Politik

Dalai Lama, König der Herzen

Wenn Journalisten, denen sonst nichts heilig ist, plötzlich ironiefrei über "Seine Heiligkeit" schreiben – dann ist der Dalai Lama da. Er wirkt wie ein Gegenentwurf zur westlichen Lebensart: ohne Hektik, obwohl er in Wahrheit ein rastlos Reisender ist; unfassbar friedlich und immer freundlich – trotz der tragischen Geschichte seines von China unterdrückten Volkes. Und das Oberhaupt der Gelugpa (die Gelbmützen, ein großer buddhistischer Orden) scheint die Weisheit gepachtet zu haben. Wie wohltuend in Zeiten, wo uns nicht einmal Experten zweifelsfrei sagen können, ob zum Beispiel Griechenland die Eurozone verlassen soll! Ist Wachstum in diesem Pleitestaat nur möglich, wenn er so wie früher die eigene Währung abwerten kann? Oder reißt Griechenland die ganze Eurozone mit sich, wenn es aus dem Währungsclub rausgeschmissen wird?

Aber mit so profanen Fragen ist der 14. Dalai Lama nicht konfrontiert. Einem wirklich kritischen Dialog muss er sich nie stellen, was es bedeutend einfacher macht, ein Säulenheiliger zu bleiben. Studien zeigen es: Niemand genießt höhere Glaubwürdigkeit als er. Auch im österreichischen OGM-Vertrauensindex schlägt der Friedensnobelpreisträger den Papst – und zwar haushoch.

Kurz die Welt retten

Wer also – wie auch in Österreich zuhauf – die bunten buddhistischen Fähnchen im Vorgarten wehen hat, signalisiert damit: Seht her, ich bin ein Guter, auf der moralisch richtigen Seite. Das ist ungefähr so wie Grün wählen, seine

Kinder in die Montessori-Schule schicken, "noch 148 Mails checken und nur noch kurz die Welt retten", wie es in einem ziemlich witzigen Song heißt. Die Österreicher sind sogar bereit, bis zu 152 Euro für des Dalai Lamas "buddhistische Unterweisungen" und seine diversen Anleitungen zum Weltfrieden zu berappen. Er hat Popstar-Nimbus. Denn wer zahlte je für einen Papst-Besuch im Stephansdom oder anderswo?

Religion light Der Dalai-Lama-Kenner und Autor Heinz Nußbaumer hat das Phänomen am vergangenen Sonntag im KURIER auf den Punkt gebracht: Der Dalai Lama stille die "unerfüllte spirituelle Sehnsucht unserer zunehmend vorbild- und glaubenslos gewordenen westlichen Gesellschaft". Man zimmert sich daraus eine unverbindliche "Religion light". Wobei die beeindruckende Persönlichkeit, die der Mönch zweifellos ist, Zweifel verblassen lässt, ob diese Religion aus einem fernen Kulturkreis wirklich so gut zu uns passt und ob sie nicht auch ein paar Schattenseiten hat.

Die Botschaften des geistlichen Führers der Tibeter klingen teilweise ziemlich banal und nicht anders als alte Bibelweisheiten. Aber die Wärme, buchstäbliche Buntheit und manchmal geradezu naive Wahrhaftigkeit, die der Dalai Lama ausstrahlt, machen ihn zum Guru für die vielen orientierungslosen Sinnsucher der westlichen Hemisphäre. Das entwaffnet sogar eine gewohnt zynische Berufsgruppe wie Journalisten, die den Papst niemals "Heiliger Vater" nennen würden.