Von Einzelfällen und echten Terrorgefahren
Von Mathias Morscher
Paris, Brüssel, Nizza, Würzburg, Ansbach, Saint-Etienne-du-Rouvray. Seit dem Angriff auf die Satirezeitung Charlie Hebdo im Jänner 2015 ziehen islamistische Terroristen ihre blutige Spur durch Europa. In Gruppen und detailliert geplant genauso wie dilettantisch als Einzeltäter. Viele von ihnen sind in Europa aufgewachsen, einige der Attentäter mischten sich im Sommer 2015 unter die Zehntausenden, die vor Krieg und Zerstörung nach Europa geflohen sind. Einer der bekanntesten ist Ahmad al Mohammad, der sich im November vor dem Pariser Stade de France in die Luft sprengte und einen Passanten mit in den Tod riss. Seine Reiseroute bis nach Paris konnte von den Behörden detailliert nachgezeichnet werden – und liefert so wichtige Informationen.
Dort soll er laut der Nachrichtenagentur Reuters keine 24 Stunden verbracht haben. Dann verliert sich seine Spur. Es gilt laut Ermittlern als wahrscheinlich, dass er der Balkan-Route weiter gefolgt ist – auch quer durch Österreich. Fest steht: Am 13. November 2015 versuchte Ahmad al Mohammad sich Zutritt zum Pariser Stade de France zu verschaffen, wo gerade das Fußball-Länderspiel Frankreich – Deutschland stattfand. Ein Ordner verwehrte ihm den Eintritt, woraufhin Ahmad al Mohammed um 21.17 Uhr seinen Sprengstoffgürtel vor dem Stadion zündete. Er war Teil einer Gruppe von Attentätern, die in dieser Freitagnacht an verschiedenen Orten der Stadt insgesamt 130 Menschen tötete.
Doch obwohl, wie Thomas Schmidinger betont, bis jetzt noch kein Flüchtling in Österreich auch nur einen Anschlagsversuch unternommen hat, ist die Angst vor den Flüchtlingen allgegenwärtig. Das zeigt eine aktuelle Umfrage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Derzufolge sind 47 Prozent der Deutschen davon überzeugt, das Terrorrisiko wäre niedriger, hätte Deutschland weniger Flüchtlinge aufgenommen.
„Es ist eine klare Strategie des "IS", seine Leute in die Flüchtlingsströme einzuschließen“, sagt Joachim Krause, Terrorexperte und Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. „Aber ich würde sagen, wenn es die Flüchtlingsströme nicht gäbe, würden sie auf eine andere Art und Weise nach Deutschland und Österreich kommen.“ Wie viele Terroristen mit den Flüchtlingen eingereist sind, sei ungewiss. Der Präsident des deutschen Verfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen erklärte jüngst bei einem Besuch in der Schweiz, es habe bei über einer Million Flüchtlingen rund 400 Verdachtsmeldungen gegeben, 17 davon hatten nachweisbar einen dschihadistischen Hintergrund.
Die größere Gefahr
Dem Terrorexperten Thomas Schmidinger zufolge muss man die Rückkehrer differenziert betrachten. Die einen kehrten desillusioniert aus dem Kriegsgebiet zurück und wendeten sich vom „IS“ ab. Andere pflegen weiterhin enge Verbindungen zu der Terrorgruppe. „Allerdings ist es nicht generell so, dass alle Rückkehrer Zeitbomben sind“, erklärt Schmidinger. Es sei noch immer unwahrscheinlich, „dass in Österreich eine große, zentral organisierte Terroraktion stattfindet, die quasi in Rakka (eine IS-Hochburg in Syrien, Anm.) organisiert wird.“
Drastischer sieht Joachim Krause die Lage in Deutschland. Er geht von einer großen Dunkelziffer von Rückkehrern aus. Menschen also, von denen die Behörden nicht wissen, dass sie wieder im Land sind. Zwar bestätigt auch Krause, dass es frustrierte Rückkehrer gibt, aber „unten den Rückkehrern sind bestimmt viele, die jetzt richtig gefährlich sind.“ Sie hätten eine Kampfausbildung erhalten und seien durch die Gewalt brutalisiert worden.
Für Krause ist die Terrorlage in Deutschland dadurch bestimmt, „dass es hier ungefähr 500 Gefährder gibt. Das ist eine Zahl, die wir so in Deutschland bisher nie hatten.“ Zusätzlich verfüge der „IS“ über etwa 7000 Sympathisanten. „Es ist zu erwarten, dass es aus dem Sympathisantenfeld und von jungen Leuten, die radikalisiert sind, solche Taten weiterhin geben wird“, erklärt Krause.
Im Vergleich zum Terror der letzten Jahrzehnte haben sich die Ziele geändert. Hatte es beispielsweise die linksextremistische Rote-Armee-Fraktion in den 1970er und 80er Jahren primär auf bestimmte Institutionen und Firmenbosse abgesehen, ist beim islamistischen Terror die Allgemeinbevölkerung das Ziel. „Ziel der Terroristen ist es, eine Art von Bürgerkriegssituation zu schaffen, dass alle Muslime gegen den Rest der Gesellschaft stehen“, erklärt Joachim Krause. „Je mehr gegen den Islam als Religion polemisiert wird, desto eher füllt man die Reihen der radikalen Dschihadisten.“ Dem stimmt auch Schmidinger zu, denn „die Dschihadisten sind ein gutes Argument für die extreme Rechte und umgekehrt. Es war schon immer ein Argument der Dschihadisten“.
Für Joachim Krause ist Terrorismus eine Form einer brutalen politischen Gewaltausübung und die „radikalisierte Form des Islam eine neue Form des Totalitarismus“. Noch sei offen, ob der islamistische Terror innerhalb der nächsten Generation beseitigt werden könne oder ob das eine Jahrhundertaufgabe wird: „In Wahrheit geht es nicht um das Terrorismusproblem, sondern um das Problem eines islamistischen, salafistischen Totalitarismus.“