Politik/Ausland

Lukaschenko meldet sich zu Wort, Arbeiter von Traktorfabrik demonstrieren

Nach weiteren massiven Protesten in Belarus (Weißrussland) hat sich Staatschef Alexander Lukaschenko erstmals wieder zur Lage im Land geäußert. "Fürs Erste, ich bin noch am Leben und nicht im Ausland", sagte Lukaschenko zu Spekulationen in einigen belarussischen Medien, er habe das Land bereits verlassen.

Er äußerte sich am Freitag auf einer Regierungssitzung in Minsk. Dabei warnte er vor den Folgen von Streiks in den Staatsbetrieben. In immer mehr Unternehmen legen Belegschaften ihre Arbeit nieder und erklärten, bei der Präsidentenwahl am Sonntag für Lukaschenkos Gegnerin Swetlana Tichanowskaja gestimmt zu haben.

Auch Arbeiter eines Traktorfabrik legten das Handwerk nieder und zogen aus Protest vor das Regierungsgebäude in Minsk.

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Appell, die Wirtschaft zu retten

Im Zuge der Corona-Pandemie beginne die Weltwirtschaft, sich wieder zu erholen, sagte Lukaschenko. "Alle kämpfen auf diesen Märkten. Wenn wir aufhören zu arbeiten, werden wir die Produktion nie wiederherstellen können. Niemals", meinte er. "Den Menschen muss gesagt werden, dass dies die einzige Chance ist, ein Unternehmen zu retten." Dann könnten auch die Familien ernährt werden.

Nach Einschätzung von Beobachtern könnte ein flächendeckender Streik in den Betrieben Lukaschenko zu Fall bringen. Seit Tagen kommt es zu Protesten gegen Polizeigewalt und Willkür unter Lukaschenko.

Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja hat ihre Landsleute unterdessen zu landesweiten friedlichen Demonstrationen gegen das Ergebnis der umstrittenen Präsidentenwahl aufgerufen. Sie fordere die Bürgermeister auf, am Wochenende Protestveranstaltungen in allen Städten des Landes zu organisieren, sagte Tichanowskaja in einer Videoansprache aus ihrem litauischen Exil.

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Brutalität der Sicherheitskräfte

Die Regierung aber sei nach den Worten von Außenminister Wladimir Makei zu "konstruktiven und objektiven" Gesprächen mit dem Ausland über den Verlauf der umstrittenen Präsidentschaftswahl und die dadurch ausgelösten Proteste bereit. Die Regierung sei bereit zum Dialog über "alle mit den Entwicklungen in Belarus zusammenhängenden Themen".

Die EU-Außenminister wollen am Freitagnachmittag eine virtuelle Sondersitzung abhalten. Mindestens neun EU-Staaten unterstützen die Verhängung neuer Sanktionen gegen Weißrussland (Belarus) wegen der umstrittenen Präsidentenwahl und dem gewaltsamen Polizeieinsatz gegen Demonstranten. Laut Berichten soll vor allem Ungarn Vorbehalte haben.

Die Verhängung von Sanktionen muss einstimmig erfolgen. Vorerst wird eine Diskussion darüber erwartet, eine endgültige Entscheidung erst später im August.

In der Nacht zum Freitag hatten die Behörden viele der rund 7000 im Zuge der Proteste festgenommenen Bürger wieder auf freien Fuß gesetzt. Nach ihrer Freilassung haben viele Menschen allerdings von schwersten Misshandlungen berichtet. In Videos schilderten Frauen und Männer, dass sie kaum ernährt und in engsten Zellen stehend zusammengepfercht worden seien.

Amnesty International untermauerte die Aussagen zur Brutalität des Regimes mit Erzählungen von Betroffenen: "Von Personen, die in Haft waren, wissen wir, dass die Hafteinrichtungen Folterkammern gleichen, in denen Protestierende auf dem Boden liegen müssen, während sie von Sicherheitskräften getreten und mit Schlagstöcken malträtiert werden. Sie beschrieben, wie sie sich ausziehen mussten und dann auf sadistische Weise geschlagen wurden, während sie die Schreie anderer Betroffener hören konnten. Es handelt sich hierbei um Menschen, deren einziges "Vergehen" es war, sich an friedlichen Protesten zu beteiligen. Was gerade in Belarus geschieht, ist eine menschenrechtliche Katastrophe, und die Welt muss dringend einschreiten."

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Viele Bürger zeigten - nur in Unterwäsche bekleidet - ihre mit Platzwunden und großen blauen Flecken von Schlägen übersäten Körper. Mehrere Entlassene mussten sofort ins Krankenhaus gebracht werden, wie Medien in der weißrussischen Hauptstadt Minsk berichteten.

Zuvor hatte Präsident Alexander Lukaschenko, der als "letzter Diktator Europas" bezeichnet wird, die Freilassung von Gefangenen angeordnet. Innenminister Juri Karajew entschuldigte sich, dass bei den Protesten gegen Fälschung der Ergebnisse der Präsidentenwahl vom Sonntag auch viele Unbeteiligte festgenommen worden seien. So etwas passiere, meinte er.

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Frauen schilderten nach der Freilassung aus dem Gefängnis auf der Okrestin-Straße in Minsk unter Tränen, dass sie geschlagen worden seien. In Zellen mit vier Betten seien 35 Frauen gewesen, sagte eine Freigelassene dem Portal tut.by. "Sie haben mit schrecklicher Brutalität zugeschlagen", sagte sie. "Überall war viel Blut."

Es war das erste Mal seit Tagen, dass der Machtapparat unter Lukaschenko einlenkte. Tausende hatten auch am Donnerstag seinen Rücktritt gefordert, nachdem er sich zum sechsten Mal zum Sieger der Präsidentenwahl hatte erklären lassen. Lukaschenkos Sprecherin kündigte eine Rede des Präsidenten an das Volk für Freitag an.

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Mit der Freilassung reagierte der Machtapparat erstmals auch auf Forderungen der EU, das gewaltsame Vorgehen gegen friedliche Bürger zu beenden. Die EU hatte die Freilassung der Gefangenen gefordert. Tausende sitzen aber weiter in den Gefängnissen. An diesem Freitagnachmittag wollen die EU-Außenminister über die Lage in der Ex-Sowjetrepublik beraten.