Politik/Ausland

Anschlag in Grenzstadt lässt viele Fragen offen

Für die türkische Regierung unter Premier Recep Tayyip Erdogan war nach dem Anschlag am Samstag in der Grenzstadt Reyhanli schnell klar: Das Regime des syrischen Machthabers Bashar al-Assad ist für den Tod von 49 Menschen, vor allem Türken, verantwortlich. Schon einen Tag später wurden neun Verdächtige festgenommen, die bereits gestanden hätten. Die Täter sollen zwei linksradikalen Gruppen angehören – mit Verbindungen zum syrischen Geheimdienst. Doch Kennern der Szene ist die Geschwindigkeit, mit der die vermeintliche Aufklärung des Verbrechens gelungen sein soll, suspekt. Die entscheidenden Fragen lauten: Wer könnte tatsächlich dahinterstecken. Und – cui bono, wem nützt ein solcher Terrorakt?

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Die Beantwortung dieser Fragen ist deswegen so schwierig, weil die türkische Provinz Hatay ein Konglomerat verschiedenster Ethnien und Religionen sowie Religionsausrichtungen ist. Hier leben arabische Alawiten und Christen, sunnitische Türken, Kurden, Armenier und andere Minderheiten. Die Alawiten – auch Assads Machtbasis ist alawitisch – machen Schätzungen zufolge fast ein Drittel der 1,5 Millionen Einwohner Hatays aus. Die Region ist ein „Mikrokosmos Syriens“, hatte die „Internationale Crisis Group“ zu Monatsbeginn gewarnt. Tatsächlich waren bei einem KURIER-Besuch in der Provinz vor zwei Monaten die Spannungen zwischen den örtlichen Alawiten und den Tausenden syrischen Flüchtlingen (fast alle Sunniten) erkennbar. Es war sogar zu Anti-Erdogan und Pro-Assad-Kundgebungen gekommen.

Wer also könnten die Täter sein?

Syrien Damaskus könnte lokale Sympathisanten gewonnen oder eigene Leute eingeschleust haben, um Ankara für dessen anti-syrische Politik abzustrafen. Doch was soll das bringen – außer einer möglichen militärische Intervention der Türkei, an der Assad wohl wenig Interesse haben dürfte?

Syrische Opposition Faktum ist, dass diese in Hatay massiv präsent ist. In Reyhanli und auch in der Provinz-Hauptstadt Antakya traf der KURIER-Reporter viele Kämpfer, die dort ihre Kriegsverletzungen auskurierten oder „Fronturlaub“ machten. Die Opposition drängt schon länger auf einen internationalen Militäreinsatz und könnte versucht gewesen sein, einen solchen herbeizubomben.

Islamisten Auch diese hat der Bürgerkrieg im Nachbarland zuhauf angeschwemmt. Bei KURIER-Recherchen in einer Rehab-Klinik für syrische Rebellen in Reyhanli sagte einer der vielen Bärtigen, er wolle „die islamische Fahne über Syrien wehen“ sehen. Dafür sei er bereit, als Märtyrer zu sterben. Diesen El-Kaida-nahen Extremisten ist jedes Mittel recht, die Region weiter ins Chaos zu stürzen.

Kurden Sie könnten ebenso die Drahtzieher des Anschlages sein: Radikale PKK-Kreise könnten hinter dem Attentat stecken, das als Störfeuer gegen den laufenden Friedensprozess zwischen Ankara und der PKK gedacht gewesen sein könnte.

Türkei Syrien bezichtigt die Türkei der Urheberschaft für das Blutbad. Wenn man es Assad in die Schuhe schieben könnte, würde eine militärische Intervention, auf die Erdogan drängt, näherrücken. Tatsächlich wird in türkischen Zeitungen immer öfter daran erinnert, dass Damaskus jahrhundertelang von Istanbul aus regiert wurde. Und mit der Besetzung zumindest Nordsyriens könnte Ankara die Entstehung einer zweiten autonomen Kurden-Region (nach dem Nordirak) bereits im Keim ersticken. Denn nach dem Abzug der syrischen Regierungstruppen aus den dortigen Kurden-Gebieten haben die Kurden begonnen, eine eigene Verwaltung aufzubauen.

Bei dem am Donnerstag beginnenden US-Besuch Erdogans wird das Thema Syrien jedenfalls ganz oben auf der Agenda stehen.