Heimskandal: Ländern droht Klagslawine
Im Büro des Tiroler Soziallandesrates Gerhard Reheis (SPÖ) ist man nervös. Verständlich, es geht um viel. Vorerst um 500.000 Euro Schadenersatz, die die 68-jährige Heike K. (Name von der Redaktion geändert) vom Land Tirol einfordert. Ihr Anwalt Christian Sailer hat für die Verbrechen, die an der Frau vor mehr als 50 Jahren in einem Tiroler Kinderheim begangen worden sind, von der Republik Österreich eine staatliche Pension für seine Mandantin zugesprochen bekommen (der KURIER berichtete).
Verjährung?
Strafrechtlich sind die Vorfälle verjährt. Zivilrechtlich nicht, ist Sailer überzeugt. "Die Verjährungsfrist greift nur, wenn der Staat – in dem Fall das Land Tirol – sich darauf beruft." Im Büro des zuständigen Landesrates Reheis ist man diesbezüglich noch unsicher. Sein Sprecher Manfred Jenewein: "Wir haben das Schreiben des Anwalts an die Rechtsabteilung weitergeleitet." Es werde geprüft. Zudem habe Heike K. 15.000 Euro als Geste der Entschuldigung vom Land bekommen. Dass jetzt 500.000 Euro gefordert werden, nimmt die Tiroler Politik zur Kenntnis. Die Möglichkeit, dass sich das Land hinter der Verjährung verschanzt, um dem Regress-Anspruch zu entgehen, besteht nach wie vor. Anwalt Sailer: "Ich hielte es rechtsethisch für unvereinbar, wenn sich das Land Tirol auf die Einrede der Verjährung beruft. Das Land kann sich das gegenüber den schwer geschädigten Opfern in den Landesheimen nicht leisten."
"Die Juristen prüfen", weicht Bürosprecher Jenewein aus. "Dann kann die Politik immer noch sagen ,Gut, wir haben ein paar Hundert Millionen übrig, um allen Opfern Schadenersatz zu leisten.’" Landesrat Reheis hat nach fast zwei Monaten schriftlich auf die Forderung reagiert. Das Schreiben liegt dem KURIER vor. Sein Fazit: "Ein Anspruch Ihrer Mandantin gegen das Land Tirol wird sohin dem Grunde und der Höhe nach abgelehnt." Sailer beurteilt das knappe Schreiben als "befremdlich und Skandal".
Neue Fälle
In Oberösterreich hat das ehemalige Heimkind Robert A. das Land gar auf 1,1 Millionen Schadenersatz geklagt. Der Prozess wird heute fortgesetzt. Weitere Klagen gegen Tirol und auch gegen die Stadt Wien wurden von Opfern der Heimerziehung bereits angekündigt.
Zur Person: Der unermüdliche Anwalt
Opfer-Pension Andere genießen mit 76 längst ihren wohlverdienten Ruhestand. Anwalt Christian Sailer behält es sich vor, auch in diesem Alter andere in Unruhe zu versetzen. Der deutsche Jurist aus Marktheidenfeld lehrt derzeit die Republik Österreich das Fürchten. Er hat für eine Mandantin –in Folge ihrer schrecklichen Erlebnisse in einem Tiroler Kinderheim –eine Pension nach dem Verbrechensopfergesetz erwirkt. Jetzt fordert er vom Land Tirol 500.000 Euro Entschädigung für die Frau.
Papst-Klage Sailer ist kein Unbekannter. In den 80er-Jahren half er mit, die Wiederaufbereitungsanlage für atomare Brennstäbe in Wackersdorf zu verhindern. Auch das Aus für die dritte Landebahn am Münchner Flughafen geht zum Teil auf das Konto des 76-Jährigen. 2011 sorgte er wieder für Aufsehen. Er hat Josef Ratzinger, heute Papst Benedikt XVI., beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag angeklagt – wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sailer wirft Ratzinger vor, die "Sexualverbrecher seiner Glaubensgemeinschaft" geschützt zu haben. Er hofft, nach eineinhalb Jahren, auf eine Antwort aus Den Haag.
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Hintergrund
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