Politik/Ausland

Wie eine US-Waffenlobbyistin über den Amoklauf in El Paso denkt

Das Recht auf Waffenbesitz darf in den USA nicht eingeschränkt werden. Das garantiert der zweite Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten – seit 1791. In der Praxis ist es jedoch so, dass jeder US-Bundesstaat dieses Recht unterschiedlich auslegt. Sehr locker sind Waffengesetze in Texas, in dessen Stadt El Paso vergangenen Samstag ein 21-jähriger Rassist 22 Menschen mit einer AK-47 tötete. Im Internet hatte er zuvor ein Manifest veröffentlicht, in dem er vor einer „hispanischen Invasion“ durch „Latinos“ warnte.

Die Langwaffe hatte der Mann vollkommen legal erworben. Ein Umstand, der in den USA auf massive Kritik stößt. Unter dem republikanischen Gouverneur von Texas, Greg Abbott, sind allerdings keine neuen Verbote zu erwarten. Nicht umsonst ging Abbott auf Argumente von Waffengegnern erst gar nicht ein, sondern bezeichnete den Amokläufer bereits in seinen ersten Reaktionen als "psychisch krank".

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Abbott verabschiedete zu Jahresbeginn zehn Gesetze, die den Erwerb und Besitz von Waffen in Texas noch einfacher machen. Große Unterstützung erhielt er dabei von der landesweit aktiven Waffenlobby NRA und der regionalen Texas State Rifle Association (TSRA).

TSRA will "texanische Waffenbesitzer schützen"

Die 72-jährige Alice Tripp ist Legislative Direktorin der TSRA. Zum Vorwurf, dass Waffenlobbys eine Mitschuld an den häufigen Amokläufen in den USA hätten, erklärt sie dem KURIER via Mail: "Es gibt überall psychisch kranke und böse Menschen. Es wird niemals ein Gesetz geben, das böse, egozentrische Menschen mit kriminellen Absichten aufhält."

Die TSRA zählt 35.000 texanische Mitglieder und finanziert sich laut eigenen Angaben hauptsächlich über Mitgliedsbeiträge. Tripp betreibt seit 21 Jahren Waffen-Lobbying in Texas. Sie fühlt sich in ihrer Tätigkeit missverstanden: "Ich lobbyiere doch nicht für den kriminellen Missbrauch von irgendwas, vor allem nicht von Waffen." Vielmehr gehe es der TSRA um Aufklärung, die sichere Lagerung von Schusswaffen und darum, "texanische Waffenbesitzer zu schützen". "Ich bin eine Lehrerin, die der richtigen Person die richtige Information zur richtigen Zeit gibt", so Tripp.

Auf ihrer Website verlinkt die TSRA etwa zu Aufklärvideos für Kinder. "It’s not cool to bring a gun to school", erklärt ein Zeichentrickhund namens "McGruff the Crime Dog", nachdem der junge "Kyle" seinen entsetzten Mitschülern eine Pistole zeigt, die er zum Spaß in seiner Schultasche hatte.

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So etwas ist wohl nur in den USA möglich, jenem Land, das die weltweit höchste Dichte an privaten Waffenbesitzern hat. Die US-Waffenindustrie konzentrierte sich zuletzt verstärkt auf Sechs- bis Zwölfjährige als neue Zielgruppe. Dabei wurde etwa Plastik in Gewehren verarbeitet, damit Kinder sie leichter bedienen können und der Rückstoß nicht zu stark ist. Zusätzlich wurden die Waffen bunt eingefärbt - etwa in hübschem Pink für Mädchen.

Das Genfer Forschungsprojekt Small Arms Survey schätzt, dass auf 100 Zivilisten 120,5 Schusswaffen kommen. Das ist der weltweit höchste Wert – mit großem Abstand. Auf Platz zwei folgt der Jemen, mit 52,8 Waffen, in Kanada liegt der Vergleichswert bei 34,7, in Österreich bei 30.

"Demokratische Partei will spalten"

Tripp sieht keinen Grund, den Waffenbesitz einzuschränken: "Die Demokratische Partei versucht gerade, die Bevölkerung durch das Thema Schusswaffen zu spalten", meint sie und stellt klar: „Es fehlt kein einziges Waffengesetz in Texas. Kein einziges.“ Tripp trat bereits mehrmals öffentlich mit US-Gouverneuer Abbott auf.

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Der Status quo impliziert anderes: Über 250 "Mass-Shootings" soll es 2019 in den USA bereits gegeben haben. Diese Zahl kursierte kurz nach den Amokläufen in El Paso und Dayton (Bundesstaat Ohio), bei denen insgesamt 32 Menschen ums Leben kamen. Die Daten erhebt die NGO „Gun Violence Archives“ (GVA). Sie lobbyiert gegen Schusswaffengewalt und für eine strengere Regulierung des Waffenbesitzes in den USA.

In die Statistik fließen alle Vorfälle mit Schusswaffen ein, bei denen mindesten vier Personen verletzt wurden: Amokläufe, Familiendramen, Bandenkriege. Vorfälle, bei denen die Täter wahllos auf eine Menschenmenge schossen – wie in El Paso – gab es 2019 knapp unter 20.

Statistisch gesehen ist die Wahrscheinlichkeit, bei einem "Mass-Shooting" in den USA zu sterben, laut Berechnungen des britischen Mediums BBC seit den 1980er-Jahren nicht gestiegen. Die Vorfälle häufen sich, proportional zum Bevölkerungswachstum.

Der Blick auf die solche in ihrem Ausmaß fürchterlichen "Mass-Shootings" verstellt vielleicht auch das viel größere Problem: Etwa jeweils 15.000 US-Bürger wurden in den vergangenen drei Jahren durch Schusswaffen getötet. Heuer waren es bis Anfang Juli über 7.500. Pro 100.000 Einwohner werden in den USA aktuell im Schnitt zwölf Menschen erschossen. In den USA ist es dreimal wahrscheinlicher durch eine Schusswaffe getötet zu werden, als im weltweiten Schnitt.