Politik/Inland

Hetze, Hass und Gewalt in der Timeline. Hat Facebook versagt?

Wann ist es eigentlich zu viel? Was geht zu weit? Die Antworten können kompliziert sein. Manchmal sind sie aber auch ganz einfach, in dem Fall zum Beispiel:

„Komm hau uns raus Schweineficker. Du bist kein Österreicher, du bist nur ein dummes Nazischwein. Ein normaler Österreicher schämt sich für dich! Du beschmutzt nur dein Profilbild“


Das war eindeutig zu viel. Weshalb wir diesen Kommentar auf der Facebook-Seite von Kurier.at gemeldet haben. Und überrascht wurden: Die Rückmeldung von Facebooks Community-Operations-Team ließ keine 24 Stunden auf sich warten. Der gemeldete Inhalt verstoße nicht gegen die Gemeinschaftsstandards der Plattform, man bedanke sich dennoch dafür, dass wir uns die Zeit genommen haben.

Unsere Laienansicht, dass das seltsam sei, teilt auch der Wiener Rechtsanwalt Dr. Johannes Öhlböck. Jemanden als "Schweineficker" zu bezeichnen, beinhalte den Vorwurf der Sodomie und somit eines strafbaren Verhaltens. Ähnlich verhalte es sich mit der Bezeichnung "dummes Nazischwein". Darüber hinaus seien beide Äußerungen kreditschädigend und ehrverletzend, so der Jurist. Ebenso erfolglos blieb unser Versuch den folgenden Kommentar, der Bundeskanzler Christian Kern betrifft, bei Facebook zu melden:

„Also eine Kugel wäre mir zu schade, aber wir können ihn gern von einem der von ihm-ausrangierten Güterwaggons der dank ihm nicht mehr existierenden Rail Cargo Austria überrollen lassen.“


Auch hier hieß es, dass der Beitrag nicht gegen Facebook-Richtlinien verstoße. Kurier.at hat eine Anzeige in die Wege geleitet. Nicht nur diese Beispiele lassen darauf schließen, dass Facebooks Ansichten darüber, was als Hassbotschaft gilt, oft mit der Wahrnehmung von Usern auseinanderdriftet. Hinzu kommen regionale und kulturelle Befindlichkeiten, sprachliche Gepflogenheiten und weitere Herausforderungen, mit denen das global agierende Community Management der Plattform umgehen muss.

Ist es sexuell eindeutig, unhöflich/vulgär, bedrohlich/gewalttätig, eine Hassbotschaft oder etwas anderes? In Summe sind es fünf virtuelle Schubladen, die für jene Inhalte vorgesehen sind, die auf Facebook unangebracht sein könnten. Wer sich also durch eine Hassbotschaft auf Facebook gestört fühlt, kann diese über die vorgesehene Funktion melden.

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Erst wenn ein User den Kommentar verbirgt, den er melden möchte, erscheint der Melde-Button. Dann soll ein Fragebogen mit den fünf vorgegebenen Optionen helfen das Anliegen einzuordnen. "Es ist belästigend oder enthält Hassbotschaften" steht also symbolisch für den Schmelztiegel all jener Beiträge, die etwa nicht sexuell, gewalttätig oder vulgär sind, sondern sämtliche andere zwischenmenschliche Grausamkeiten unter dem Deckmantel der sozialen Interaktion dokumentieren.

Innerhalb von weniger Stunden teilt Facebook mit, ob der Inhalt gegen die Gemeinschaftsstandards der Plattform verstößt. Tut er das nicht, ist das Thema zumindest für Facebook vom Tisch. Was genau nach dem Melden eines Postings bei Facebook passiert, ist nicht nachvollziehbar. Zwar propagiert das Unternehmen die Transparenz seiner Community Management-Prozesse, auf Nachfrage von kurier.at bleibt aber unklar, wie genau ein gemeldeter Kommentar beurteilt wird.

Rund um die Uhr arbeite das "Community-Operations-Team" an Facebook-Standorten auf der ganzen Welt. Jede Meldung auf Facebook würde immer von einem Muttersprachler gelesen und im Hinblick auf die Gesetze des betreffenden Landes überprüft. Das bestätigt eine Facebook-Sprecherin, deren Name auf ihren ausdrücklichen Wunsch nicht genannt werden soll. Wie viele Beiträge pro Tag überprüft werden müssen, ob die Prüfer juristisch ausgebildet sind und wie viele Leute im Community-Operations-Team arbeiten sind Fragen, auf die es keine Antworten von offizieller Seite gibt.

Einen Erklärungsversuch gab es auf die Frage, warum Beiträge mit teilweise heftiger Wortwahl oder strafrechtlich relevanten Inhalten die Prüfung durch Facebook bestehen:

"Inhaltliche Richtlinien aufzustellen, die es mehr als einer Milliarde Menschen erlauben, sich Ausdruck zu verschaffen und gleichzeitig die Rechte und Gefühle anderer Menschen zu respektieren, ist eine permanente Herausforderung", sagt die Facebook-Sprecherin. Auf Nachfrage von kurier.at hieß es ebenso, dass die Redefreiheit, vergleichbar mit dem US-amerikanischem Recht der "Freedom of Speech", hohe Priorität bei Facebook habe, die Sicherheit für die Nutzer aber dennoch gewährleistet sein müsse.

So kann es durchaus sein, dass Facebook zwar rigoros gegen harmlos wirkende Inhalte wie freizügige Bilder vorgeht, gleichzeitig aber Beiträge stehen bleiben, die aus Sicht des Netzwerkes keine Gefahr oder Belästigung für seine Nutzer darstellen.

Was Facebook aktiv gegen Hasskommentare macht

Deutschlands Justizminister Heiko Maas (SPD) forderte im September 2015 in einem offenen Brief die Betreiber von Facebook auf, wirksamere Maßnahmen gegen Hassbotschaften zu setzen und lud zur gemeinsamen Task-Force mit Vertretern Deutschlands zuständiger Behörden. Ging es nach ihm, sollen Hassbotschaften auf Facebook von den Plattformbetreibern innerhalb von 24 Stunden entfernt werden.

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Herausgekommen ist abgesehen von ein paar PR-Kampagnen bis heute wenig. Zumindest räumte Mark Zuckerberg im Februar diesen Jahres Versäumnisse ein: "Ich denke nicht, dass wir einen ausreichend guten Job gemacht haben", sagte der Facebook-Chef im Rahmen einer Konferenz in Berlin.

Das Unternehmen beruft sich stets auf seine Gemeinschaftsstandards, wo festgehalten wird, dass etwa Hassbotschaften gegen Rasse, Ethnizität oder Herkunft von Facebook entfernt würden. Daneben sei Toleranz das beste Gegenmittel, wie Facebook-Vertreterin Sheryl Sandberg beim Launch der vom Unternehmen unterstützten Initiative "Online Civil Courage" propagierte. Das Prinzip der "Counter Speech" ("Gegenrede"), also Hasskommentare durch sachliche Gegenargumente zu entkräften, sei unglaublich stark und dazu brauche es Zeit, Energie und Zivilcourage, sagte Sandberg.

Währenddessen häufen sich die Anzeigen von einschlägigen Kommentaren bei den österreichischen Behörden, vor allem seit mit Anfang des Jahres das Gesetz und somit die Strafen für Verhetzung nachgeschärft wurden. Auch Justizminister Brandstetter sagt, dass Facebook zur Verantwortung gezogen werden müsse, wenn Gesetze gebrochen würden und suchte das Gespräch mit Vertretern der Plattform.

Wer sich um Hasskommentare kümmern muss

Für Aufsehen im Umgang mit Hassbotschaften sorgt ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus dem Jahr 2015. Auf dem estnischen Nachrichtenportal Delfi.ee machten einige User ihrer Wut ob der geänderten Routen eines Fährunternehmens Luft. Das Unternehmen hatte Anzeige gegen die Betreiber des Portals erstattet, weil diese zu langsam auf die rufschädigenden Kommentare reagierten. Nachdem der Fall mehrere Instanzen durchlaufen hatte, klagte das Portal die Republik Estland auf Verletzung der Meinungsfreiheit. Schlussendlich wies der EGMR die Klage ab - Forenbetreiber haften für Kommentare der Nutzer.

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Ein Urteil wie dieses wäre laut Rechtsanwalt Öhlböck auch in Österreich denkbar, sofern die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen. Dabei greift das Mediengesetz. Sehr schnell gilt man demnach als Medieninhaber und trägt die Verantwortung für die Inhalte der Kommentare, die publiziert werden. Das gilt auch für Profile von Facebook-Nutzern, sobald diese Beiträge durch Dritte ermöglichen. Gleichzeitig kommt für den Medieninhaber die Pflicht der Sorgfalt hinzu. Dabei zählen zwei Kriterien:
  • Wann hat der Medieninhaber, also Betreiber der Facebookseite, vom potenziell rufschädigenden bzw. rechtswidrigen Inhalt erfahren?
  • Wie schnell hat der Medieninhaber darauf reagiert?

Ob der Betreiber also haftet, kommt darauf an, ob er die gebotene Sorgfalt eingehalten hat. Hat der Medieninhaber Kenntnis von der Existenz des entsprechenden Inhalts und dessen Rechtswidrigkeit sollte er die Inhalte unverzüglich löschen, empfiehlt Öhlböck.

Das können Sie gegen Hasskommentare tun

Wenn Sie einen Facebook-Kommentar gemeldet haben, der trotz strafrechtlich relevanten Inhaltes offiziell nicht gegen die Gemeinschaftsstandards der Plattform verstößt, sollten Sie den Verfasser anzeigen. Das ist grundsätzlich über jede Polizeidienststelle möglich. Zusätzlich bietet das Bundesministerium verschiedene Einrichtungen, wie etwa die Meldestelle für NS-Wiederbetätigung, über die Beiträge per E-Mail zur Anzeige gebracht werden können. Eine konkrete Stelle für Inhalte mit dem Verdacht auf Verhetzung gibt es nicht. Auf Nachfrage von kurier.at können entsprechende Inhalte aber auch über die Meldestelle für NS-Wiederbetätigung gemeldet werden. Zusätzlich hilft die Plattform Stopline.at bei der Anzeige von Beiträgen mit dem Verdacht auf Kinderpornografie oder nationalsozialistische Wiederbetätigung.

Im Fall von Rechtsverstößen in Online Netzwerken und anderen Websites rät Dr. Johannes Öhlböck den Betroffenen, rasch zu handeln und Beweise (Screenshots, Download als Datei, Ausdrucke) zu sichern. Ebenso sei an den Betreiber der Website bzw. des Sozialen Mediums heranzutreten.

Es empfiehlt sich also den Kommentar bei Facebook zu melden und gleichzeitig die Anzeige in die Wege zu leiten.

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Es reicht! - #gegenhassimnetz

Der KURIER geht jetzt gegen Hasspostings vor. Anlass war ein Artikel auf kurier.at: Weil sie Gratis-Schwimmkurse für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge anbietet, erntete die Kärntner Wasserrettung einen Shitstorm. Bei einem Einsatzfahrzeug wurde eine Scheibe eingeschlagen. Als der Artikel auf Facebook gestellt wurde, postete eine Userin darunter, die Flüchtlingskinder meinend: "Dann sollns halt ersaufen!!!!" Das Posting wurde zur Anzeige gebracht.

Schwerpunkt auf kurier.at und auf profil.at

Auf kurier.at gibt es derzeit einen Schwerpunkt zum Thema "Gegen Hass im Netz". Diskutieren Sie mit, erzählen Sie uns Ihre Erfahrungen und sagen Sie uns, wie Sie mit der Wut im Netz umgehen. Auch das Nachrichtenmagazin Profil widmet sich mit kurier.at gemeinsam dem Thema. Mehr dazu auf www.profil.at.