancen hat, bis 2018 zu arbeiten, wenn die Querschüsse aus bestimmten Teilen der ÖVP aufhören.

Wen meinen Sie?

Ich meine damit ausdrücklich nicht den Bundesparteivorsitzenden der ÖVP. Aber es gibt dort Leute, die an einer Fortführung der Koalition weniger Interesse haben als an ihrer eigenen Karriere.

Sie haben hier die Namen Kurz und Lopatka ins Spiel gebracht. Gilt das auch für Sobotka?

Bei Minister Sobotka weiß ich es nicht, der könnte auch andere Interessen haben.

Jetzt hat Bundeskanzler Kern diese Woche die ÖVP mit seinem Solo-Auftritt vor dem Ministerrat auf die Palme gebracht. Gefällt Ihnen dieser neue Stil?

Das kommt sicher nicht so rasend toll an. Aber aus der Absage des Pressefoyers den Untergang der Meinungsfreiheit zu argumentieren, halte ich für total überzogen.

Ist es Kern darum gegangen, zu zeigen, wer die Nummer eins ist?

Das hängt damit zusammen, dass Mitterlehner gesagt hat, dass er den Journalisten weiterhin zur Verfügung steht. Es wird sich schon wieder einpendeln.

Auch inhaltlich gibt es in der Koalition zwei Sichtweisen, wie zur Notverordnung. Gemeinsam schaut doch anders aus?

Aus meinem Gespräch mit Vizekanzler Mitterlehner habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Regierungspartner mehr einer Meinung sind, als dies gelegentlich nach außen hin dargestellt wird.

Ihre Position zum Thema?

Ja, wir brauchen eine Notverordnung, aber dann wann eine Not da ist. Alles andere klingt ein bisserl komisch und kann niemand nachvollziehen.

Der Innenminister sieht das noch nicht so.

Wenn er meint, sich so für Niederösterreich profilieren zu können, soll das so sein.

Auch bei der Mindestsicherung hakt es. Wichtige ÖVP-Kreise wollen 1500 Euro als Obergrenze und keinen Cent mehr Cash. Wird Wien da mitspielen?

Eine Grundvoraussetzung ist, dass es eine Bundeslösung ist, die für alle gilt.

Dann ist Wien im Boot.

Natürlich sind wir uns im Klaren, dass jemand, der arbeitet, sich mit seinem Einkommen von jemandem unterscheiden soll, der eine Sozialleistung erhält. Dazu dient aber in erster Linie das Instrumentarium des Mindestlohns.

Dazu hat die ÖVP abgewunken. Will die SPÖ jetzt Mindestlohn und Mindestsicherung junktimieren?

Junktimieren ist für Verhandlungen immer schlecht. Ich verweigere mich der Gesprächsunterstützung zur Neuordnung der Mindestsicherung nicht. Aber ich sage auch, dass man die Verhandlungen über den Mindestlohn neu entfachen sollte.

Ist das Ihr Rat an den Bundeskanzler?

Nein, das ist ein Vorschlag an die ÖVP, reden wir über die Neuordnung der Mindestsicherung ohne Sozialabbau.

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Erwin Pröll hat im KURIER gesagt, er hält Neuwahlen für sinnlos, weil sich Schwarz und Rot nur um Platz zwei und drei balgen können. Gibt es für Sie einen Punkt, wo man sagen muss, aus und vorbei?

Mit diesen Dingen sollte man sich momentan nicht beschäftigen, weil das Gesprächsklima zwischen Kanzler und Vizekanzler ein ganz Gutes ist.

Angst vor den Umfragen?

Nein. Ich habe mit Umfragen aus dem Wiener Wahlkampf reichlich Erfahrung und würde den Befund von Erwin Pröll nicht so ohne Weiteres teilen.

In die Achse Häupl/Pröll ist in der Vergangenheit viel hineininterpretiert worden. Eine Freundschaft mit Konfliktlösungspotenzial?

Erwin Pröll und ich sind in vieler Hinsicht verschiedener Meinung, aber wir versuchen, sie so zu handeln, dass daraus eine tragfähige Arbeitsbeziehung wird.

Aber bei den Gesprächen geht es längst nicht um das Verhältnis Wien und Niederösterreich.

Natürlich geht es in erster Linie um Bundesthemen. Wir können aus unseren Gesprächen heraus, Lösungen erarbeiten und auch anbieten. Entschieden muss das dann dort werden, wo es hingehört, also bei den Bundesvorsitzenden oder Ministern.

Einig ist sich die Koalition in der Türkeifrage. Als Reaktion auf die Forderung nach dem Ende der EU-Beitrittsgespräche hat der türkische Außenminister Österreich als Zentrum des radikalen Rassismus bezeichnet.

Ich bin empört über die Äußerung des Außen- wie des Europaministers, der Wien als einen Kernpunkt des Antiislam bezeichnet hat. Das finde ich ungeheuerlich, weil gerade Wien im Hinblick auf das friedliche Miteinander der Religionen viel geleistet hat.

Wie geht es Ihnen als Bürgermeister mit solchen Angriffen?

Ich halte das persönlich für beleidigend.

Wann haben Sie zuletzt mit dem Botschafter gesprochen?

Schon länger nicht. Man weiß ja nicht genau, ist er da oder ist er nicht da. Früher war das anders.

Nach dem gescheiterten Putschversuch hat sich die türkische Innenpolitik auch auf Wiens Straßen abgespielt.

Ich trete für das uneingeschränkte Demonstrationsrecht ein. Aber ich erwarte mir, dass die Demonstrationen geordnet und friedlich stattfinden. Gewaltanwendung gegen ein kurdisches Lokal ist völlig inakzeptabel.

Muss Wien mehr in Moscheen oder türkische Vereine hineinschauen, wie weit die von Ankara gesteuert werden?

Gut möglich, dass sie gesteuert werden.

Das heißt, wir haben die türkische Innenpolitik in Wien.

Deshalb hat man ins Islamgesetz hineingeschrieben, dass man vom Ausland kein Geld bekommen darf. Aber das ist der Punkt, wo man darauf hinweisen muss, dass auch andere Religionsgemeinschaften vom Ausland Geld erhalten.

Geht es Ihnen nicht um die Lufthoheit in der Stadt?

Selbstverständlich. Ich stelle das Gesetz nicht infrage. Aber man muss schon relativieren, es gibt 100.000 Türken in der Stadt und 6000 haben an einer Demonstration teilgenommen. Man soll nicht übertreiben.

Ihre Grenze ist?

Dort, wo es um Gewalt geht.

Es gibt Austro-Türken, die jetzt das Land verlassen wollen, wenn man ihnen eingezahlte Beiträge zurückerstattet. Soll man darauf eingehen?

Das ist überhaupt kein vernünftiger Ansatz. Es wird niemand gezwungen, in Österreich zu leben. Wer hier nicht leben will, der hat das demokratische Recht, auszureisen.