Russische TV-Demonstrantin steht am Dienstag vor Gericht in Moskau
Mit einem Protestplakat und lauten Rufen hat eine Kriegsgegnerin für eine Unterbrechung der abendlichen Hauptnachrichtensendung des staatlichen russischen Fernsehsenders Kanal 1 gesorgt. Während der Live-Übertragung am Montag um 21.00 Uhr Moskauer Zeit (19.00 Uhr MEZ) sprang die Frau plötzlich hinter Nachrichtensprecherin Jekaterina Andrejewa ins Bild und hielt ein Schild mit der Aufschrift "Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen" hoch.
Dazu rief sie mehrmals laut: "Nein zum Krieg, Nein zum Krieg, Nein zum Krieg!" Anschließend brach die Übertragung ab und es wurden Bilder aus einem Krankenhaus gezeigt. Der Videoausschnitt verbreitete sich umgehend in sozialen Netzwerken. Vor allem russische Oppositionelle lobten die Frau für ihren Mut. "Was Mut wirklich bedeutet", twitterte der Pianist Igor Levit. In Russland ist es Medien verboten, den russischen Einmarsch in die Ukraine als "Krieg" oder "Invasion" zu benennen. Stattdessen ist offiziell von einer "militärischen Spezialoperation" die Rede.
Bei der Frau handelt es sich um Marina Ovsyannikova, eine eine Mitarbeiterin des Staatsfernsehens, die ihre Protestaktion zuvor in sozialen Netzwerken angekündigt hat. "Das, was in der Ukraine passiert, ist ein Verbrechen, sagt sie in einem Video. "Und die Verantwortung für diese Aktion liegt allein bei Wladimir Putin." Weiter sagt sie: "Mein Vater ist Ukrainer, meine Mutter ist Russin, und sie waren niemals Feinde. Sie habe in den vergangenen Jahren bei "Perwy Kanal", dem wichtigsten Sender im russischen Staatsfernsehen gearbeitet und sich mit der "Kreml-Propaganda" beschäftigt.
"Geht demonstrieren. Fürchtet nichts"
"Und jetzt schäme ich mich sehr dafür. Ich schäme mich dafür, dass ich zuließ, dass man im Fernsehen Lügen verbreiten konnte. Ich schäme mich dafür, dass ich zuließ, dass das russische Volk zombibifiziert wird. Wir haben 2014 geschwiegen, als das alles anfing. Wir sind nicht für Demonstrationen rausgekommen, als der Kreml Nawalny vergiftet hat. Wir haben dieses menschenfeindliche Regime einfach nur stillschweigend beobachtet. Jetzt hat sich die ganze Welt von uns abgewendet. Und noch zehn Generationen unserer Nachfahren werden sich von der Schande dieses Brudermord-Krieges nicht reinwaschen können.
Wir, die russischen Menschen, können denken und sind klug. Es liegt nur an uns, diesen ganzen Wahnsinn zu beenden. Geht demonstrieren. Fürchtet nichts. Sie können uns nicht alle einsperren.“
Marina Ovsyannikova soll nach der Protestaktion festgenommen worden sein. Kanal 1 sprach in einer Mitteilung lediglich von einem "Vorfall" während der Sendung "Wremja" und kündigte eine interne Prüfung an. Das Staatsfernsehen ist die Hauptnachrichtenquelle für viele Millionen Russen und hält sich streng an die Kreml-Linie.
Der Frau drohen 15 Jahre Haft
Nach dem Gesetz, das Wladimir Putin Anfang März vor dem Hintergrund der Ukraine-Invasion unterzeichnet hat, drohen der Frau für die Verbreitung von Falschnachrichten bis zu 15 Jahre Haft. Nun steht die Frau kommende Woche vor Gericht. Der prominente russische Journalist Alexej Wenediktow veröffentlichte am Dienstag in einem Telegram-Kanal ein Foto von Marina Owssjannikowa mit ihrem Anwalt Anton Gaschinski in einem Gerichtsgebäude. Zuvor hatte es stundenlang keine Spur von ihr gegeben.
Marina Ovsyannikova gat weltweit eine Welle der Anerkennung ausgelöst. Der Mitschnitt der Szenen, in der sie sie mit einem handgeschriebenen Plakat hinter der Nachrichtensprecherin auftaucht wird vielfach geteilt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bedankte sich bei ihr.
Zugleich hätten Abnwälte der Bürgerrechtsorganisation IWD-Info die Frau auch mehr als zehn Stunden nach der Protestaktion nicht kontaktieren können, schreibt der Ex-Chefredakteur des dichtgemachten Radiosenders Echo Moskwy, Alexej Wenediktow auf Twitter.
Kreml spricht von Rowdytum
Der Kreml hat die Protestaktion der mutigen Journalistin verurteilt: „Was dieses Mädchen angeht, das ist Rowdytum“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag der Agentur Interfax. Der Fernsehsender müsse die Angelegenheit regeln, es sei nicht Aufgabe des Kreml.